Süddeutsche Zeitung

Retro-Kolumne:Hypnotisch

Amerikanische Bluesmusiker pilgerten einst zu dem 2006 gestorbenen Gitarristen Ali Farka Touré nach Mali. Die Region wird heute von Dschihadisten beherrscht; sein Meisterwerk "Savane", das jetzt neu aufgelegt wurde, mahnt faszinierend an bessere Zeiten.

Von Jonathan Fischer

Niafunke, ein beschauliches Dorf am Ufer des Niger im Norden von Mali, genießt unter Musikliebhabern eine magische Aura: Das liegt vor allem an Ali Farka Touré. Von hier stammt der größte Bluesgitarrist Westafrikas, hierher kehrte er immer wieder zurück. Zuletzt 2004, als er vom flüchtigen Ruhm des Popgeschäfts und Tour-Business enttäuscht sich seiner Farm widmete und sich zum örtlichen Bürgermeister wählen ließ.

Heute wagt sich kaum noch jemand hierher. Dschihadisten kontrollieren einen Großteil der Region. Polizei, Bürgermeister, Lehrer haben vielerorts die Flucht ergriffen, hunderte von staatlichen Schulen geschlossen, ja selbst Hochzeitsfeste, traditionell die Bühne für die Musiker Malis, fallen immer häufiger der Bedrohung durch bewaffnete Extremisten zum Opfer.

Umso wichtiger ist es, an die großartige Musik zu erinnern, die hier entstand - und immer noch entsteht. Seit Ali Farka Tourés Tod im März 2006 ist der Sänger und Gitarrist zu einem National-Idol herangewachsen, eine Mischung aus Jimi Hendrix, Bob Marley und afrikanischem Wunderheiler. Immerhin, so heißt es in Mali, habe der muslimische und aus einer Adeligen-Familie stammende Musiker mit den Flussgeistern kommunizieren können, beherrschte mindestens sieben der lokalen Sprachen und stand für die kulturelle Offenheit des Vielvölkerstaates Mali.

Da passt es, dass das Plattenlabel World Circuit Tourés bestes Album "Savane" wiederveröffentlicht. Und zwar erstmals in entsprechend wertiger Aufmachung: Als Doppelalbum auf Vinyl mit Booklet im LP-Format. Letzteres bietet nicht nur großartige historische Fotos, sondern auch Erklärungen zu jedem Song. Es geht um schöne Frauen, große Viehherden und Geisterbeschwörungen. Aber eben auch um Politik: "Ohne Bildung wird keine Regierungsmaßnahme nachhaltig wirken. Weg mit den schlechten Anführern!" fordert der Bluesmann in "Yer Bounda Fara". Das können Malier auch heute aus vollem Herzen mitsingen. In "Machengoidi" fragt Ali Farka Touré Lehrer und Bauern, was sie zur Entwicklung des Landes geleistet haben - und lässt den Chor in hypnotischem Singsang antworten: "Wer noch? Was habt ihr beigetragen?" Der Titelsong aber richtet sich an den Westen, der statt Waffen lieber Wasserpumpen liefern solle, "damit wir ein besseres Leben führen, Wissen und Weisheit ansammeln können..." Ein hochaktuelles Thema.

Und dann erst die Musik: Wie kann dieser zeitlose Sound so modern klingen? Ali Farka Touré setzt auf den kratzigen Blues der traditionellen Ngoni-Laute. Bassekou Kouyate und Mama Sissoko begleiten ihn mit melancholisch-schmutzigem Timbre, bisweilen kommen noch eine dritte Ngoni, eine Njarka-Violine und eine karge Rhythmusgruppe dazu. Die Gesamtatmosphäre von "Savane": extrem zurückgelehnt.

Geprobt hat Ali Farka Touré angeblich nie. Dafür beherrschte er die Kunst, seine Gitarre zu verlangsamen, Löcher ins Musikgewebe zu reißen, die seine Mitmusiker dann ausfüllen durften. Es war wohl die Idee seines langjährigen Produzenten Nick Gold, die Blues-Harmonika von Little George Sueref und Pee Wee Ellis' Saxophon dazu zu mischen: Ein Verweis auf die Echos über den Black Atlantic hinweg - vieles klingt wie die afrikanische Antwort auf die Work- und Prisonsongs, die die Lomaxbrüder einst im ländlichen Mississippi aufnahmen. Ali Farka Tourés rauher Gesang und Picking-Stil erinnert mehr als einmal an die Größen des Country-Blues. Während der Rhythmus von "Savane" gar karibische Dub-Reggae-Assoziationen weckt.

Sollten Sie nur ein einziges Album aus Mali in Sammlung aufnehmen - dann dieses!

Kein Wunder, dass amerikanische Bluesmänner reihenweise an den Niger pilgerten, hier die pentatonische Wiederverzauberung ihres oft schon arg abgedroschenen Klanguniversums suchten. Unter anderem Taj Mahal und Ry Cooder haben in den Neunzigerjahren mit Ali Farka Touré aufgenommen. Die "Savane"-Sessions allerdings standen schon unter dem Stern des Abschiedes. Ali Farka Touré war Krebs diagnostiziert worden - und er wusste wohl, dass die zeitgleich in Bamako eingespielten Aufnahmen zu seinem Album mit dem Koraspieler Toumani Diabaté und "Savane" auch seine letzten sein würden. Vielleicht lässt sich damit die Intensität dieser Aufnahmen erklären. Über den knappen, zurückhaltenden Rhythmen singt er sich regelrecht in Trance - und pflegt das Ruf- und Antwortspiel mit den Stimmen des Chors, ein Verweis auf die Rolle, die Musikern in Mali als Sprecher der Gemeinschaft zukommt. Eigentlich hatte Touré seinen Frieden als Farmer und Lokalpolitiker gefunden. Aber, so sagte er nach Jahren des Rückzugs in Niafunke, er fürchte, die Jungen könnten die traditionelle Musik vergessen. Im Rückblick eine vollkommen unberechtigte Sorge: Die Songs aus "Savane" schallen von Bamako bis Timbuktu aus Busbahnhöfen, Friseursalons und Nachtclubs. Und sie inspirieren längst Dutzende junger Musiker der Peulh, der Sonrai bis hin zu den im Westen populären Tuaregbands. Sollten Sie nur ein einziges Album aus Mali in Ihre Plattensammlung aufnehmen - dann dieses Meisterwerk!

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4773355
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.01.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.