Requiem von Giuseppe Verdi:Repertoiregetöse

Verdis Requiem könnte das Musikstück der Stunde sein, aber leider ist davon in Salzburg wenig zu spüren. Es reicht nicht, wenn die Bässe ihre Vokale eindunkeln: Riccardo Muti scheitert mit einem allzu routinierten Dirigat.

Von Rudolf Neumaier

Das Requiem von Giuseppe Verdi könnte das Stück der Stunde sein: der musikalische Kommentar zur Atmosphäre des gegenwärtigen Zeitalters, zum Schmelzen der Gletscher und Polkappen ebenso wie zu den aggressiven Protagonisten der Weltpolitik. Dieses berühmte Requiem wäre jetzt, wo alles auf die totale Katastrophe zusteuert, eine letzte Warnung mit großem Chor und noch größerem Orchester inklusive großer Trommel, die für die apokalyptischen Bombenexplosionsschläge zuständig ist. "Tagt der Rachetag den Sünden, wird das Weltall sich entzünden" - das "Dies irae" ist Verdis zentrales Element. Bei den Salzburger Festspielen haben die Philharmoniker und der Staatsopernchor aus Wien unter Riccardo Muti das Gebrause abgeliefert, das man sich von einem solchen Klangkörper erwarten darf. Doch ein mitreißendes oder gar niederschmetterndes Sterbeamt auf die Menschheit wurde es nicht, es blieb imposantes Konfektionsgetöse.

Die gut hundert Sängerinnen und Sänger, präpariert von ihrem Chorchef Ernst Raffelsberger, haben gut begonnen. Im "Te decet" des Introitus gaben sie sich wie ein Kirchenchor im besten Sinne: schlank und kultiviert, wie es in der Sakralmusik seit der Renaissance tradiert wird, das Requiem klang hier eher nach einer Rheinberger-Mottete als nach einer Verdi-Oper. Selbstverständlich ist es mit der polyphonen Zurückhaltung vom ersten "Dies irae" an vorbei, da ist brachiales Fortissimo gefragt. Wenn aber die Hälfte der Sänger beim berühmtesten Orkan geistlicher Chorliteratur auf ihre Notenblätter fixiert sind und bleiben, stellt sich die Frage, wie weit sie durchdrungen haben, was sie singen - und was Verdis Requiem eigentlich vermitteln könnte. Eine Idee zur Interpretation lässt sich kaum heraushören, die Aufführung kam über solide Repertoire-Verrichtung selten hinaus. Mitunter wirkte sie wie eine Generalprobe für die Rundfunk-Liveübertragung zwei Tage später.

Für Riccardo Muti, 78, ist dieses Requiem eine Routine-Angelegenheit. Er dirigiert es seit 1972. Wer so frei von Ambitionen ist wie der Maestro, kann die verhaltene Geste wählen und das Wagnis eingehen, dass Orchester und Solisten einander auch mal davonsingen oder -spielen. Das "Agnus Dei" zum Beispiel ist schon in zarterer Harmonie aufgeführt worden als an diesem Abend im Festspielhaus, und das lag gewiss nicht an den Sängerinnen Krassimira Stoyanova und Anita Rachvelishvili, die beide überzeugten - die eine andachtsvoll und fein, mit robustem Rachegöttinnen-Mezzosopran die andere. Francesco Meli war mit seinem Tenor in allen Höhen präsent, brachte ihn aber nicht zum Strahlen, dem in der Tiefe ausbaufähigen Ildar Abdrazakov hätte Muti bei der Probe sagen dürfen, dass die ewige Ruhe "Requiem aeternam" heißt und nicht "Requiem aetornom". Bässe machen sich gern mal düsterer, als sie und ihre Partien sind, indem sie Vokale eindunkeln. Allein durch solche Effekte wird eine Totenmesse noch nicht zum Abgesang auf die Menschheit, der sie sein könnte.

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