Repräsentation im Bundestag:Je rechter, desto Bummsfallera

BundesadlerMusik

Wer links ist hört Rap, wer rechts ist hört die Nationalhymne? So einfach ist nicht.

(Foto: Stefan Dimitrov)

Was passiert, wenn man Bundestagsabgeordnete nach ihrem Lieblingslied fragt: Bei der AfD taucht "Das Lied der Deutschen" auf - viele Klischees bleiben aber aus. Eine Analyse.

Von Jakob Biazza

Es gab ja mal eine Zeit, in der war Popmusik Krieg. Doch, doch. Ist gerade mal ein paar Jahrzehnte her, da war man zum Beispiel entweder Rapper oder Metaler (und noch ein paar Jahrzehnte früher wohl: Mozart oder Salieri). Und wenn man eines von beidem war, wünschte man dem jeweils anderen nicht viel weniger als den Tod an den Hals: "Liegt der Rapper tot im Keller / war der Metaler wieder schneller." Dieses Niveau eben.

Man muss dieser Zeit nicht uneingeschränkt nachtrauern. Aber sie brachte, wenigstens im ganz Kleinen, schon eine gewisse Übersichtlichkeit mit sich. Wer etwas hörte, sagte damit zumindest sehr deutlich, was sie oder er nicht war. Man kann dem auch heute noch etwas nachspüren, wenn man für einen Moment überlegt, was man selbst in der Kategorie "Lieblingslied" notieren würde. Man hält da doch inne, zögert, wendet, zergrübelt: Ist das jetzt wirklich das eine Stück, das für alles steht? Die Art, wie ich die Welt sehe und noch mehr: fühle? Kurz: Ist das der Song, der mich ausmacht? Pop-Musik mag zur dogmatischen Kennzeichnung vielleicht nicht mehr sonderlich taugen, für ein bisschen Distinktion reicht es aber schon noch.

Volk und Vertreter

Dieser Text ist Teil eines Datenanalyse-Projekts, das die Repräsentativität des Bundestags untersucht hat. Mehr dazu lesen Sie hier.

Insofern ist die Frage, die die SZ den Abgeordneten des neuen Bundestages neben vielen anderen Fragen gestellt hat, vielleicht sogar die spannendste: "Was ist Ihr Lieblingslied?" In Zeiten wie diesen, in denen auch und vor allem bemäkelt wird, die politischen Parteien seien kaum noch voneinander zu unterscheiden, wäre Distinktion ja schließlich schon viel.

Warum Queen auf Platz eins der Bundestags-Charts ist

Und Antworten nach dem Schulabschluss, der Herkunft (Migrationshintergrund, Ost/West), dem Wohnort, dem Geschlecht oder der Religionszugehörigkeit sind doch recht banales Datenwerk. Beim Lieblingssong kann der Antwortende glänzen - oder krachend scheitern. Man stellt mit dem richtigen Sound zum Beispiel eine gewisse Zugewandtheit zum Hier und Jetzt aus. Vielleicht sogar Geschmackssicherheit. Und ganz vielleicht sogar so etwas wie, Achtung, Coolness.

Natürlich erwartet man da also grausige Klischees: Je linker, desto "Redemption Song". Je rechter, desto Bummfallera. Und dazwischen eben Queen. Queen sind gut, weil sie einfach alles für jeden haben. Genialität für Menschen, die sich für Genialität interessieren. Aber auch Pokalschwenker für die Umkleidekabine. Dazu bunte Euphorie und Tragödie, Queerness und Strukturkonservatismus. Queen sind das Grundgesetz, die Verfassung der Popmusik. Etwas, auf das sich wenigstens im Kern bis auf die AfD alle irgendwie einigen können. Deshalb belegen Queen auch den ersten Platz. Von den 132 Abgeordneten, die geantwortet haben, lieben fünf die Band (zweimal CDU, zweimal FDP, einmal Linke). Dicht gefolgt von Deep Purple, Frank Sinatra, Udo Jürgens (jeweils drei Nennungen) und Bette Midler, Herbert Grönemeyer, Die Ärzte, Linkin Park, Nena oder P!nk (je zwei).

Zu den ernsteren Erkenntnissen, die sich aus dieser Top Ten des deutschen Parlamentarismus ziehen lassen, gehört, dass die Abgeordneten musikalisch im Schnitt in den Siebziger- und Achtzigerjahren sozialisiert wurden. Wer die Lieblingsplatte auflegt, reist also relativ wahrscheinlich emotional in eine Zeit zurück, in der die Mauer noch stand, Homosexuelle in der BRD von der Polizei in Karteien erfasst wurden, Frauen in der Schweiz erst seit kurzem wählen durften und der V8-Motor gerne mal verbleite 20 Liter auf 100 Kilometer in die Luft pustete.

Klischees und deren Widerlegung

Zu den halbernsten Erkenntnissen gehört, dass "Das Lied der Deutschen" mit einer Nennung bei der Partei steht, bei der man das vermutet hätte - ohne Angabe allerdings, mit wie vielen Strophen. Rio Reiser (zwei Nennungen) auch. Klischees eben - aber dann auch deren Widerlegung: Der kanadische Progressive-House-Produzent Deadmau5 findet sich bei der CDU. Sowohl die AfD als auch die FDP mögen Depeche Mode - allerdings kann nur die AfD die Band richtig schreiben. Rammstein mögen AfD und SPD ("Du Hast" und "Du riechst so gut") - was ja vor allem mal wieder zeigt, wie wunderbar die Doppeldeutigkeit dieser großen Kunstband immer noch funktioniert. Parlamentarier sind außerdem auch ansonsten eher keine B-Seiten-Hörer. Wer Udo Jürgens sagt, sagt auch "Aber bitte mit Sahne". Bei Sinatra kommt "My Way" und "Fly Me To The Moon".

Zu den gar nicht ernsten Erkenntnissen gehört denn auch diese: Zwei Abgeordnete saßen also da - Auge in Auge mit der Frage, was ihr Lieblingslied ist. Wahrscheinlich hielten auch sie inne, zögerten, wendeten, zergrübelten: Ist das jetzt wirklich das eine Stück, das für alles steht? Die Art, wie ich die Welt sehe und noch mehr: fühle? Kurz: Ist das der Song, der mich ausmacht? Dann tippten sie "Atemlos" in die Antwortzeile.

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