Remarque-Preis:Adonis, im Dilemma arabischer Intellektueller

Arabischer Dichter Adonis

Adonis, syrischer Lyriker

(Foto: dpa)

Der syrische Lyriker, der den Remarque-Preis erhalten soll, ist umstritten. Aber der Nahe Osten lässt ihm kaum eine Wahl.

Von Sonja Zekri

Am Freitag soll der syrische Lyriker Ali Ahmed Said Esber, der sich selbst Adonis nennt, den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück erhalten. Es ist der zweite Anlauf, ursprünglich war die Ehrung für November vorgesehen, doch hatten Schriftsteller wie Najem Wali, Navid Kermani und Stefan Weidner, alle Autoren dieser Zeitung, die Entscheidung stark kritisiert. So unumstritten Adonis als Dichter sei, so zweifelhaft sei seine politische Haltung.

Vor allem die Verurteilung des Assad-Regimes in Syrien geht vielen nicht weit genug, aber auch die politische Vergangenheit des Lyrikers halten sie für angreifbar.

Und es klingt ja auch wirklich abenteuerlich. Adonis, der seit Langem in Frankreich lebt, hat im Nahen Osten politische Bewegungen unterstützt, die meilenweit von seinen heutigen Forderungen entfernt sind - heute plädiert er für die Rechte der Frau, die Trennung von Staat und Religion und die Modernisierung des Islam.

Zudem widersprechen sich die von Adonis unterstützten Ideologien gegenseitig. In seiner Schulzeit begeisterte er sich für Antun Saadeh, den Gründer der Sozialnationalistischen Partei. Sie war vom europäischen Faschismus inspiriert, träumte von einem Syrien, das bis Zypern reichte. Später entflammte Adonis für die islamische Revolution in Iran, die auch ein sozialer Aufstand war, schrieb ein Gedicht für Chomeini, kurz danach würdigte er in einer Anthologie Muhammad ibn Abd al-Wahhab, den Gründer des saudischen Steinzeitislamismus, der von der arabischen Halbinsel aus die islamische Welt vergiftet.

Flucht in lyrischen Pazifismus

Von manchen früheren Leidenschaften hat sich Adonis inzwischen distanziert. Aber nicht von allen. Vielmehr flüchtet er sich in eine Art lyrischen Pazifismus, der die Bekenntnisansprüche des Westens auf provozierende Weise ins Leere laufen lässt. Assad sei grausam, aber die Aufständischen ebenfalls, Religion töte die Schönheit, Rettung verspreche allein die Poesie. Nach Jahrzehnten wechselhaften politischen Engagements klingt dies wie eine Art ästhetischer Endpunkt, wie eine Kapitulation vor der politischen Ausweglosigkeit der arabischen Welt.

Und damit ist Adonis nicht allein, ja, wenn man sich ein wenig umschaut, verkörpert er geradezu modellhaft das Dilemma eines arabischen Intellektuellen, der sich hoffnungsfroh mal dieser, mal jener politischen Bewegung angeschlossen hat, stets mit guten Absichten, aber erleben musste, wie eine Hoffnung auf Freiheit und Selbstbestimmung nach der anderen verflog, die Revolutionäre von gestern zu den Unterdrückern von morgen wurden. Saadehs Sozialnationalisten waren nach heutigen Maßstäben indiskutabel, aber damals, in den Dreißigern, eine Reaktion auf den Kolonialismus, eine entschieden säkulare Bewegung und damit anschlussfähig für religiöse Minderheiten wie die Alawiten, denen Adonis angehört - und den Assad-Clan.

Das Ende der Diktatur macht die Dinge kompliziert

Die iranische Revolution wiederum, Jahrzehnte später, riss die gesamte Jugend der Region mit, nicht nur die Anhänger einer Theokratie. Doch schon wenige Jahre später war unübersehbar, dass der Sturz des Schahs Iran nicht befreit hatte, sondern nur die Mullahs inthronisiert.

In der letzten - von Adonis geschmähten - arabischen Befreiungsbewegung, im Arabischen Frühling, gab es ähnliche Zickzackbewegungen arabischer Intellektueller. Alaa al-Aswani beispielsweise, der bekannteste Schriftsteller Ägyptens, ist das prominenteste Beispiel. Sein Bestseller "Der Jakubian-Bau" hatte in der Spätphase der Mubarak-Herrschaft die Wut eines ganzen Volkes in der Geschichte eines einzigen Hauses beschrieben. Als politischer Publizist hatte er riskant unverschlüsselte Aufrufe zum Regimewechsel verfasst, die mit dem trotzigen Aufruf "Demokratie ist die Lösung" das Militärregime und die Islamisten gleichermaßen herausforderte.

Opportunismus oder Dissidententum?

Aber das Ende der Diktatur machte die Dinge kompliziert. Al-Aswani sprach sich für freie Wahlen aus, obwohl andere vor der Macht der Islamisten warnten. Als die Muslimbrüder schließlich Präsident und Regierung stellten, rief Aswani zur Geduld auf, man müsse den Willen des ägyptischen Volkes respektieren, es wisse selbst, wie es regiert werden wolle. Die Islamisten hielten sich kein Jahr, der Apparat, die Bürokratie, die alten Eliten, die Polizei boykottierten sie, die Menschen erkannten erbittert, dass sie religiös gegängelt werden sollten und nichts dafür bekamen. Als Proteste gegen die Muslimbrüder ausbrachen, die Polizei die Gelegenheit zur Abrechnung nutzte, Hunderte Menschen starben und das Militär erneut die Macht ergriff, warb al-Aswani erneut um Verständnis. Die Konfrontation sei unvermeidbar, ja, notwendig, um Ägypten vom religiösen Faschismus zu befreien. Das Ausland, bestürzt, skeptisch, müsse das begreifen.

Unlängst war Alaa al-Aswani in Deutschland, in München. Inzwischen werden seine politischen Essays in Ägypten nicht mehr gedruckt, klagte er. Der Wind hat sich erneut gedreht. Würde er morgen beginnen, Gedichte über die Zartheit einer Sommerwiese zu schreiben, man wäre nicht erstaunt.

Europa kannte viele Schriftsteller, die sich politisch verirrten, es kennt sie noch. Der Nahe Osten aber lässt seinen Intellektuellen nur die Wahl zwischen Opportunismus und Dissidententum.

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