"Requiem" im Kino:Sie haben alle an die Dämonen geglaubt

Der Regisseur Hans-Christian Schmid über seinen Film "Requiem", in dem er von einem tödlichen Fall von Exorzismus erzählt.

Susan Vahabzadeh

Hans-Christian Schmid hat mit seinen Filmen von "Nach fünf im Urwald" über "23" bis "Lichter" eine der erfolgreichsten Regiekarrieren im deutschen Kino gemacht. Mit jedem Film wurde er ein wenig reifer und genauer. Sein neuer Film "Requiem" basiert auf dem Fall Klingenberg in den Siebzigern, als eine junge Frau bei einem Exorzismus starb.

"Requiem" im Kino: Hans-Christian Schmid

Hans-Christian Schmid

(Foto: Foto: Reuters)

SZ: Für die tatsächliche Geschichte, die "Requiem" zugrunde liegt, interessieren Sie sich schon sehr lange. Hat sich Ihre Wahrnehmung der Hauptfigur mit der Zeit verändert? Nur Opfer ist sie ja nicht.

Schmid: Meine Vorstellung wurde genauer, je mehr ich über sie erfahren habe. Aber eine grundsätzliche Veränderung gab es nicht - es gibt ja fundierte Quellen über den Fall Klingenberg. Ich denke, dass Anneliese Michel durchaus eine starke Person war, dass sie den Wunsch hatte, ein normales Studentenleben zu führen und irgendwann gedacht hat, sie sei auserwählt von Gott.

Sie litt an Epilepsie; das muss ja auch ein furchtbarer Zustand sein: jeden Augenblick damit zu rechnen, dass der Körper einem den Dienst versagt. Ich glaube, dass ihr am Ende dieser Exorzismus nicht mehr auszureden war; auch wenn ich immer noch denke, dass es einen Punkt hätte geben sollen, an dem die Eltern sagen: Das führt zu nichts, jetzt kommst du in die Klinik. Man muss sich aber immer vorstellen, dass alle - sie, die Eltern, die Pfarrer - tatsächlich geglaubt haben, dass es dämonische Besessenheit gibt. Das hat ihnen die Sicht versperrt.

SZ: "Konkurrierende Wirklichkeitserklärungen" nennt das Ihr wissenschaftlicher Berater Matthias Weber. Diese Idee spielt im Konzept des Films eine große Rolle.

Schmid: Der Aufbau des Drehbuchs von Bernd Lange ist fast symmetrisch: Es gibt neben der Hauptfigur die Eltern, zwei Pfarrer, Freund und Freundin. Diese Figuren stehen für bestimmte Wahrnehmungen der Wirklichkeit, es wird die Frage erörtert, ob Michaela krank ist oder besessen. Ich fand, das ist die Stärke des Drehbuchs: Es ist um Verständnis bemüht, nicht um ein schnelles Urteil.

SZ: Ist Ihnen während der Arbeit bewusst geworden, dass das mit dem aktuellen Phänomen des religiösen Fundamentalismus durchaus zu tun hat - diese absolut religiös versperrte Sicht?

Schmid: Das stand für mich nicht im Vordergrund, aber die Verblendung ist vielleicht ähnlich, die fehlende Zugänglichkeit - dass man sich mit jemandem tatsächlich nicht mehr hinsetzen und sagen kann: Entschuldige mal, glaubst du das wirklich? Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied - Michaela war Epileptikerin, und das Phänomen, dass sich Kranke auf der Suche nach Heilung in den Glauben flüchten, ist wohl schon etwas anderes, als dass jemand freiwillig für seinen Glauben zu sterben bereit ist.

Sie haben alle an die Dämonen geglaubt

SZ: Was hat Sie an der Story gereizt?

Schmid: Als ich "Himmel und Hölle" gemacht habe, meinen Film übers Engelwerk, ging es mir wirklich ums System. Diesmal nicht - ich habe in "Requiem" von Anfang an eine Mutter-Tochter-Geschichte gesehen, eine nicht geglückte Ablösung. Da gab es eine junge Frau, die gar nicht viel wollte - sie ist an der Uni ja eher im Bibelkreis zu Hause gewesen als dass sie sich an der Studentenrevolution beteiligt hätte. Aber sie wird immer wieder eingeholt von einer Krankheit, einer Psychose, einem Wahn, der sie dieses Leben nicht führen lässt - und der eine Kluft schafft, über die die Freunde und die Familie nicht hinwegkommen.

SZ: Ihre Hauptdarstellerin Sandra Hüller, die auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, hat vorher wenig fürs Kino gearbeitet. Woher wussten Sie, dass sie einen so schwierigen Part spielen kann? Beim Vorsprechen einen dämonischen Gefühlsausbruch spielen lassen, das geht ja nicht.

Schmid: Das geht nicht, nein. Ich habe sie zwei Szenen vorsprechen lassen, die Tanzszene und ein Gespräch zwischen der Hauptfigur und ihrem Freund. Sandra Hüller hat das ganz umwerfend gemacht - in einem völlig nüchternen Casting-Studio kam sie schnell an einen Punkt, an dem auf ihrem Gesicht alles zu sehen war, bis zu Tränen. Man hat schon beim Casting gemerkt, dass sie immer wieder neue Einfälle hat: Jemand, der weniger begabt ist, spielt über vier Takes fast dasselbe. Sandra hat viel Phantasie, ihr fielen immer neue Kleinigkeiten ein.

Und wie etwa die eine Szene in der Küche, dieser Ausbruch, sein würde - das hat sich vorher sowieso keiner vorstellen können, es war nur eine Szene auf dem Papier. Wir haben, als wir die letzten Einstellungen drehten, das Haus, in dem sie spielen, nicht mehr verlassen. Am Vorabend habe ich mir mit dem Kameramann überlegt, wie man die ganze Sequenz an einem Stück drehen könnte.

Das haben wir gemacht, und es entwickelte sich eine starke Eigendynamik. Es hat Sandra sicher geholfen, dass sie sich so ganz in die Szene hineinfallen lassen konnte. Aber danach war klar: Für heute ist Schluss. Alle waren fertig. Ich habe mir Sorgen um Sandra gemacht, ich dachte, ich muss sie erst mal in den Arm nehmen - aber ihr ging's gut.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: