Im Kino: "Reminiscence":Die totale Erinnerung

Reminiscence

Eine Szene wie aus tausend alten Filmen, aber Mae (Rebecca Ferguson) ist hier eine Art Hologramm. Nick (Hugh Jackman) hat ihr Gehirn angezapft.

(Foto: Warner Bros.)

In "Reminiscence", dem Spielfilmdebüt von Lisa Joy, wird Hugh Jackman zum Fährmann ins Reich der Vergangenheit. Bis er sich selbst darin verliert.

Von Tobias Kniebe

Erinnerungen im Genre des Science-Fiction-Films, das war schon immer eine heikle Sache. Die Vorstellung etwa, dass einem fremde Mächte Dinge ins Gedächtnis einpflanzen können, die man dann als die eigene Vergangenheit akzeptiert - von diesem Abgrund des Identitätsverlusts handeln die berühmten Geschichten Philip K. Dicks. Die haben auch im Kino schon verstörend gut funktioniert, etwa in den Verfilmungen von Paul Verhoeven ("Total Recall") oder Ridley Scott ("Blade Runner").

Der Thriller "Reminiscence", das selbstgeschriebene Spielfilmdebüt der Autorin Lisa Joy, knüpft unverhohlen an diese Vorgänger an. Schon in der ersten Einstellung etwa schwebt die Kamera im Zwielicht auf eine pathetisch verfallene Metropole der Zukunft zu, die schon halb vom Meer überflutet ist. Sehr ähnlich geht "Blade Runner" los, nur ohne das Meer, aber diesmal sind wir in Miami statt in Los Angeles. Und nicht ganz so weit in der Zukunft: Zwar hat der Klimawandel die Welt so heiß gemacht, dass tagsüber niemand mehr arbeiten kann, aber fliegende Autos und menschenähnliche Replikanten gibt es hier noch nicht. Selbst gefälschte Erinnerungen hat noch niemand erfunden.

Stattdessen endet die Kamerafahrt bei einem Hypnotiseur, der echte Erinnerungen zu seinem Geschäft gemacht hat: Nick Bannister (Hugh Jackman) betreibt ein etwas heruntergekommenes Studio, in dem man in die eigene Vergangenheit eintauchen kann, und zwar im Wortsinn. Man steigt in eine Art Wassertank, in dem auch die Hirnströme angezapft werden, gerät in Trance und lässt sich dann von Nicks Stimme zu einem Moment der Vergangenheit führen, den man noch einmal erleben möchte - so sinnlich und taktil und real, dass man süchtig danach werden kann.

Ganz ohne Wassertank ist das ansatzweise schon möglich, es gibt Hypnotherapeuten, die solche Regressionsreisen anbieten, etwa um Traumata aus der Kindheit aufzuspüren. Die Zukunftsfantasie ist hier, dass Nicks Maschine die Bilder aus dem Hirn seiner Kunden auch sichtbar macht, hochauflösend und sogar fast begehbar, als eine Art Hologramm im Raum. Nick und seine treue Assistentin Emily (Thandiwe Newton) können also immer genau sehen, woran die Menschen in ihrem Wassertank gerade denken, als wären sie wie Geister unsichtbar mit dabei.

Als filmische Idee ist das interessant, weil das Kino ja selbst schon eine Art Tranceraum ist und jeder Film, der zusätzlich noch ins Kopfkino seiner Protagonisten einsteigt, irgendwann Verwirrung stiftet: In welchem Hirn sind wir jetzt gerade? Die Idee des Hologramms erlaubt es, die Welten zu trennen, die absolute Einsehbarkeit macht die Sache aber auch unangenehm - viele Erinnerungen haben schließlich mit Nacktheit und Sex zu tun. Damit Nick nicht als Voyeur dasteht, verpasst ihm seine Schöpferin einen Ehrenkodex: Sobald eine Frau im Hologramm nackt erscheint, wendet er sich demonstrativ ab.

Die Frau, die bei Nick auftaucht, ist eine Figur des Film noir, mit tausend Vorbildern

Das passiert zum Beispiel, als die Nachtclubsängerin Mae (Rebecca Ferguson) als Kundin zu ihm kommt. Sie möchte nicht weit zurück, nur bis zum Vortag, will wissen, wo sie ihren Schlüsselbund verlegt hat. Ein Nullauftrag, aber Nick verliebt sich in sie, die beiden werden ein Paar und verbringen eine offenbar magische Zeit miteinander, die man aber nicht sieht. Das zeigt ein bisschen das Problem des Films: Eine Erzählung, die derart auf das Vergangene fixiert ist, muss die Gegenwart im Grunde aussparen. Wahrscheinlich auch deshalb ist "Reminiscence" in den USA, wo man vielleicht aus vielen Gründen gerade lieber nach vorne blicken will, böse gefloppt.

Reminiscence

"Blade Runner" lässt grüßen: Hugh Jackman als Jäger der Erinnerungen im halb versunkenen Miami der Zukunft.

(Foto: Warner Bros.)

Das ist nicht ganz gerecht, denn spannend wird es schon, als Mae ohne jede Erklärung verschwunden ist und Nick eine solche Sehnsucht entwickelt, dass er in seinen eigenen Tank steigt, um die Szenen mit ihr immer wieder zu durchleben. Das ist der Beginn eines Suchtproblems, und die Nachforschungen in der realen Welt, die er anstellt, um Mae wiederzufinden, machen alles nur schlimmer. Sie führen in ein Labyrinth aus Lügen und Täuschungen, zu den Drogenhöhlen von New Orleans oder zu den Elendsquartieren vor der Küste, wo die Armen in Pfahlbauten hausen und die Wut auf die Reichen wächst. Mae war nicht die Frau, muss Nick erkennen, die sie zu sein vorgab.

Schon wie sie in Nicks Studio aufgetaucht ist, das war Film noir, mit tausend Vorbildern bis zurück zu Dashiell Hammett. Die Femmes fatales von damals blieben aber letztlich auffindbar, Nick dagegen schaut in die Köpfe von Menschen, die noch mit Mae zu tun hatten. Er zapft Erinnerungen an, auch gegen den Willen ihrer Besitzer - seine Methode hat ihren Ursprung in der Verhörtechnik, manchmal wird er auch von der Polizei geholt, um alles Wissen aus Verdächtigen herauszuholen. Und weil Mae das auch weiß, hat Nick schließlich die Idee, dass sie über die Szenen aus ihrer Vergangenheit noch immer mit ihm kommuniziert...

Ein wenig erinnert das an die komplexen Gedankenexperimente in den Filmen Christopher Nolans, an denen oft auch dessen Bruder Jonathan mitwirkt. Dazu passt, dass die Filmemacherin Lisa Joy praktisch zum Nolan-Clan dazugehört. Sie war noch Medienanwältin, als sie Jonathan Nolan kennenlernte, der bestärkte sie in ihren Schreibambitionen und hat mit ihr die Neuschöpfung der Serie "Westworld" entworfen. Inzwischen ist sie eine Spielerin aus eigenem Recht, die hier sogar einen romantischen Hang zur Tragik offenbart: Erinnerungen sind am Ende alles, was ihrem Helden noch bleibt.

Reminiscence, US 2021 - Regie und Buch: Lisa Joy. Kamera: Paul Cameron. Musik: Ramin Djawadi. Mit Hugh Jackman, Rebecca Ferguson, Thandie Newton, Daniel Wu. Verleih: Warner Bros, 116 Minuten.

Zur SZ-Startseite
The Father

Die Filmstarts der Woche
:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

In "The Father" kann man sehen, wofür Anthony Hopkins im Frühjahr den Oscar gewonnen hat. Und Trashfilm-Nazis reiten jetzt auf Haien.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: