Süddeutsche Zeitung

Retrokolumne:"Dein Minirock aus Einkaufsnetz!"

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Der Journalist Philipp Meinert hat eine große Geschichte des queeren Punk geschrieben, von Phranc und Nina Hagen bis zu den "Slits" und "Limp Wrist".

Von Klaus Walter

"Glaub lieber an Gott, du elende Suka!" Von dieser Drohung berichten die russischen Queer-Aktivistinnen Pussy Riot in ihrem "Punkgebet". Der Slangausdruck "Suka" bezeichnet einen Kriminellen, aber auch einen passiven Homosexuellen , "also exakt die Ursprungsbezeichnung von Punk", schreibt Philipp Meinert in seiner "Homo Punk History". Zur Geschichte gehört ein schwuler One Night Stand mit Andreas Baader im Berliner Milieu der Genialen Dilletanten genauso wie Phranc (), die sich als "All American Jewish Lesbian Folksinger" vorstellt, aber aus der Punkszene von L.A. kommt. Dort spielt Phranc in den Achtzigern in Bands mit sprechenden Namen: Nervous Gender, Catholic Discipline. Es wimmelt von sprechenden Namen in diesem Buch. Bald kommen immer mehr Typen aus den Vororten in die Szene. Es wird aggressiver, Frauen und Queers bleiben weg. Immer mehr Leute tragen Hakenkreuze, um zu provozieren. Also schreibt Punk Phranc einen Folk-Song, damit ihr Text verstanden wird: "Take off your Swastikas"! Das Hakenkreuz als Provokation war für sie als lesbische Jüdin kein Spaß. Den ersten lesbischen deutschen Punksong verortet Meinert in Westberlin, im Bahnhof Zoo im Damenklo. Dort verliebt sich Nina Hagen 1979 in ein Mädchen mit exquisiter Garderobe: "Dein Minirock aus Einkaufsnetz! Dein Schlüpper mit der Queen von London drauf!" Den Slip trägt Ari Up, Sängerin der Slits, der ersten Frauen-Punkband.

Pussy Riot? RAF? Phranc? Nina Hagen? Ob Homo oder Punk, Philipp Meinert legt die Begriffe weit aus. Zu weit für viele Homos und viele Punks, die den genannten Figuren die rechtmäßige Mitgliedschaft im Stamme der Homos und Punks absprechen dürften. Oder die Ramones? Punk, okay, aber Homo? Der Ramones-Evergreen "53rd & 3rd" ist eine Drei-Akkord-Reportage vom Schwulenstrich an nämlicher Straßenkreuzung in Manhattan. Dort ging auch Dee Dee Ramone hin und wieder anschaffen. "Wobei Dee Dee Ramone gar nicht schwul war, er hat da einfach Geld verdient." Sagt Philipp Meinert am Telefon. Im Bielefeld sieht er 2009 Limp Wrist (), eine Band aus der US-Queercore-Szene: "Es war wohl eins der positivsten und konfliktfreiesten Konzerte, die ich in meinem gesamten Leben besucht habe". Aber dann gab's doch Ärger, nackte Männer auf der Bühne offenbaren die Widersprüche in der autonomen Punkszene. Die Musiker werden vom Veranstalter überredet, sich wieder anzuziehen. Meinerts Erinnerungen an den Abend im Herzen der linken Homo-Punk-Aporien zwischen Selbstermächtigung und Selbstbefreiung auf der einen, älteren Seite, und Triggerwarnung und Safe Spaces auf der anderen, jüngeren Seite, diese Erfahrungsberichte aus den weitverzweigten Subs & Subsubs von Queercore, Straight Edge und Riot Grrrl bis, ja, doch, Krishnacore stehen im Buch Seite an Seite mit Lob für Klaus Wowereits "Und das ist auch gut so" oder einer Würdigung der TV-Trans-Figur Ernie Reinhardt alias Lilo Wanders.

Meinert ist kein identitärer Purist, Reinheitsgebote sind ihm fremd, und diese Äquidistanz zu seinen Sujets tut dieser Fundgrube von Popgeschichtsbuch gut. Es lebt auch von aufschlussreichen Interviews mit Homo-Punk-Größen wie dem Filmemacher Bruce La Bruce, Wolfgang "Die Tödliche Doris" Müller und Laura Jane Grace, Trans-Sängerin der populären US-Band Against Me! Oder mit Jayne County. Die Sängerin der Electric Chairs verbringt die ersten Jahrzehnte ihres Lebens als Wayne County und also als Mann, der gerne Frauenkleider trägt. Dann entdeckt er den passenden Wortcontainer und aus Wayne wird Jayne.

In fast wortgleichen Statements betonen etliche ProtagonistInnen die Bedeutung von Vorbildern, die dem Wissen ums eigene Anderssein auf die Sprünge helfen. Wie David Bowie. Oder Lou Reed, für Meinert "der bisexuelle Pate des Punk". Reeds Song "Kill Your Sons" beruht auf dem Bestreben seiner Eltern, ihren Sohn von seiner vermeintlichen Homosexualität zu "heilen". Der junge Lou hatte sich schwule Allüren zugelegt, worauf seine liebenden Eltern ihm eine Elektroschockbehandlung angedeihen ließen. Später sollte Lou Reed einen Welthit landen mit einem Song über eine Trans-Figur, "Walk On The Wild Side". Gegen Ende seines Lebens wollte er allerdings nicht als queerer Künstler bezeichnet werden. Viele andere dagegen schon. Wie das Wort schwul hat auch queer inzwischen eine Umwertung erfahren. Meinerts Buch setzt in den späten Sechzigern an, 20 Jahre bevor der Begriff "queer" im Zuge der Aids-Bewegung von schwulen Männern positiv besetzt wurde. In den Kulturkämpfen von heute sind die Queer Studies eine Zielscheibe der Neuen Rechten und Inbegriff des sogenannten Genderwahns. Warum also heißt das Buch nicht Queer Punk History? "Queer wäre vielleicht verständlicher gewesen aber Homo als Oberbegriff fand ich passender", sagt Meinert. "Queer wäre ein bisschen Etikettenschwindel gewesen."

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SZ vom 07.05.2019
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