Restaurierte Werke von Caspar David Friedrich:Von wegen German Angst

Restaurierte Meisterwerke in Berlin

Restaurierte Meisterwerke in Berlin: "Mönch am Meer" (l) und "Abtei im Eichwald" werden in der Alten Nationalgalerie in Berlin gezeigt.

(Foto: dpa)

Caspar David Friedrich wird als der deutsche Meister der Schwermut verehrt. Die spektakuläre Restaurierung zweier Hauptwerke in Berlin zeigt jetzt ein anderes Bild.

Von Kia Vahland

Lesedauer: 10 Minuten

Manchmal braucht der Mensch Hilfe. Er kann nicht alleine durch die Zeit reisen, kann nicht wirklich wissen, wie es sich vor, sagen wir, 206 Jahren lebte. Wie das Meer damals roch, wie der Schnee unter den Sohlen knirschte. Wie ein Holzsarg auf der Schulter lastete, wenn man in der Dämmerung einen Weggefährten verabschiedete.

Der Mensch braucht Augenzeugen, die älter sind als er. Das Internet gibt keine Auskunft und auch kein Lebender. Die Eiche vielleicht, vor Hunderten Jahren gepflanzt, doch sie behält ihr Wissen für sich. Also müssen Gemälde helfen. Wie sah die Welt von 1810 aus, wie fühlte sie sich an?

"Als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären"

Caspar David Friedrich wusste es genau, als er bei einem Handwerker eine fast dreieinhalb Meter lange Leinwand kaufte. Sie war bereits grundiert, um es den Malern bequem zu machen: Mit Spachtel und Rolle hatte der Verkäufer grob helle Farbe aufgetragen, so dass der Künstler gleich loslegen konnte. Er zerschnitt das Tuch in der Mitte und spannte die beiden Stücke auf zwei Holzrahmen. Ein Bild sollte den Himmel zeigen, den Strand und das Meer. Die Unendlichkeit. Das andere dagegen die Endlichkeit, einen Toten, der unter kahlen Bäumen zu Grabe getragen wird.

Frisch aus dem Atelier stellte Friedrich den "Mönch am Meer" und die "Abtei im Eichwald" im September 1810 in der Berliner Akademie aus. Die Betrachter wussten nicht, ob sie glücklich sein sollten oder entgeistert. Sie wussten nur, dass diese Bilder ihre Sicht auf die Welt ändern würden. Über das Bild des Mannes am Ufer schrieb Heinrich von Kleist: "Da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit, nichts als den Rahmen zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären."

Nur: Was genau sah Kleist, was die anderen Besucher der Ausstellung von 1810?

Die angeblich ewige Schwermut der Deutschen

Die Gemälde sind heute die Aushängestücke der Alten Nationalgalerie in Berlin. Wie sonst nur noch Friedrichs bekannteste Rückenfigur, der "Wanderer über dem Nebelmeer" aus Hamburg, stehen sie weltweit ein für deutsche Kunst und deutsche Befindlichkeit. Sie wurden tausendfach beschrieben, millionenfach bewundert, immer wieder ahmen Pressefotografen, PR-Agenturen, Smartphone-Nutzer sie nach. Alle erkennen sie in ihnen ihre eigene Melancholie wieder, und wenn nicht das, dann doch wenigstens "German Angst", die angeblich ewige Schwermut und Weltfurcht der Deutschen. Schaut er nicht trist aufs Meer, der einsame Mönch? Liegt sie nicht düster im Nebel, die Abtei? Lasst alle Hoffnung fahren.

Zeugen aber dafür, wie Caspar David Friedrich im Jahr 1810 die Welt sah, waren die beiden Gemälde bislang nur bedingt. Denn bis zu sieben Schichten von Firnis, dem schützenden Überzug über Ölgemälden, stapelten Restauratoren der vergangenen zweihundert Jahre auf die Originale. Diese Schichten sind stark nachgedunkelt, zudem hat der Blauton im Schnee der "Abtei" sich unglücklich ins Matschigbraune verfärbt.

Dem Seh-Eindruck von 1810 kommt man jetzt so nah wie seit anderthalb Jahrhunderten nicht

Jetzt wurden die Werke in der Alten Nationalgalerie umfangreich untersucht und mit Hilfe der Krupp-Stiftung restauriert. Das Team um Chefrestauratorin Kristina Mösl trug alle späteren Schutzüberzüge ab. Es gibt Schäden, die sind irreparabel, etwa ein Stockschlag, der vor dem Bauch des Mönches einst die Leinwand durchbrach, oder die Spuren des Bügeleisens, mit dem im frühen 20. Jahrhundert jemand dem "Mönch am Meer" eine zweite Leinwand von hinten aufdrückte. Doch insgesamt kommt der Anblick der beiden Bilder dem Seheindruck von 1810 nun so nahe wie seit anderthalb Jahrhunderten nicht mehr.

Aktuelles Lexikon: Melancholie

"Es liegt in derselben", so meinte der Philosoph Sören Kierkegaard, "etwas Unerklärliches. Wer Leid oder Kummer hat, weiß, weshalb er traurig oder bekümmert ist. Fragt man einen Schwermütigen, was der Grund seiner Schwermut sei, was als Last auf ihn drücke, so wird er antworten: Ich weiß es nicht, ich kann es nicht erklären. Darin liegt die Unendlichkeit der Schwermut." In der Vier-Säfte-Lehre der antiken Medizin war die Melancholie, so die griechische Wortbedeutung, ein Überschuss an "schwarzer Galle". Im Mittelalter verband man sie als "Mönchskrankheit" mit der Trägheit, einer der sieben Todsünden. Die heutige Psychiatrie versteht die Melancholie, sofern nicht nur der Anflug einer Stimmung gemeint ist, als eine depressive Erkrankung, die in verschiedenen Schweregraden auftritt. In Albrecht Dürers bis heute nicht zu Ende gedeutetem Kupferstich "Melencolia I" aus dem Jahr 1514 erkennt man eine Grübelei, aus der sich aber auch Wissenschaft und Kreativität speisen. Der moderne Geniekult sieht den Künstler gern als Melancholiker, als Persönlichkeit und in seinen Werken. So auch den romantischen Maler Caspar David Friedrich. Nachdem aber sein berühmtes Bild "Der Mönch am Meer" bei einer Restaurierung deutlich aufgehellt wurde, regt sich jetzt Zweifel an der Auffassung, dass Friedrichs Kunst nichts als trübsinnige Versenkung ausdrücke. Johan Schloemann

Das Ergebnis? Es strahlt. Die Bilder leuchten hell und hart, blenden das Auge in ihrer farblichen Klarheit. Die Gewitterwolken über dem Meer sind verflogen. Was jetzt noch vage an ein kommendes Unwetter denken lässt, sind die leichten, bogenförmigen Abdrücke über dem Horizont - doch sie sind lediglich dem groben Farbauftrag geschuldet, mit dem der Leinwand-Verkäufer einst den Stoff grundierte. Darauf trug Friedrich ganz dünn glänzende Smalte auf, ein blaues Pigment aus Glas, so fein, dass der Himmel nun wieder transparent wirkt, nicht mehr opak.

Auch jetzt steht der Mönch allein und klein am Meer, überwältigt von der Größe der göttlichen Natur. Immer noch lehrt sie ihn Demut. Friedrich war Protestant, die Betrachter dieses Gemäldes ermahnte er in einer eigenhändigen Interpretation: "Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strande; doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spur wird nicht mehr gesehen: törichter Mensch voll eitlem Dünkel!"

Doch dieser Zustand von Kleinheit, die Einsicht in die eigenen Grenzen ist vor dem Bild heute gar nicht mehr beängstigend. Hell ist der Himmel, unendlich schön das Meer, und um den Kopf des Mönches flattern unter dem Dreck neu entdeckte Möwen als Mittlerinnen zwischen oben und unten, Jenseits und Diesseits.

Der Tod ist nicht zu besiegen, er ist Teil des Lebens

Aufbauen wollte der Künstler sein Publikum ganz offensichtlich - nicht einschüchtern. Er wünschte ihm weder Depressionen noch Minderwertigkeitsgefühle. Im Gegenteil, Friedrich gehörte zu den freiheitsliebenden Deutschen des frühen 19. Jahrhunderts; nicht von Unterwerfung träumte er, sondern davon, das Leben zu gestalten. Das aber hieß für ihn nicht, übermütig zu werden und Gottes Schöpfung infrage zu stellen. Es hieß, die eigene Beschränktheit nicht zu fürchten, sondern anzunehmen und etwas daraus zu machen.

Alles andere sind spätere Interpretationen, genährt durch die vermeintliche Dunkelheit des Bildes, geschürt aber in den Jahren lange nach Friedrichs Tod 1840, als sich die freiheitlich-patriotischen Regungen in ihr Gegenteil verkehrten. Die abgrundtiefe Verlorenheit und das Gefühl, der Welt nicht gewachsen zu sein, sind nur die Kehrseite der Allmacht und Überlegenheit, in welche die Deutschen sich später als kriegstreibende Großmacht hineinsteigerten. Beides hat Friedrich nicht gewusst und nicht gewollt.

Die Selbstbesoffenheit auf die Spitze trieben die nationalsozialistischen Kunsttheoretiker. Hitler hatte andere Lieblingskünstler, aber er schätzte Friedrich. Eine "rassenseelische Veranlagung" erkannte der NS-Ideologe Kurt Karl Eberlein in dem "Mönch" und "nordischen Kunstgeist". "Undenkbar" sei eine solche Bilderfindung in der Kunst des Südens. Ein "Heldenleben" attestierte er Caspar David Friedrich: "Denn dieser Einsame blieb Sieger gegen alles Leid und gegen alle Widerstände der Welt". Das deutsche Selbstmitleid war endgültig umgeschlagen in Triumphgeheul.

Demut vor der Schöpfung heißt nicht Hoffnungslosigkeit. Das Leben vergeht - und beginnt

Sieger gegen alles Leid? Nein, der Tod ist nicht zu besiegen, er ist Teil des Lebens. So wie die "Abtei im Eichwald" jetzt aussieht, nach der Restaurierung, ist das immer noch keine ganz behagliche Perspektive. Es friert vor der Klosterruine, deren vages Vorbild Eldena bei Greifswald war. Das Grab, in das der tote Klosterbruder sinken wird, öffnet sich dunkel im nun leuchtenden Schnee. Doch der undurchsichtige Nebel, von dem die meisten späteren Interpreten schwadronierten, hat sich weitestgehend verflüchtigt. Der Blick ist frei gen Himmel, ins Jenseits, und der Mond scheint gleich viel freundlicher. Es sind jetzt sogar die ersten Knospen an den Ästen zu erkennen: Die Eichen sind gar nicht tot, sie halten nur Winterruhe. Das Leben vergeht, und es beginnt.

Der verstorbene Mönch wird nicht mehr von schwarzen, gesichtslosen Kapuzenträgern verscharrt, sondern von einer andächtigen Gemeinschaft von Individuen würdig erinnert. Sie durchschreiten das Tor. Früher verschlang sie ein dunkles Nichts, jetzt ist die Struktur der Architektur zu sehen: Pfeiler ordnen den dachlosen Raum, führen auf einen Altar zu. Auf ihm stehen zwei Kerzen, sie leuchten unten den Achseln des vorne hängenden Kruzifixes hindurch.

Caspar David Friedrich bietet keine hübschen Illusionen wie viele andere Maler der Romantik. Er tröstet kaum und erlaubt es den Betrachtern nicht, genüsslich selbstzufrieden in seinen Bildern zu schwelgen. Aber wer genau hinschaut, wird mit vielen kleinen Lichtblicken belohnt.

Stellt euch den Rätseln des Lebens, ruft der Maler

1810, als Friedrich in seinem Atelier den Schnee in Bleiweiß und mit etwas Blau auf die Leinwand tupfte, bekannte er in einem Brief: "Jetzt arbeite ich an einem großen Bilde, worin ich das Geheimnis des Grabes und der Zukunft darzustellen gedenke. Was nur im Glauben gesehen und erkannt werden kann und dem endlichen Wissen der Menschen ewig ein Rätsel bleiben wird (mir selbst ist, was ich darstellen will, und wie ich es darstellen will, auf gewisse Weise ein Rätsel)".

Stellt euch den Rätseln des Lebens, ruft der Maler, ich mache es auch. Tut nicht so, als wisset ihr alles besser als der liebe Gott, und hört auf, jammernd um euch selbst zu kreisen. Dann erkennt ihr vielleicht endlich die kleinen Knospen einer gar nicht so unwirtlichen Zukunft.

Selbsterkenntnis statt Selbstmitleid ist das Gebot dieser Malerei

Die jüngere Friedrich-Forschung hat sich verabschiedet von den dräuenden Deutungen über die schwere Symbolik von Eichen und Kreuzen. Kunsthistoriker wie Johannes Grave wittern nicht mehr in jedem Pinselstrich den Willen zum überheblich Erhabenen. Stattdessen geben sie dem Künstler den geradlinigen Protestantismus zurück, den ihm vor allem die nationalstolzen Deuter des späten 19. und frühen bis mittleren 20. Jahrhunderts nahmen.

Friedrich macht es demnach seinen Betrachtern bewusst schwer, in seine Bildwelten einzutauchen: Indem die Gemälde sich einfachen Gefühlswelten verweigern, werfen sie den Betrachter auf sich selbst zurück. Er soll seinem Inneren nachspüren, im Glauben sehen, wie Friedrich es ausdrückt. Selbsterkenntnis statt Selbstmitleid ist das Gebot seiner Malerei. Eindrucksvoll bestätigen die neuen Restaurierungsergebnisse diesen nüchternen Blick auf die beiden Gemälde, mit denen die Deutschen sich seit vielen Generationen identifizieren.

Erst in dem, was zwischen Bild und Betrachter passiert, liegt die Freiheit.

Der erste Rezensent der Ausstellung von 1810 war der Schriftsteller Clemens Brentano, noch vor Kleist (der ihm später die herbe Formulierung von den abgeschnittenen Augenlidern in den Text hineinredigierte). Brentano wünschte sich, er könnte selbst am Meer stehen wie der "Mönch", er möchte auf die "Wasserwüste" schauen und sich hinübersehnen über das Meer. Er möchte seine eigene Stimme hören "im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, in dem einsamen Geschrei der Vögel". Doch: "Dies aber ist vor dem Bilde unmöglich, und das, was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nämlich einen Anspruch, den mein Herz an das Bild machte, und einen Abbruch, den mir das Bild tat, indem es mir denselben nicht erfüllte".

Erst in dem, was zwischen Bild und Betrachter passiert, liegt die Freiheit. Wir stehen nicht am endlosen Meer wie der Mönch, schreiten nicht mit den anderen in eine enge Ruine. Wir werden nach 200 Jahren nicht mehr den Schnee spüren unter den Füßen, auch wenn er jetzt wieder weiß erstrahlt. Aber wir müssen uns auch nicht mehr elendig fühlen vor diesen Gemälden. Denn jetzt führen sie einen bereits modernen Farbrausch vor, eine revolutionär anmutende Leichtigkeit inmitten der politischen Wirren des frühen 19. Jahrhunderts. Sie sind sinnliche Zeugen für ein Lebensgefühl, das anders war als das unserer Zeit, bescheidener und entschiedener zugleich. Vermutlich empfand das nicht jeder so damals. Friedrich selbst malte später auch einmal wieder konventioneller. In diesem Moment aber, im blauen Überschwang von 1810, kommt er uns nun nah wie nie zuvor.

Erschienen in der SZ vom 22.1.2016

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