Süddeutsche Zeitung

Retro-Kolumne:Bruder Leichtfuß

Lesezeit: 3 min

Paul McCartneys frühe Soloalben galten Zeitgenossen als seicht und orientierungslos. Dabei sind sie begnadet leichtfüßig dahingespielt.

Von Jens-Christian Rabe

Gerade wurde das neue Album "Egypt Station" von Paul McCartney völlig zu Recht sehr gelobt und dann auch noch "Thrillington" wiederveröffentlicht. Das sind fast schon zwei Gründe zu viel, um in dieser Kolumne mal wieder über den Softrock der Siebziger im Allgemeinen und den Paul McCartneys der Siebziger im Besonderen zu schreiben. Beide leiden ja pophistorisch chronisch unter einem viel zu schlechten Ruf. Und zwar völlig zu Unrecht.

Wobei sich zur Ehrenrettung das lustige "Thrillington" nicht ganz so gut eignet. Kurz nach der Veröffentlichung seines 1971 erschienenen, zweiten Soloalbums "RAM" hatte McCartney den Arrangeur Richard Hewson, der schon bei "Let It Be" geholfen hatte, beauftragt, eine Big-Band-Version von "RAM" aufzunehmen. Das wurde "Thrillington", veröffentlicht 1977 unter dem Pseudonym Percy "Thrills" Thrillington. Der Meister erfand unter einem weiteren Pseudonym für den Klappentext sogar eine fiktive Lebensgeschichte Percy Thrillingtons. Nun ja. Das dürfte britischer Humor sein, wenn er sich besonders wenig Mühe gibt. Oder viel zu viel.

McCartney gab offiziell erst 1989 während einer Pressekonferenz zu, dass er hinter dem Album steckte, ein offenes Geheimnis war es natürlich schon kurz nach der Veröffentlichung 1977. "Thrillington" floppte damals glorios, und wenn man das Album heute hört, wundert man sich nicht darüber. In einer großen Fernsehshow, live auf der Bühne kann eine Big-Band-Version eines Popsongs ja eine nette Pointe sein, auf Albumlänge eher nicht. Klimperpiano, getragene Streicherwolken, große Bläserstürme und spitzlippige Sänger-Dubidubidubidubidus bigbandeln ja meistens noch aus dem besten Song nur seine Ununterscheidbarkeit heraus und degradieren ihn zum albernen Showtreppenwitz. Als Kuriosität ein ewiges Sammlerstück für Hardcore-Fans zu bleiben - dieses Schicksal geht für "Thrillington" wirklich absolut in Ordung.

Aber wer "Thrillington" sagt, muss eben auch "RAM" sagen - und dieser Fall liegt ganz anders. Am Anfang natürlich nicht unbedingt. Abgesehen davon, dass "RAM" - ebenso wie das ein Jahr zuvor erschienene erste McCartney-Soloalbum "McCartney" - große kommerzielle Erfolge waren, sich millionenfach verkauften, waren Kritik und Weggefährten ziemlich enttäuscht. Die Platte sei stilistisch orientierungslos und seicht, die sentimentale Fingerübung eines satten Superstars. George Martin stellte boshaft lapidar fest, dass McCartneys Ehefrau und Musik-Komplizin nach dem Ende der Beatles, Linda McCartney, kein Ersatz für John Lennon sei. Lennon seinerseits - formvollendet gehässig - fand "RAM" beim ersten Hören "schrecklich". Beim zweiten Mal, sagte er in einem Interview 1972, habe er dann den Plattenspieler etwas anders eingestellt und es habe besser geklungen: "Ich mochte ein paar Stücke wie ,My Dog It's Got Three Legs' oder wie das heißt und die Einleitung von 'Uncle Albert.' (. . .) Alles in allem denke ich, sein anderes Album war irgendwie besser. Da waren wenigstens ein paar Lieder drauf." "My Dog It's Got Three Legs" oder wie das heißt - oha, da war der alte Groll noch lange nicht verflogen.

Der Song hieß natürlich nur "3 Legs", aber McCartney war hier wirklich alles andere als der gute alte nette Paul. Lennon hatte Gründe, zornig zu sein, er hielt den Song für einen persönlichen Angriff. Die Refrain-Zeile "My dog, he got three legs / But he can't run" handelte natürlich nicht von einem dreibeinigen Hund, bei dem es ja eher kein Wunder wäre, wenn er nicht mehr rennen kann. Der dreibeinige Hund waren die drei Beatles, die ohne ihn, McCartney, nicht mehr funktionierten. Und auch die Lesart, wonach mit dem dysfunktionale dreibeinigen Hund McCartney, Lennon und dessen Ehefrau Yoko Ono gemeint sind, ohne die Lennon in der Endphase der Beatles fast nirgendwo mehr auftauchte - auch sie dürfte Lennon verärgert haben. Ebenso wie die Tatsache, dass die "RAM"-Songs "Oh Woman, Oh Why" und "Too Many People" sich nur sehr, sehr schwer als Versöhnungsangebote interpretieren lassen. Aber wen interessiert das eigentlich noch, wenn doch die Musik so fantastisch gealtert ist? Was einst offenbar seicht und orientierungslos klang, hört sich heute doch einfach nur famos beweglich und begnadet leichtfüßig dahingespielt an.

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Quelle:
SZ vom 25.09.2018
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