Theater "Angela I." in Bremen:Als wäre sie eine Königin zu Zeiten Shakespeares

"Angela I."   Bremer Shakespeare Company

Raute oder nicht Raute, das lässt Silke Buchholz als Kanzlerin bei den Proben noch mal ganz offen.

(Foto: Marianne Menke)

Die Bremer Shakespeare Company inszeniert ein Stück über Angela Merkel und das, was sie als Bundeskanzlerin hinterlässt. Ein Besuch.

Von Alexander Menden

Kürzlich wurde Stefan Otteni von einem Fahrgast im Regionalexpress von Hamburg nach Bremen gefragt, was er denn für ein "blödes Schwein" sei. Auslöser sei der Umstand gewesen, dass der Theaterregisseur es gewagt hatte, in aller Öffentlichkeit eine Angela-Merkel-Biografie zu lesen, sagt Otteni. "Warum muss man über die denn auch noch Bücher lesen?", habe der Mann gefragt. "Ein paar andere haben mich dann verteidigt: Lass den Mann doch lesen!", erzählt Otteni. "Am Ende war der ganze Wagen beteiligt. Und alle hatten eine sehr ausgeprägte Meinung zu Angela Merkel." Die Dynamik des Vorgangs war so spannend, dass er den professionellen Grund seiner Lektüre nicht verriet.

Aus dem gleichen Grund sitzt Otteni nun vor der Bühne des Theaters der Bremer Shakespeare Company und formt mit kleinen Einwürfen, Erläuterungen und Vorschlägen einen Dialog zwischen den Schauspielern Silke Buchholz und Markus Seuß. Die beiden stehen zwischen Kartons, die möglicherweise die Trümmer der Bundesrepublik repräsentieren. Vom Hof der Oberschule am Leibnitzplatz dringt schwach Pausenlärm herein, seit 1989 ist die Aula der Hauptspielort der Bremer Shakespeare Company.

Buchholz, in einen langen Trenchcoat gehüllt, ist Angela Merkel, die sich mit ihrem ehemaligen Fahrer in einem Metaphernwettstreit befindet. Der Fahrer redet irgendwas von einer Mutti, die sehr viele Kuchen backt. Merkel findet das Bild total schief und erklärt, das Regierungsarbeit eher dem Ausbrüten eines Eis mit bloßen Händen ähnele. "Die Ergänzung da gerade war gut, auch wenn's so nicht im Text steht", sagt Stefan Otteni. "Doch, steht so drin", meldet sich aus einer der hinteren Sitzreihen die Dramatikerin Katja Hensel.

Die Verwirrung ist verzeihlich, denn Hensel hat während der Proben zum Königsdrama "Angela I." den Stücktext immer wieder angepasst - ganz im Stil der elisabethanischen Aufführungspraxis, in der die Theaterkompanie unter anderem ihre Wurzeln hat.

Dass die Bremer Shakespeare Company sich mit zeitgenössischer Politik auseinandersetzt, genauer mit der Bundeskanzlerin, ist allerdings ungewöhnlich. Das Stück "Angela I.", das am 28. Februar seine Uraufführung erleben wird, wurde vor allem vom Erfolg der hiesigen Otteni-Inszenierung des Mike-Bartlett-Dramas "King Charles III." inspiriert. Darin wird anhand einer Spekulation darüber, wie Prince Charles wohl als König sein werde, diskutiert, was Demokratie ist, wie sie funktioniert, und ob sie am Ende ein König wird retten müssen.

"Während der öffentlichen Proben zu Charles III., die hier Tradition haben, haben wir gemerkt, dass die Zuschauer sehr interessiert daran waren, diese Themen zu diskutieren - dass das weit über den Royal- und Glamourfaktor hinausging", sagt der Regisseur. Das Rubrum "Königsdrama" für das Merkel-Stück solle zeigen, dass es nicht um Verwitzelung gehe. "Merkel ist vielleicht die letzte Politikerin, bei der man von einer Ära sprechen kann", erklärt Otteni. "Wir wollen sie so ernst nehmen, wie in Shakespeares Zeiten die Könige ernst genommen wurden. Was nicht heißt, dass Könige wie Richard III. oder Lear fehlerlos sind - im Gegenteil. Wenn man etwas ernst nimmt, kann man es ja umso härter kritisieren." Freunde des Regisseurs ermahnten ihn, nicht zu milde mit Merkel umzugehen - schließlich habe sie das Land ruiniert. Sie müssen sich keine Sorgen machen.

Was für eine "schillernde und rätselhafte" Figur

Da es im Theater problematisch sei, tagesaktuell zu arbeiten, habe man sich entschlossen, die Handlung des Stücks in die unmittelbare Zukunft zu verlegen, ein paar Monate nach Merkels Abtritt, sagt Katja Hensel. Die Dramatikerin, deren Tschechow-Bearbeitung "Sitzen in Hamburg" 2000 beim Impulse Festival den 3Sat-Fernsehpreis gewann, ist mit der kooperativen Arbeitsweise der Bremer Shakespeare Company vertraut. Unter deren Mitgründer Norbert Kentrup war sie einige Jahre selbst Teil des Ensembles. Allerdings empfand Hensel Merkel erst gar nicht als passende Hauptfigur für ein Königsdrama. Nach einer eher skeptischen ersten Reaktion auf den Auftrag, das Stück zu schreiben, sei ihr aber klar geworden, was für eine "schillernde und rätselhafte" Figur hinter der Fassade der vermeintlichen Eiskönigin stecke: "Außerdem ist in ihrer langen Regierungszeit auch sehr viel mit dem Land passiert. Wir zeigen ja keine Biografie, die kann man nachlesen, sondern wollen untersuchen, was sie ausgelöst hat, was sie hinterlässt."

Auch andere Theater greifen den derzeitigen Zustand der Politik auf, zum Beispiel Volker Lösch mit "Das Blaue Wunder" in Dresden. "Ich finde es aber spannender, das anhand einer einzelnen Figur zu diskutieren, als zu sagen: Wir machen jetzt mal ein Stück über Populismus", sagt Otteni. "Politiker haben von der Kunst kaum etwas anderes zu erwarten als Bashing. Wir fragen: Was ist, wenn ein Politiker versucht, wieder Kontakt zum Volk zu kriegen?"

Stefan Otteni, der sich selbst in der Flüchtlingshilfe engagiert, sieht eine gewisse Tragik in dem Umstand, dass Merkel, die "immer nur auf Züge aufgesprungen" sei, sich mit der einen Entscheidung, die ihr persönlich wichtig schien, der Grenzöffnung 2015, den Unmut eines Großteils der eigenen Bürger riskierte. Da endet nach seiner Ansicht dann im Vergleich zu einer absolutistischen Königin auch die Macht einer demokratisch gewählten Regierungschefin: "Es ist einfach nicht so, als habe Merkel alleine den Grenzbaum aufgemacht. Die hat das ganze Kabinett angerufen - Horst Seehofer war halt schon im Bett und ist nicht mehr ans Telefon gegangen." Die mangelnde Absprache Merkels mit den übrigen europäischen Kollegen sei auch nachvollziehbar: "Da hätte sie sich ohnehin nur fünf Abfuhren eingeholt."

Silke Buchholz, die die Kanzlerin spielt, ist erkältet, was man nur an der Erschöpfung nach der Probe merkt. Ob die "Merkel-Raute" einen Auftritt haben wird, verrät sie nicht, aber ihre Rolle hat die Schauspielerin offenkundig gut recherchiert: "Merkel selbst war nur einmal länger krank - eine ganz lange Erkältung. Da dachten alle schon, das sei der Anfang des Niedergangs", sagt sie. "2014 hat sie sich beim Skilanglauf das Becken gebrochen. "Danach hat sie viel abgenommen, aber das war schnell wieder drauf."

Ein Stück mit dem Titel "Angela I." noch während Merkels Amtszeit zu versuchen, verringert sicher nicht eben die Gefahr, zu scheitern. Aber nach Ansicht Katja Hensels ist es deutlich spannender, als damit ein paar Jahre zu warten, denn: "Hinterher werden alle mit Distanz draufschauen - das hier ist erst mal unsere persönliche Behauptung".

Außerdem könne man wilder spekulieren, ergänzt der Regisseur: "Was sie wohl wirklich macht, wenn sie in Rente ist - wird sie UN-Botschafterin, oder geht sie nur noch in der Uckermark schwimmen? Vielleicht finden wir am Ende heraus, dass Angela Merkel nicht halb so interessant ist, wie wir sie hier schildern."

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