Das Schrumpfen der gehorteten Schätze durch Rückerstattung von Raubkunst oder durch die Korrektur von Falschzuordnungen geht in den Museen meistens eher kleinlaut vor. Umso bemerkenswerter ist, was der Louvre gerade zelebriert. Seit fast drei Jahrhunderten war man in Paris überzeugt, das bedeutendste Ensemble von Zeichnungen aus dem Besitz von Giorgio Vasari zu haben, das heißt jener persönlichen Sammlung von Meisterzeichnungen der italienischen Renaissance, die Vasari in seinen "Künstler-Viten" erwähnte und die dann in alle Winde zerstreut wurden. Eine Ausstellung stellt nun klar, dass dem nicht so ist, dass der Vasari-Schatz des Louvre sich auf einige wenige Blätter reduziert.
Das "Libro de' disegni" dieses Vorläufers der Kunstgeschichte, der als einer der Ersten eine Zeichnungssammlung nach historischen Gesichtspunkten anlegte, ist seit seinem Tod 1574 verschollen. Die Blätter wurden verkauft oder verschenkt. Das Buch blüht jedoch als Mythos nach und gilt als Archetyp moderner Kunstsammlungen. Abgesehen von den Erwähnungen einzelner Zeichnungen in den "Viten" weiß man sehr wenig davon. Waren es fünfhundert Blätter? Die Hälfte? Mehr? Weniger? Manche Sammler des 18. Jahrhunderts bildeten sich ein, erhebliche Teile davon in ihrem Besitz zu haben. Einer von ihnen, der Franzose Pierre-Jean Mariette, glaubte auch, ein verlässliches Kriterium für die Zugehörigkeit der Blätter zur Sammlung gefunden zu haben. Vasari selbst oder seine Schüler, schrieb er 1730, hätten die Zeichnungen mit eigenhändig hinzugefügten Ornamenten umrahmt und darunter "in schönen Lettern" den Namen des jeweiligen Künstlers angeführt.
Meister oder nicht? Man hätte es längst wissen können
Solche mit allegorischen oder architektonischen Elementen, dem so genannten "Montage Vasari", verzierte Zeichnungen zirkulierten sehr zahlreich. Das umfangreichste Ensemble davon kam über Mariette in den Louvre, ein anderes Konvolut ging nach Schweden. Noch in seinen Anfangsjahren als Louvre-Konservator, erzählt der Kurator der gegenwärtigen Pariser Ausstellung, habe er mit Ehrfurcht und Stolz vom Konvolut des "Montage Vasari" raunen hören. Dabei hätte man es längst besser wissen können.
Bei einem Inventar der Renaissance-Graphik im British Museum hatten zwei Kunsthistoriker 1950 eine bedeutsame Entdeckung gemacht. Auf einem Blatt mit dem vermeintlichen "Montage Vasari" fanden sie ein Emblem, das auf einen Zeitgenossen Vasaris verwies, den damals berühmten Sammler Niccolò Gaddi, der, ähnlich wie Vasari, die Motive auf den Zeichenblättern mit Feder und Tusche einrahmen ließ. Das war damals offenbar ein beliebtes Verfahren. Die meisten der angeblich aus Vasaris Zeichenbuch stammenden Blätter verloren durch diese Entdeckung ihre klare Zuordnung. Nur hat sich das in der Kunstgeschichte bis heute kaum herumgesprochen. Die Gemeinschaftsausstellung des Louvre und des Nationalmuseums in Stockholm, wo sie im Herbst zu sehen sein wird, ist eine offizielle Verabschiedung vom Anspruch dieser Museen auf Vasaris Zeichnungsschatz. Einwandfrei als aus Vasaris Sammlung kommend können heute weltweit kaum mehr als 30 Blätter angesehen werden. Die Beweislast hat sich umgedreht. Der "Montage Vasari" ist kein verlässliches Kriterium mehr. Für jedes Blatt muss der Authentizitätsbeweis hinsichtlich des "Libro de' disegni" fortan einzeln erbracht werden.
Wohl wird die Kunstgeschichte dadurch nicht über den Haufen geworfen und die Zeichnungen sind deshalb nicht weniger schön. Die Situation hat sich damit aber geändert. Und es ergeben sich neuartige Einblicke. So lässt die nähere Betrachtung unterschiedliche Formtendenzen der Bildrahmung sichtbar werden. Vasari und seine Mitarbeiter fügten bei ihren Rahmungen mit Vorliebe allegorische Motive hinzu wie etwa auf dem Blatt "Kopf eines Greisen mit geschlossenen Augen" von Domenico Ghirlandaio, auf dem an den Rändern des Medaillons vier weibliche Figuren sich unschlüssig entweder dem Alten zuwenden oder zu ihm auf Distanz gehen. Bei den von Gaddi in Auftrag gegebenen Rahmungen hingegen dominieren architektonische Elemente wie Fenstereinfassungen, Wandpaneelen oder Kaminaufsätze. Interessant ist beim Vergleich auch die Position des Sammlers. Vasari war ein sammelnder Künstler, Gaddi ein Kenner und Liebhaber. Das "Libro" des ersteren war überdies offenbar ein gebundenes Buch mit fester Anordnung. Jenes von Gaddi hatte die Form eins Albums mit losen Blättern, die herausgenommen und wechselweise an die Wände der Casa dell'Orto, Gaddis Palast in Florenz, geheftet werden konnten.
Der Louvre kann jetzt nur noch wenige Zeichnungen zeigen
Aufgrund der revidierten Zuordnung und der fragilen Natur der Blätter kann die Louvre-Ausstellung nur mit wenigen authentischen Zeichnungen aus Vasaris Sammlung aufwarten. Anhand der ausgewählten Blätter in ihrem Kontext kann man aber anschaulich nachverfolgen, wie einfache Künstlerskizzen und grafische Vorstudien, mit üppigem Randschnörkel versehen, zu eigenständigen Kunstwerken gemacht wurden. Viele dieser nachträglichen ornamentalen Zusätze sind später dann wieder weggeschnitten worden. Der letzte Ausstellungssaal in Paris zeigt eine Serie solcher amputierter Zeichnungsblätter, die, wenn überhaupt, nur noch Restspuren ihrer Rahmung enthalten. Sie wirken wie verwaist, haben aber zugleich etwas sehr Modernes für uns heutige Kunstbetrachter, die längst keine Sehhilfe mit Feder und Tusche mehr brauchen.
Giorgio Vasari - Das Buch der Zeichnungen. Geschicke einer mythischen Sammlung. Louvre, Paris. Bis zum 18. Juli. Katalog 29 Euro