Reihe:Lust am Lieben, Lust am Leben

Reihe: Beste Freundinnen mit gewissen Vorzügen: Janaina (Janaina Liesenfeld, links) und Emmy (Emily Lau) im Berlin-Film Yung.

Beste Freundinnen mit gewissen Vorzügen: Janaina (Janaina Liesenfeld, links) und Emmy (Emily Lau) im Berlin-Film Yung.

(Foto: Filmfest München)

Von dem Berlinfilm "Yung" bis zur St.-Pauli-Hymne "So was von da" - in der Reihe "Neues deutsches Kino" erkunden Filmemacher und Protagonisten ihre Grenzen. Ein Tabubrecher ist auch dabei.

Von Bernhard Blöchl

Der neue Fikkefuchs heißt Yung. Waren es im vergangenen Jahr die pornogetriebenen Testosteronfantasien von zwei Emanzipationsverweigerern, die dem Filmfest einen kleinen Aufreger bescherten, stehen die Zeiger nun auf weiblich, jung und wild. Die vier Protagonistinnen aus Henning Gronkowskis Spielfilmdebüt sind zwischen 16 und 18 Jahre alt, feiern und vögeln sich durch Berlin, benebeln sich mit Drogen, prostituieren sich, rekeln sich vor der Webcam, nennen sich "Fotzen" und degradieren Männer zu Statisten.

Yung ist ein Tabubrecher in mehrerlei Hinsicht. Der Independent-Film zeigt Sex, der nicht sein sollte, lesbische Experimente, dazwischen wird uriniert. Öffentlich. "Das echte Berlin" will Gronkowski zeigen, der einst Muse von Klaus Lemke war (Unterwäschelügen). Dafür verzichtet der Regisseur, Jahrgang 1988, auf Genre-Schubladen, gängige Erzählstrukturen und bekannte Gesichter. Sein Film pumpt roh, beinahe dokumentarisch, nicht nur durch die eingeflochtenen Interview-Einstellungen. Yung kommt als ungebremste Wucht daher, fast so wie das Leben, wenn es sich überschlägt. Kernig, hemmungslos, das Gegenteil von Fernsehen.

Die Perspektivlosigkeit junger Menschen und die Lust am prallen Hier und Jetzt ist ein großes Thema in dieser von Christoph Gröner abermals fein kuratierten und spannenden Reihe über den Status quo des deutschen Films. So was von da nennt sich ein weiterer Höhepunkt, der Titel passt zum Zeitgeist. So heißt auch der Roman von Tino Hanekamp (2011), den Jakob Lass gewohnt lässig improvisierend auf die Leinwand bringt. Seine Dramödie kreist um die letzte Nacht eines Musikclubs auf St. Pauli. Es ist Silvester, und der Club-Betreiber Oskar (Niklas Bruhn) sieht einer ungewissen Zukunft entgegen: Ein Ex-Zuhälter (Kalle Schwensen alias Kiez-Kalle) treibt Schulden bei ihm ein, sein bester Freund zerbricht am Rockstar-Ruhm, und dann taucht auch noch seine große unglückliche Liebe auf. Sehr musikalisch ist dieses Werk, rhythmisch geschnitten, mit variantenreichen Erzähltönen und -formen sowie surrealen Einfällen. Eine Film gewordene Abrissparty, ein Rausch ohne Kater. Mit Gastauftritten von Bela B. und Corinna Harfouch.

"So was von da" ist eine Film gewordene Abrissparty, ein Rausch ohne Kater

So was von da, das könnte man auch der Schauspielerin Martina Schöne-Radunski auf den Arm tätowieren, die der Reihe gleich mit zwei Filmen ihren Stempel aufdrückt. Bei Jakob Lass hinterlässt die Berlinerin, Jahrgang 1986, als tollkühne Party-Frau mit persönlichen Geheimnissen einen bleibenden Eindruck. In Philipp Eichholtz' surrealer Gender-Komödie Kim hat einen Penis stemmt sie scheinbar mühelos die Hauptrolle. Facettenreich ist da ihr Spiel; als Zuschauer folgt man ihr gern durch die Irrungen und Wirrungen, die so eine Geschlechtsumwandlung für eine in diesem Fall heterosexuelle Liebesbeziehung mit sich bringt - vor allem, wenn sie ihren Partner damit überrascht. Aus Freude am Experimentieren. Alles und mehr, das wollen in vielen Filmen einige.

Großes Kino, prominent besetzt und massentauglich, gibt es selbstverständlich auch. Neben dem opulenten Eröffnungsfilm Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm ist das auch bei Rudi Gauls Dating-Reigen Safari - Match Me If You Can zu haben, unter anderen mit Sunnyi Melles und Sebastian Bezzel. Genrefilme lassen sich ebenfalls finden: von der männerdominierten und kalten Endzeit-Dystopie Ende neu über ernste und ruhige Dramen (Alles ist gut, Nixen) bis hin zum vibrierenden Kriegs-Trauma-Thriller In The Middle Of The River von Damian John Harper. Auf Englisch wurde auch Linus de Paolis Computer-Nerd-Crime-Thriller A Young Man With High Potential gedreht, in dem die US-amerikanische Schauspielerin Amanda Plummer eine kleine Nebenrolle hat.

Zwei starke Dokumentarfilme ergänzen das Neue Deutsche Kino, Lola Randls persönliches und gut gelauntes Stadtflucht-Essay Von Bienen und Blumen und Annekatrin Hendels biografische Aufarbeitung der Familie Brasch, die tief in die DDR- und Literaturgeschichte eindringt und zwischen Ost und West, Kunst und Politik, Liebe und Verrat oszilliert.

Und wer noch nicht genug hat, kann in der internationalen Reihe "Spotlight" Neues von Detlev Buck (Asphaltgorillas), Erkan Acar (Ronny & Klaid) und Klaus Lemke (Bad Girl Avenue) entdecken.

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