Süddeutsche Zeitung

Pollesch an der Volksbühne:Was für eine kleinmütige Entscheidung der Berliner Kulturpolitik

"Diverser, weiblicher, jünger" sollte die neue Leitung sein, hatte Kultursenator Klaus Lederer als Ziel vorgegeben. René Pollesch ist da eine Kuschellösung - mit populistischen Zügen.

Von Christine Dössel

Nun ist offiziell, was vorher schon gemunkelt wurde: René Pollesch wird 2021 Intendant der Berliner Volksbühne. Was für eine kleinmütige Entscheidung der Berliner Kulturpolitik. Ein Schritt zurück nach vorn. Der seine eigenen Stücke inszenierende Dramatiker, Jahrgang 1962, ist an dem legendären Haus am Rosa-Luxemburg-Platz ein alter Bekannter: Er war einer der prägenden Regisseure in der Ära von Frank Castorf. Pollesch war Kult. Pollesch steht für das, was die Volksbühne ein Vierteljahrhundert lang unter der Aufschrift "Ost" als Ort kapitalismuskritischer Widerständigkeit war. Eine oft gloriose Zeit, die aber ein für allemal vorbei ist. Offiziell beendet wurde sie, als 2017 der Museumsmann Chris Dercon die Intendanz übernahm, dessen Berufung einen teils widerwärtig geführten Kulturkampf ausgelöst hatte. Die Volksbühne wurde besetzt, man legte dem Neuen Fäkalien vor die Tür.

Dercon fuhr das Haus krachend an die Wand und ging nach nicht mal einer Spielzeit im April 2018. Seither wird das Theater übergangsweise von dem eigentlich als Geschäftsführer geholten Klaus Dörr geleitet und wieder aufgepäppelt. Der macht seine Sache verlässlich gut, sodass sich Kultursenator Klaus Lederer (Linke) viel Zeit lassen konnte für die Suche nach einem Nachfolger oder womöglich gar einer Nachfolgerin, jedenfalls für einen - so hoffte man - radikalen Neuanfang an diesem so bedeutenden Haus. "Diverser, weiblicher, jünger" solle die neue Leitung sein, hatte Lederer als Ziel vorgegeben. Leitungskollektive, basisdemokratische Modelle, Einbindung der freien Szene, Schauspiel-Tanz-Kombinationen - vieles wurde angedacht und von vielen diskutiert. Es gab sogar einen Kongress zur Zukunft der Volksbühne.

Dass es nun auf Pollesch hinausläuft, den neuen Alten, wirkt nach all den Monaten des Spekulierens und Sondierens beinahe verzagt. Wie ein Rückzieher vor der eigenen Courage, die Volksbühne zu verjüngen und völlig neu zu konzipieren. Und wenn schon Pollesch, warum dann erst jetzt? Diese Kuschellösung hätte man schon viel früher, wenn nicht sofort nach Dercons Demission haben können, um die Gemüter und die Volksbühnen-Mitarbeiter zu beruhigen. Im Jahr 2021, nach einer doch sehr deutlichen Zäsur, noch einmal anknüpfen zu wollen an die alten Castorf-Zeiten, kann nicht der Weg in die Zukunft sein. Mit Pollesch kommen Volksbühnenstars wie Martin Wuttke, Kathrin Angerer, Fabian Hinrichs und Sophie Rois zurück; auch die Extremregisseure Vegard Vinge und Ida Müller. Alles also wie gehabt? Die Volksbühne als nostalgisches Manufactum-Theater: Es gibt sie noch, die guten Dinge.

Die Entscheidung für Pollesch hat populistische Züge. Sie stellt die krakeelenden Volksbühnenbesetzer zufrieden und geht auch bei jenen durch, die gegen traditionelle Strukturen mit "alten weißen Männern" an der Macht wettern. Schließlich ist der 56-Jährige seine eigene coole Marke, und als homosexueller Intellektueller auf Diskurshöhe der Zeit steht er für eine Diversität ein, an der man im Theater nicht mehr vorbeikommt. Einer wie er könnte insofern ein Versöhner sein - zwischen Alt und Neu, Gestern und Heute. Aber Fakt ist auch: Pollesch hat so gut wie keine Leitungserfahrung. Und künstlerisch überraschte er zuletzt kaum noch, wiederholte sich in seinen Stücken. Er wird sich selbst neu erfinden müssen.

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Quelle:
SZ vom 13.06.2019
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