Süddeutsche Zeitung

Religion und Sicherheit:Weg damit

In meiner Heimat Pakistan trugen nur afghanische Einwanderinnen und Frauen aus den Slums Burka. Plötzlich aber ist sie auf der ganzen Welt zu sehen.

Von Meera Jamal

Als ich Anfang der Achtzigerjahre durch die Straßen von Karatschi lief, mit Freunden Fangen spielte und Fahrrad fuhr, da staunte ich beim Anblick von Frauen in Burka, denn man sah sie nicht oft. Zu den wenigen Frauen, die sie trugen, gehörten afghanische Einwandererinnen, die in dieser typischen blauen Burka gingen, von Kopf bis Fuß verhüllt, nur mit Aussparungen für Augen und Nase. Die andere Gruppe waren Frauen in den Slums. Sie steckten unter einem schwarzen Gewand mit einer Art Schleier, hinter dem sie ihr Gesicht verbargen. Weder meine Mutter noch andere Frauen in meiner Familie trugen jemals Burka, sondern einen Schalwar Kamis, die traditionelle Kleidung aus langem Gewand und Hose, mit einem Schal, der um den Hals geschlungen wurde.

Ein Großteil des Bundesstaats Punjab lebte von der Landwirtschaft. Männer und Frauen arbeiteten zusammen, um über die Runden zu kommen. Wenn die Männer auf den Feldern säten, kümmerten sich die Frauen um Haus und Vieh und brachten ihren Ehemännern Essen. Zur Erntezeit halfen die Frauen beim Schneiden und Verpacken der Ernte. In den Städten war die Burka noch nicht zum Symbol für die Moral der Frauen geworden. Sie bedeckten den Kopf, um den Älteren Respekt zu erweisen und den Traditionen zu folgen. Das war alles.

Im Jahr 2016 scheint sich das Zahlenverhältnis umgekehrt zu haben. Die Burka ist offenbar ein weltweites Phänomen geworden. Viele äußern sich vorsichtig über dieses vermeintlich religiöse Symbol, weil sie die Gefühle der Gläubigen nicht verletzen wollen. Einige behaupten sogar, dass die Burka eine persönliche Entscheidung ist. Ich sehe das anders.

Mir ist bewusst, dass ein Gespräch mit Gläubigen über die Religion der Öffnung einer Dose Würmer gleicht, Würmer, die zu Monstern werden können. Aber die persönliche Entscheidung geht genau dort zu weit und überschreitet eine entscheidende Grenze, wenn sie in die Funktionsweisen einer Gesellschaft eingreift. Außerdem befremdet mich der Blick von Burka tragenden Frauen und ihren Familien auf Frauen ohne Burka sehr. Dass die Tugend einer Frau an ihrer Verschleierung gemessen wird und nicht an ihren Taten, ist eine Vorstellung, die mich fassungslos macht.

Deutschland diskutiert derzeit über die Burka, und spätestens jetzt sollte man Klartext reden und ein Verbot als das anerkennen, was es ist: eine Vorsichtsmaßnahme gegen Terroranschläge und eine Grundvoraussetzung für ein sichereres Deutschland.

So sehr ich an persönliche Entscheidungen glaube - eine Verteidigung der Burka halte ich für absoluten Unsinn. Nach Ansicht der religiösen Ideologen sollen Frauen ihr Gesicht verschleiern, um es vor Fremden und sogar vor fernen Verwandten zu verbergen. Dies aber ist praktisch in keinem Land der Erde möglich, außer in jenen, in denen Personalausweise nicht obligatorisch sind. Bei der Einschulung, bei der Einschreibung für Prüfungen, beim Beantragen eines Ausweises - immer brauchen die Frauen ein Foto. Auf jedem Ausweispapier.

Vielleicht werde ich jetzt von Muslimen als Ungläubige und Feindin ihrer Religion angegriffen. Deshalb will ich präziser werden. Heutzutage leben wir nicht mehr in kleinen Dörfern, wo jeder jeden kennt. Migration in andere Länder und Städte sowie steigende Bevölkerungszahlen haben es beinahe unmöglich gemacht, jeden Einzelnen in der Nachbarschaft zu kennen. Die Menschen verbringen ihre Zeit lieber zu Hause oder mit ihrer Familie, weil sie lange arbeiten, ein großer Teil ihres Soziallebens spielt sich im Internet ab.

Wir beschäftigen uns nicht mehr mit anderen Menschen, weil wir Zweifel an ihren Absichten haben. In Zeiten von Terroranschlägen hat jeder vor jedem Angst, besonders wenn der andere zufällig ein Muslim ist. Das überrascht nicht, denn ein Großteil der Terroranschläge wird von Muslimen verübt.

Seitdem es im Islam unangemessen geworden ist, Fragen zu stellen, interessiere ich mich gerade für die Burka, den Gesichtsschleier und ihren Ursprung. Meiner Kenntnis nach gilt für die Hadsch, also die pflichtgemäße Pilgerreise nach Mekka, und den Gesichtsschleier Folgendes: "Es ist jeder Frau im Weihezustand Ihram verboten, ihr Gesicht zu verschleiern, Männer dürfen ihren Kopf nicht bedecken." Ich frage mich also: Man darf das Gesicht im "Haus Gottes" nicht verschleiern. Aber ist Gott nicht allgegenwärtig? Oder dürfen Frauen ihr Gesicht nur in Gegenwart muslimischer Männer enthüllen? Ich wüsste nur zu gerne, was Religionsgelehrte dazu zu sagen haben.

Wenn jemand Gesicht und Körper mit einem schwarzen Gewand und einem Schleier verhüllt, wie in aller Welt soll man wissen, wer sich darunter verbirgt? Es fällt mir schwer zu glauben, dass die muslimischen Frauen, die nach Europa gekommen sind, all ihre Dokumente auf dem Weg hierher von Frauen haben ausstellen lassen. Hätten diese Frauen ihr Gesicht niemals einem Mann gezeigt, wären sie nicht hier, denn auch die Sicherheitskontrollen verlaufen nach einem bestimmten Protokoll. Ich habe am Flughafen an der Passkontrolle gearbeitet, und ich weiß, wie schwierig es sein kann, wenn eine Frau eine Burka trägt und nur weiblichen Beamten erlaubt, sich im Glanz ihres Gesichts zu sonnen.

Nun sind diese Frauen hier, in Europa, in Deutschland. Und sie sollten mithelfen, dieses Land zu schützen. Die Burka ist keine persönliche Entscheidung, jedenfalls nicht, wenn es um die Sicherheit des Staates geht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3131650
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.08.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.