Süddeutsche Zeitung

Retrokolumne:Auf gute Art verrückt

Lesezeit: 3 min

Die britische Avantgarde-Pop-Ikone Kate Bush hat ihr Werk überarbeitet. Man kann sich allerdings kaum vorstellen, dass jemals irgendetwas ihr Studio verließ, das nicht ganz genau ihren Vorstellungen entsprach. Lohnt sich die neue 4-CD-Box?

Von Jan Kedves

In Großbritannien stehen Feministinnen vor einer Herausforderung. Der Kampf um Gleichberechtigung muss weitergehen, aber an der Spitze des Landes steht zum zweiten Mal eine Frau, die furchtbare Politik macht.

Entsprechend groß war der Schock, als vor knapp drei Jahren die britische Pop-Ikone Kate Bush, die mit ihrem Werk unzählige jüngere weibliche Popstars wie Björk, Adele oder Lorde ermächtigt und inspiriert hat, in einem Interview Theresa May lobte: "Ich finde, sie ist das Beste, was uns seit langem passiert ist. Sie ist eine sehr intelligente Frau, wir haben nichts zu befürchten", so Bush über die damals gerade zur Brexit-Vollstreckerin ernannte Premierministerin.

Nun gehört zum zeitgenössischen Feminismus selbstredend auch das Verständnis, dass eben nicht jede Frau besonders europafreundlich, progressiv oder gar feministisch sein muss. Und doch wuchs unter den Kate-Bush-Fans, die sonst zu den treuesten Popfans der Welt gehören, die Verunsicherung.

Die Teilnehmerzahlen beim jährlich zelebrierten "The Most Wuthering Heights Day Ever" gingen zurück. An dem Tag treffen sich Kate-Bush-Fans in roten Wallekleidern in öffentlichen Parks, um den Eurythmie-Ausdruckstanz aus Bushs Debütvideo "Wuthering Heights" von 1978 nachzutanzen. Beim ersten Treffen, im Sommer 2016, tanzten in Berlin Tausende auf dem Tempelhofer Feld - vor besagtem Interview. Im vergangenen Jahr, im Görlitzer Park, waren es nur noch knapp 130.

Vor einigen Wochen veröffentlichte Kate Bush endlich eine Klarstellung auf ihrer Website: Es sei sehr frustrierend für sie gewesen mitzuverfolgen, wie das Zitat immer aus dem Kontext gerissen und endlos wiederholt wurde, schreibt sie. Sie habe damals doch nur ihre grundsätzliche Unterstützung für eine Frau im höchsten Amt des Staates zum Ausdruck bringen wollen, aber: "Falls es so klang, als sei ich eine Unterstützerin der Tories, möchte ich klarstellen, dass ich das nicht bin."

Man darf Kate Bush nun also wieder ganz beruhigt genießen, wobei sich ihre Fans im Internet nun allerdings uneins darüber sind, ob ihr groß angelegtes Remastering-Projekt, das sie am Internationalen Frauentag am vergangenen Freitag mit der Veröffentlichung der 4-CD-Box "The Other Sides" (Fish People/Warner) abgeschlossen hat, Sinn ergibt, beziehungsweise: ob man überhaupt einen Unterschied hören kann.

Remasterings versprechen ja, aus alten Aufnahmen etwas herauszuholen, das früher aus technischen oder kreativen Gründen verborgen blieb - mehr Bass, mehr Brillanz in den Höhen, solche Dinge. Kate Bush war nun jedoch stets eine Künstlerin, die volle Kontrolle über ihr Werk behielt, als Autorin ihrer Songs, als Produzentin im Studio, sogar als Regisseurin ihrer eigenen Videos. Man kann sich kaum vorstellen, dass jemals irgendetwas ihr Studio verließ, das klanglich nicht ganz genau ihren Vorstellungen entsprach.

So gesehen sollte man "The Other Sides" wohl weniger in Erwartung neuer Offenbarungen im Sounddesign hören, sondern sich stattdessen darüber freuen, dass hier die 12"-Versionen ihrer frühen Hits versammelt sind - sechseinhalb Minuten "Cloudbusting", siebeneinhalb Minuten "The Big Sky", immerhin fünfeinhalb Minuten "Running Up That Hill". Tolle Songs werden länger ja doch fast immer nur noch toller.

Die Versionen erinnern daran, dass Kate Bushs Musik früher tatsächlich einmal so etwas wie Dancemusik war - zum Beispiel wenn in "Running Up That Hill" in Dub-artigen Cut-up-Passagen ihre Gesangs-Schnipsel collagiert und in der Tonhöhe moduliert werden, sodass es fast nach experimentellem Elektro und/oder Hip-Hop klingt, oder jedenfalls: immer noch sehr modern.

Zum anderen könnte man sich darüber freuen, dass auf "The Other Sides" endlich das zwar überschaubare, bisweilen auch sehr schräge, aber durchweg bestechende Coverversions-Oeuvre von Kate Bush versammelt ist.

Den Gershwin-Standard "The Man I Love" interpretierte sie 1994 mit Hilfe des legendären Beatles-Produzenten George Martin in einer buttrig-ledrigen Luxusversion mit Mundharmonika-Solo. Aus "Rocket Man" von Elton John wird ein Reggae (!) mit indischer Sitar und betörendem Solo aus dem irischen Ellenbogen-Dudelsack. Das klingt verrückt, ist es auch, aber auf eine sehr gute Art.

Am Tollsten: "Sexual Healing" von Marvin Gaye. Bush bewahrt den plastisch ploppenden Swing der Roland-Drummachine TR-808, wie er schon das Original charakterisierte, darüberhinaus kommt dann die herrliche Eigenheit der Briten zum Tragen, alles was mit Sex zu tun hat so anders, so unamerikanisch auszusprechen. So wenig vulgär wie möglich? So klingt es jedenfalls für nicht-britische Ohren, wenn das Wort fast ein wenig pikiert an den Zahnspitzen baumelt: "Sek-tsuality", oder im Fall von Bush, die hier ja den ultrasexuellen Gaye interpretiert: "Sek-tsual healing is good for me!" Dazu dann noch ein Solo aus dem irischen Ellenbogen-Dudelsack, der nie erotischer klang als hier, und die ganze Box lohnt die Anschaffung.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4362793
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.03.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.