Retrokolumne:Cool Europa

Der Frankfurter Posaunist Albert Mangelsdorff war einer der Protagonisten des Cool Jazz in Europa. Künstler wie er machten die Musik aus Amerika zur Weltsprache. Das Label Sonorama rettet nun Aufnahmen dieser Zeit.

Von Andrian Kreye

Es mag Zufall sein, dass der Posaunist Albert Mangelsdorff auf dem Cover des gerade erschienenen Albums "Mainhattan Modern" ein wenig so aussieht wie Jean-Paul Belmondo in seinen frühen Filmen für Claude Chabrol und Jean-Luc Godard. Die Platte beginnt allerdings in genau dieser lässigen Stimmung, mit denen die Nouvelle Vague Frankreich zum Filmland machte. "Improvisation zu einem Klang" entstand 1957 in Frankfurt. Auf den melancholischen Saxofonsatz im "Four Brothers"-Arrangement setzt Mangelsdorff ein Solo, das zeigt, warum er im folgenden Jahr als eine Art deutscher Botschafter zum Newport Jazz Festival geschickt wurde, auch wenn noch nicht zu ahnen war, dass er einmal zu den führenden Stimmen der Avantgarde zählen würde.

Neun verschollene Mangelsdorff-Aufnahmen finden sich auf der Platte. Erschienen ist sie beim Berliner Label Sonorama, das sich in den letzten Jahren darauf spezialisiert hat, mit archäologischer Akribie fantastische Aufnahmen aus den europäischen Jahren zu bergen, als Jazz schon nicht mehr die Musik der Befreier, aber auch noch nicht die Musik der absoluten Befreiung war. Was Labelbetreiber Ekkehart Fleischhammer für "Mainhattan Modern" gemeinsam mit anderen Sammlern in deutschen Radio- und Festival-Archiven gefunden hat, gehört mit zum Besten, was Cool Jazz damals zu bieten hatte.

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Von der Jazzgeschichte oft etwas nachlässig behandelt, waren gerade die europäischen Metropolen der erste Beweis, dass der Jazz vom amerikanischen Genre zur musikalischen Weltsprache wurde. Neben Paris, Stockholm und Kopenhagen waren auch Frankfurt, Berlin, Wien und Amsterdam für Jazzmusiker Sehnsuchtsorte. Viele amerikanische Musiker blieben auf Tourneen in Europa hängen, weil sie hier ein Publikum erlebten, das sie als große Künstler verehrte, und einen Alltag, der frei war vom allgegenwärtigen Rassismus Amerikas.

Im Sommer veröffentlichte Sonorama zum Beispiel den Mitschnitt eines Konzertes, das der Bassist Oscar Pettiford 1958 gemeinsam mit dem Bebop-Pionier Kenny Clarke am Schlagzeug, dem Wiener Saxofonisten Hans Koller und dem ungarischen Gitarristen Attila Zoller im Studio 10 des Norddeutschen Rundfunks in Hamburg gab. Die Leichtigkeit, mit der die Musiker da die Bluesform auf den damals jüngsten Stand des Modern Jazz heben, löst diese leicht neidische Nostalgie in einem aus, dass man offenbar eine großartige Zeit versäumt hat. Cool wurde damals noch ganz im Sinne von Miles Davis verstanden, der nach den furiosen Jahren des Bebop eine entspannte Souveränität etablierte, die sich dann auch im Film und in der Fotografie wiederfand. Dieses Cool wird seither immer wieder aufs Neue von Jugendkulturen als Wurzel für eine Haltung entdeckt, die in sich schon eine Überlegenheit und Würde schafft, die einem die erwachsene Welt nicht zugestehen mag.

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Das funktionierte nicht nur in Kalifornien und New York. "Berlin Calling" von der Helmut Brandt Combo wurde an so unglamourösen Orten wie dem Volksbildungsheim Frankfurt und beim Soldatensender AFN in Berlin aufgenommen, wäre aber auch beim Pacific Jazz Label gut aufgehoben gewesen.

Ein großer Coup ist Fleischhammer mit dem Archiv des französischen Saxofonisten Barney Wilen gelungen. Über den Sohn und die ehemalige Frau Wilens kam er an Kisten voller Bänder und Acetates. Da finden sich etwa die wunderbaren "Four Brothers"-Aufnahmen, die Wilen gemeinsam mit den Saxofonisten Lucky Thompson, Helmut Brandt und Bent Jaedig machte. Und da schließt sich auch der Kreis des Cool.

1957 hörte Miles Davis den damals 20-Jährigen und engagierte ihn für seine Europatournee. Im selben Jahr holte er ihn in Paris ins Studio, wo er mit ihm die Filmmusik für Louis Malles "Fahrstuhl zum Schafott" aufnahm. Cool Jazz wurde in den folgenden Jahren zum prägenden Soundtrack der Nouvelle-Vague-Filme und Barney Wilen so etwas wie der rote Faden durch diese Filmmusikgeschichte. Mit Art Blakey nahm er die Filmmusik für Roger Vadims "Gefährliche Liebschaften" auf, mit Kenny Dorham und Milt Jackson für Édouard Molinaros "Der Mörder kam um Mitternacht".

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Ein Soundtrack blieb allerdings bislang verschollen. 1958 bereiteten Sandro Boccola und Dennis Bailey einen Avantgardefilm vor, den sie "Jazz in Camera" nannten. Den Soundtrack spielten Wilen und der Trompeter Donald Byrd mit einer amerikanischen Rhythmusgruppe schon ein. Dann ging den Produzenten das Geld aus und die Bänder verschwanden. Das war sehr schade, denn man hört nun deutlich, wie wohl sich die Amerikaner damals bei ihrem Freund Barney Wilen in Paris fühlten.

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