Den Ratskeller in der Altstadt will Präkels zuerst nicht betreten, da er damals zu den von den Neonazis "besetzten" Orten gehörte. "Wir wussten nie, was oder wer uns dort erwartet, also machten wir einen Bogen darum." Nun geht es aber doch hinein, in der Gaststube riecht es nach kaltem Rauch. Spielautomaten, DDR-Devotionalien, ein altes Klavier, von dem eine Deutschlandflagge hängt. Der Wirt trägt Lederweste. Aus den Boxen schallt "Freiheit" von Marius Müller-Westernhagen: "Freiheit, Freiheit ist die einzige, die fehlt ..."
Ende der Neunziger fühlte sich Präkels in Brandenburg nicht mehr sicher vor den Neonazis
"Du bist Manja, wa?", meint der Wirt, es ist keine Frage. Präkels, ganz in Schwarz, in weitem Männerhemd, nickt, bestellt Bier, Schnitzel, Schrippe, zündet sich eine Zigarette an. Man merkt, dass sie sich unwohl fühlt. Sie vermisse den Lokaljournalismus, sagt sie, die Nähe zu den Menschen. Plötzlich flüstert sie augenzwinkernd: "Der hört uns ganz genau zu", sie meint den Wirt. Hat er ihr Buch gelesen? "Nein, aber meine Frau." Konnte sie was damit anfangen? "Manja kennt die Leute. Da ist schon viel Wahres dran", sagt er. Und dann: "Deine Mutter war meine Pionierleiterin."
Einen Auszug aus dem Roman stellt der Verlag auf seiner Internetseite zur Verfügung.
Zehdenick hat gut 13 000 Einwohner, man kennt sich. "Ich bin froh, dass meine Mutter endlich weggezogen ist", sagt Präkels später. "Wegen meiner Arbeit hatte ich immer das ungute Gefühl, sie zu gefährden. Dort. So allein." Präkels selbst ging viel früher. Ende der Neunziger fühlte sie sich in Brandenburg nicht mehr sicher, die Neonazis hatten es auf ihren damaligen Freund abgesehen. Plötzlich tauchten Rechtsextreme aus anderen Gegenden auf, die hatten keine Hemmungen. Das war die neue Dimension.
Also Berlin. Präkels studierte Philosophie und Soziologie. "In meiner ersten Zeit in Berlin habe ich darauf verzichtet, meinen Namen an die Klingel zu schreiben. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass jemand hinter mir her ist. So ganz verschwunden ist es nie." Sie schrieb Artikel in der linken Wochenzeitung Jungle World, brachte mit ihrem Mann Anthologien über Rassismus und Rechtspopulismus heraus, organisierte mehrmals ein Kulturfestival zu Ehren des Anarchisten und Literaten Erich Mühsam, der von den Nationalsozialisten ermordet worden war, und gründete die Band Der Singende Tresen, die seine Texte vertonte.
2015 kam es dann zu großen Protesten in Zehdenick, als ein Flüchtlingsheim eröffnet werden sollte. Nein-zum-Heim-Demos, von der NPD mitorganisiert. "Die Leute trugen Plakate mit dem Slogan 'Wir sind das Volk' und dem Symbol der Friedenstaube", erinnert sich Präkels. Dann flogen Steine. Dann Feuerwerksböller. Dann wurde einer schwangeren Geflüchteten im Supermarkt ein Einkaufswagen in den Bauch gerammt. Im Sommer 2017 überfielen Maskierte einen Pakistaner. "Die Bedrohungen für Nicht-Einheimische, Geflüchtete und Menschen anderer Hautfarbe sind in der letzten Zeit fast so schlimm wie in den Neunzigern", sagt sie. Dabei haben die meisten Arbeit und es ginge ihnen wirtschaftlich nicht schlecht. Trotzdem stimmten in Oberhavel bei der Bundestagswahl 18,6 Prozent für die AfD.
Diese Stadt am Fluss hat viel, das sich romantisieren lässt. Die Tongruben zum Beispiel, die daran erinnern, dass die Menschen hier früher einmal von der harten, schmutzigen Arbeit im Ziegelwerk lebten. Wäre man bloß eine der Fahrradtouristen, die zur Sommerzeit auf ihrer Tour von Berlin nach Kopenhagen hier einen kurzen Stopp einlegen, würde man sagen: hübsch hier. Es geht weiter nach Klein-Mutz, ein Dorf in der Nähe von Zehdenick, und der Ort, an dem Ingo Ludwig starb.
Manja Präkels sucht das Haus, in dem sich damals die Diskothek "Wolfskrug" befand, vor deren Tür alles passierte. Nun fährt sie in der Dämmerung schon ein zweites Mal im Schritttempo die Dorfstraße entlang. Links und rechts breite Rasenflächen, ein Fußweg, dahinter bescheidene Einfamilienhäuser in Beige, Rosa und sozialistischem Grau. Am Straßenrand hat jemand Kürbisse aufgestapelt. Plötzlich bremst sie, steigt aus. Im Nieselregen duftet es nach gebratenem Fleisch. Sie geht zu Fuß weiter, hält an. "Hier muss es gewesen sein." Nichts an dem Haus erinnert an die tödliche Nacht. Die Fassade sei vollkommen neu gestaltet worden. Eine Gedenktafel gibt es nicht.
Als Präkels durch den Kräutergarten des Ziegelhofs läuft, die handgeschriebenen Schildchen in den Beeten bewundert, den kleinen Glasvogel, der auf einer Vogeltränke sitzt, und vor dem Wasserschildkrötenhaus stehen bleibt, wird sie wehmütig. Sie vermisst Brandenburg: "Ich kann mir fast nichts Schöneres vorstellen, als hier über die Felder zu laufen oder im Wald Pilze zu suchen. Ich komme gerne her, mir gefällt der Landstrich. Ich mag Gegend und Menschen. Aber hier leben, das ist vorbei. Dafür ist zu viel passiert."