Reiseführer für Kinder:Fernweh und Neugier

Eine Ausstellung in der Internationalen Jugendbibliothek erinnert an den Illustrator Miroslav Šašek

Von Yvonne Poppek

Der Gang ist nur ein paar Meter lang und nicht besonders breit; wenn zwei Menschen sich entgegenkommen, müssen sie einander ausweichen. Platz zum Ausruhen gibt es nicht, schließlich ist es nur eine Passage vom Herrenhaus zum Alten Saalbau. Aber das ist alles egal. Die Wehrgang-Galerie der Internationalen Jugendbibliothek (IJB) auf Schloss Blutenburg ist sicher momentan der einzige schmale Gang in München, in dem man eine kleine Welt- und Zeitreise unternehmen kann. Auf die charmanteste Art! Bis zum 19. Februar werden dort Illustrationen des tschechischen Künstlers und Autors Miroslav Šašek unter dem Titel "Šašeks Welt" zu sehen sein. Und wer sich sonst nicht besonders gerne in Gängen herumdrückt, der wird bei dieser kleinen Schau alsbald vergessen, dass er in einem steht.

Rund 120 Werke hat die IJB in der Wehrgang Galerie versammelt, die sie teils von der Miroslav-Šašek-Foundation in Prag hat, teils von Šašeks Stiefsohn. Sie bilden elf Stationen ab, die Šašek als Autor von Kinder-Reiseführern besucht, gezeichnet und beschrieben hat. Die Ausstellung ist eine Hommage an diesen wunderbaren Beobachter, der am 16. November 100 Jahre alt geworden wäre. Genauso übrigens, wie der Prachtband "Rund um die Welt", der im Antje Kunstmann Verlag erschienen ist und der Auszüge aus allen Städte- und Länderbüchern Šašeks zeigt. Der Band ist Teil einer Reihe, über die man froh sein kann, dass es sie gibt: Der Antje Kunstmann-Verlag hat bereits 2012 den Autor und Illustrator wiederentdeckt und sechs seiner Bücher neu aufgelegt.

Der Rundgang in der Wehrgang-Galerie beginnt ganz klassisch mit der Biografie Šašeks. Er wurde am 16. November 1916 in Prag geboren. In der Schule fiel er vor allem durch sein zeichnerisches Talent auf, was ihn sicher dazu veranlasste, später Architektur zu studieren. Schon 1947 trug sich Šašek mit der absolut neuen Idee, einen Reiseführer für Kinder zu gestalten, doch das Projekt scheiterte letztlich an der Zerschlagung des mit ihm in Verhandlung stehenden tschechischen Verlags durch die Kommunisten. Mit seiner Frau wanderte Šašek nach Paris aus, 1952 siedelte er nach München über und arbeitete für den Sender "Radio Free Europe".

Doch erst eine Lebenskrise brachte Šašek wieder zu seiner Idee mit den Reiseführern zurück: Seine Frau trennte sich 1957 von ihm. Šašek, knapp über 40, begann darüber nachzudenken, was er wirklich wollte und gelangte zu der Erkenntnis, dass er reisen, zeichnen und Kinder erreichen wollte. 1959 erschien der erste Band "This Is Paris" und machte Šašek über Nacht berühmt. In kurzer Folge erschienen seine Bücher über London und New York. Vom New Yorker Band hält sich hartnäckig die Geschichte, dass der Run darauf so groß war, dass an einem Tag 600 Exemplare verkauft wurden. Und das in einer Zeit vor dem Massentourismus! Insgesamt 18 Bände kamen bis Ende der Sechzigerjahre heraus - unter anderem auch einer über München. 1961 heiratete Šašek erneut, 1971 folgte eine neuerliche Trennung. 1980 starb Šašek in Paris. Sein Werk geriet bald in Vergessenheit, erst jüngst erlebt es eine Renaissance.

Und dies zu Recht. Šašek ist ein begnadeter Zeichner, ein intelligenter Beobachter, ein liebevoller Humorist. Blickt man auf seine Bilder, spürt man seinen wachen Geist und seine unvoreingenommene, ja fast kindliche Neugier auf die Welt. Dabei fertigt er ganz unterschiedliche Illustrationen an. Zum einen eine Art Wimmel-Bilder: große, bunte, lebenspralle Ansichten von Plätzen. In ihnen legt er keinen Wert auf die richtige Perspektive oder korrekte Wiedergabe der Realität. Vielmehr überzeichnet er Auffälligkeiten und baut irgendwo einen Witz ein. So fahren in London am Piccadilly Circus zwölf Doppeldecker-Busse auf einmal im Kreis, in der U-Bahn liest jeder Zeitung, und am Times Square in New York darf ein Cowboy von einem überdimensionierten Werbeplakat herab Rauchkringel über den Verkehr blasen.

Eine andere Kategorie sind seine Porträts. Er bildet Menschen in ihren landestypischen Trachten ab, und er folgt ihnen durch ihre Welt. Dabei denunziert er sie niemals in ihren Gewohnheiten, auch wenn er sichtbar macht, dass Eigenheiten schon irgendwo lustig sind. Der Münchner mit seinem Bier und seinen Würsten zum Beispiel, der Grieche, der aus allem ein freundliches Geschäft zu schlagen weiß. Der Venezianer, der Touristen zwar gerne Hüte verkauft, aber selbst nie einen aufsetzen würde. Der Londoner, der sich akkurat auch in der allerlängsten Schlange anstellt.

Reiseführer für Kinder: Für seinen Band über München, der 1961 erschien, sammelte Šašek auch Eindrücke vom Königsplatz.

Für seinen Band über München, der 1961 erschien, sammelte Šašek auch Eindrücke vom Königsplatz.

(Foto: Miroslav Sasek Foundation)

In der IJB wird aber auch sichtbar, dass Šašek sich von Landschaften - insbesondere fremden Landschaften - faszinieren ließ. Wie er hier Tusche und Aquarellfarben weicher einsetzte, die Weite suchte, während seine Menschen oft flächig angelegte Karikaturen sind. Natürlich sind seine Beobachtungen mittlerweile aus der Zeit gefallen, die Welt hat sich verändert. Dennoch scheint jede Stadt, jedes Land einen zeitresistenten Grundcharakter zu haben. Und den hat Šašek aufgespürt und festgehalten.

Šašeks Welt, bis 19. Feb., Mo. bis Fr. 10-16 Uhr, Sa. u. So. 14-17 Uhr, Internationale Jugendbibliothek

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