Renzo Piano wird 70:Der einzige echte Star

Als Genueser liebt Renzo Piano das Wasser, das Licht und den Wind. Aber die Gebäude, die er errichtet, sind Architekturen, die das Licht feiern und keinen Wind machen. An einen großen Erzähler der Architektur.

Gerhard Matzig

Vor 45 Jahren hat sich Renzo Piano, der am Meer, in Genua, aufgewachsen ist, sein erstes Boot gebaut: ein Segelboot, dessen Rumpf aus Schichtholz bestand. Dann konstruierte er sich etwa alle zehn Jahre jeweils ein neues Boot - immer mit neuen Konstruktionen und neuen Materialien.

Einmal, es war die dritte Yacht, probierte er für den Rumpf sogar Ferrozement als Baustoff aus. Und das jüngste Boot, vom Stapel gelaufen 2001 in Viareggio, heißt "Kirribilli" - es ist hochmodern und extrem leicht.

In welchem seiner Büros man den Architekten, der einer der meistbeschäftigten und erfolgreichsten Formfinder der Welt sein dürfte, auch antrifft, in Paris oder Genua, in Osaka oder an einem anderen temporären Arbeitsplatz: immer ist irgendwo zwischen den Modellen, Skizzen und Plänen von Häusern ein Bild von seiner Yacht zu sehen - mit geblähtem Segel vor dem Wind.

Nun wäre es verführerisch, Pianos Architekturen, dieses schier unüberschaubare Werk, das aus Flughäfen und Museen besteht, aus Fabriken, Läden, Verwaltungsbauten oder Konzerthäusern, dazu aus Brücken und städtebaulichen Masterplänen oder eben auch aus den Booten und Schiffen, es wäre einfach, all diese unterschiedlichen Formen mit der Liebe des Architekten zum Wasser, zur Sonne und zum Wind zu erklären.

Man könnte Piano solcherart auf eine einfache Formel bringen. Das räumlich einprägsame, auf zeichenhafte Weise wellenförmige "Zentrum Paul Klee" in Bern, das erst vor zwei Jahren als eine der jüngsten Arbeiten Pianos vollendet wurde, wäre dann zum Beispiel das Meer; und die zehn bauchigen, neun bis 28 Meter hoch aufragenden Holzlattenschalen, die dem Kulturzentrum in Nouméa, Neukaledonien, seine markante Gestalt verleihen, wären natürlich Segel. Zu all dem passte dann auch eine dieser typischen Photographien, auf denen der bärtige Piano zu sehen ist, windzerzaust, das Ruder im Griff, den Blick auf den weiten Horizont gerichtet. Visionär.

Wie die meisten Formeln in der Architektur, wäre aber auch diese falsch. Wie viele Bilder in der Baukunst wäre auch dieses nur scheinbar in der Lage, die Welt dahinter aufscheinen zu lassen. Es stimmt zwar: Piano ist der Sohn nicht nur eines Ingenieurs und Bauunternehmers, sondern vor allem auch der Spross einer Hafenstadt; und richtig ist auch, dass sein aufregend terrassiertes Architekturbüro in Genua, gelegen auf einem dramatisch zum Meer abfallenden Grundstück und einem grandiosen Ferienbungalow ähnlicher als einer Arbeitsstätte, vor allem vom Blick aufs Wasser erzählt.

Kein Wunder also, dass man das Meer, das Licht, den Wind und eine mediterran-gelassene Atmosphäre, ja eine wie von der Sonne beschienene Leichtigkeit in allen seinen Bauten erkennen kann. Italien, sagen die einen dazu. Ingenieur, das wissen andere Interpreten.

Altbekannte Entdeckungen

Aber das Bild vom Bootsbauer und Segler erklärt etwas ganz anderes viel besser: Piano, der Zementrumpferprober und Tüftler, der Bastler und Konstrukteur, erforscht mit immer neuen Materialien und Formen nichts anderes als die immer gleich bleibenden, die uralten Bedingungen vom Leben.

Indem er der neugierigste Laborant seiner Zunft ist, zugleich aber auch der größte Archaiker seines Berufsstandes, dem schon Wind und Wasser als Urahnen aller architektonischen Herausforderungen genügen könnten, wurde Piano zu einem der wirkmächtigsten und überzeugendsten Architekten unserer Zeit.

Unter den Superstars der Jetset-Architektur, unter all den Hadids, Gehrys, Koolhaas', Libeskinds et al., ist Piano der einzige echte Star. Zum einen deshalb, weil er gar nicht weiß, was das denn sein soll: ein Star-Architekt, der keine Himmelskörper, sondern nur an seiner eigenen Marke baut. Zum anderen deshalb, weil ihm die Formel zur Marke fehlt: die Meier-Geometrie etwa. Oder die Hadid-Seifenlinie. Oder das Gehry-Gewürfel.

Piano stellt sich dagegen jedem architektonischen Problem immer wieder neu. So errichtet er Häuser, die stets Experimente sind - und die dennoch die uralte Geschichte des Häuserbaus, oft mit verblüffend einfachen Mitteln, weitererzählen. Piano erfindet in diesem Sinn alles neu - und gar nichts. Das macht seine Bauten eigensinnig genug, um sich in eine große Erzählung souverän einfügen zu können.

Es hätte anders kommen können. Denn schon mit dem spektakulären Bau des Centre Pompidou in Paris (1978, zusammen mit Richard Rogers), wurde Piano berühmt - ja berüchtigt. Die technoide Kunstmaschine, mitten hineingeworfen ins alte Paris, begründete seinen Ruf als Repräsentant der High-Tech-Architektur.

Es war das bald wohlgelittene Skandalon eines aggressiv ausgestellten Futurismus. Beides wäre markentauglich: Piano hätte also ein emsiger Fabrikant architektonischer Emblematik werden können, ein Star - und wurde etwas völlig anderes: Baumeister.

So hat er etliche Kunststätten errichtet, die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel etwa oder sein Gehäuse für die Menil-Collection in Houston, USA, die vor allem eines sind: Architekturen im Dienst der Kunst. Sie feiern das Licht und machen keinen Wind. Sie wissen aber, wie man sich diesen zu Nutze macht, um voranzukommen, um Entdeckungen im Altbekannten zu machen.

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