Süddeutsche Zeitung

Retrokolumne:Besser und schlechter als das Original

Noch cooler als Marlon Brando: Wie Brian Setzer die Fünfzigerjahre veredelte. Außerdem: Diana Ross versetzt ihre Klassiker in die Großraumdisco, und es gibt schon wieder mehr Archivkram für Fans von Frank Zappa.

Von Max Fellmann

In dieser Kolumne geht es immer um Musik, die vor längerer Zeit entstanden ist und im Idealfall die Musik nachfolgender Generationen geprägt hat. Ab und zu gibt es aber besondere Fälle: Wenn die nachfolgende Generation die Originale sogar verbessert. Brian Setzer hat keine stilprägende Musik erfunden, sondern das, was andere in den Fünfzigerjahren gemacht haben, so perfektioniert, dass viele seine Version für das Original halten. Retro im besten Sinne. Sein Rockabilly ist schärfer und präziser als der von Eddie Cochran, er kann schmelziger croonen als Gene Vincent, er spielt besser Gitarre als Scotty Moore, seine Platten sind besser aufgenommen als die schepprigen Singles der Nachkriegszeit. Setzer hat mit den Stray Cats und als Solomusiker die Musik der Fünfziger nicht nur kopiert, sondern veredelt. Inzwischen aber ist er selbst schon so lang dabei, dass andere auf seinem Werk aufbauen. Ohne das Debütalbum der Stray Cats 1980 wäre Rockabilly heute wohl tot. Später hat er den Big Band-Swing wiederbelebt.

Setzers vielleicht bestes Album aus seiner Solozeit ist "Ignition!", und das ist auch schon wieder fast 20 Jahre alt. Es erscheint bald noch mal als schöne Vinyl-Ausgabe, und da ist in jeder Sekunde zu hören, was den Mann so einzigartig macht: Der Titelsong knallt mehr als Cochrans "C'mon Everybody". "Hell Bent" ist cooler als Marlon Brando in Lederjacke. Setzer spielt atemberaubend Gitarre und demonstriert auf "8-Track", dass er sogar das Yankee-Jodeln besser drauf hat als jeder Viehzüchter (ein bisschen Streber ist er schon auch). Setzer spielt die Exoten-Karte wie die Gitarrenhelden von früher: Dick Dale raste seinerzeit durch den griechischen Rembetiko "Misirlou", Setzer gibt Gas beim spanischen "Malaguena". Und die Musik ist perfekt produziert, laut und kraftvoll, man hört den Kontrabass schnalzen, der bei den Originalen oft so schmerzlich unterging. Vergangenheit, fitgemacht für die Zukunft.

Diana Ross: eine ganz Große, ohne Frage. Auf ihren Gesang, ihren Sound, ihr Image haben sich ganze Jahrgänge von nachfolgenden Sängerinnen bezogen. Verständlich, dass die Frau auch mit 76 noch irgendwie relevant bleiben will. Ob es jetzt aber die beste Idee war, ihre Klassiker aus den 70er- und 80er- Jahren remixen zu lassen? Gemeinsam mit dem Produzenten Eric Kupper hat sie sich über Songs wie "Upside Down", "Ain't No Mountain High Enough" und "The Boss" hergemacht, gesammelt gibts die jetzt auf dem Album "Supertonic: The Mixes". Mehr synthetische Sounds, die Beats etwas elektronischer, mehr digitales Flirren, in der Mitte der unverfälschte Gesang von einst. Ja, das klingt dann vielleicht etwas mehr nach Gegenwart, ein paar dieser Versionen kamen auch schon als Singles in die Billboard Dance Charts. Aber sind sie besser als die Originale? Sagen wir so: Es ist, als würde man in einer prolligen Großraumdisco auf eine liebenswerte alte Freundin treffen. Ohne Großraumdisco wär's schöner.

Das Reich der Zappaologen ist sonderbar. Klar, es gibt auch andere Größen der Popgeschichte, bei denen sich Fans wie wild auf jedes Archivfundstück stürzen (Bob Dylans Bootlegs, Elvis-Raritäten). Aber erstens lassen die Fans von Frank Zappa wirklich die merkwürdigsten Dinge als Trouvaillen gelten (Hey, die alternative Bass-Spur von der kurzen Version dieses 11-Minuten-Stücks! Wow, zwei ganze Minuten Studiogeplapper aus einer Aufnahmepause!). Und zweitens ist bei Zappa die schiere Masse an Aufnahmen so unübersichtlich, dass vermutlich noch in 100 Jahren immer wieder Unveröffentlichtes auftauchen wird, das von Experten umgehend gründlich analysiert werden muss. Jetzt gibt es ein neues 4-CD-Set, "The Mothers 1970", es widmet sich einer Phase, in der Zappa mit den Mothers Of Invention praktisch durchdrehte vor Schaffensdrang. Drei neue Alben in nur einem Jahr, "Burnt Weeny Sandwich", "Weasels Ripped My Flesh" und "Chunga's Revenge". Die neuen vier CDs enthalten vor allem Live-Mitschnitte, aber auch unbekannte Songs, die er damals aussortierte. Wenn man Zappa eher mit normaltemperiertem Interesse betrachtet, ist nichts dabei, was an die drei regulär veröffentlichten Alben von 1970 heranreicht, von "Hot Rats" aus dem Jahr davor ganz zu schweigen. Aber für Zappaologen ist die Box sicher ein Grund, auf der Stelle zu feiern, wie es dem früh verstorbenen Meister entspräche: ohne Alkohol, dafür mit sehr viel Kaffee und Zigaretten.

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SZ vom 30.06.2020
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