Regisseurin:Große Klasse

Lucrecia Martel gilt als bedeutendste Frau des Neuen Argentinischen Kinos. Ihr Werk wird mit einer Retrospektive geehrt. Ihr im vergangenen Jahr erstmals in Venedig zu sehender Film "Zama" hat in München seine deutsche Erstaufführung.

Von Jürgen Moises

Eine der spannendsten argentinischen Regisseurinnen, die den wahrscheinlich bedeutsamsten argentinischen Comic verfilmt. Das klingt tatsächlich so, als hätte Lucrecia Martels Umsetzung des Science-Fiction-Epos' "Eternauta" von Héctor Germán Oesterheld und Francisco Solano López ein Ereignis werden können. Aber das Projekt wurde nach zwei Jahren stillgelegt. Offiziell ging es ums Geld, aber laut Martel fehlte zwischen ihr und dem Produzenten das Vertrauen. Die Folge? Martel kaufte sich ein Boot und fuhr mit zwei Freundinnen und einer Kiste Bücher den Río Paraná hinauf. In dieser Kiste war auch Antonio di Benedettos Roman "Zama" über einen Kolonialbeamten im 18. Jahrhundert. Vier Jahre später hatte die Filmemacherin ein neues Drehbuch. Gedreht wurde Zama im Jahr 2015, seine Premiere hatte das Werk im vergangenen Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig - und wurde dort von der Kritik fast einhellig gefeiert.

Regisseurin: Lucrecia Martel ist am Di., 3. Juli, 15 Uhr, zu Gast bei "Filmmakers Live" in der Black Box/Gasteig

Lucrecia Martel ist am Di., 3. Juli, 15 Uhr, zu Gast bei "Filmmakers Live" in der Black Box/Gasteig

(Foto: Eugenio Fernandez Abril)

Nun ist der Film als deutsche Erstaufführung beim Filmfest München zu sehen. Als Bestandteil einer Lucrecia-Martel-Retrospektive, und das heißt: als einer von nur vier Spielfilmen (sowie einigen Kurzfilmen). Sehr viel mehr hat die 51-Jährige noch nicht gedreht. Trotzdem gilt sie als die vielleicht wichtigste Vertreterin des Neuen Argentinischen Kinos. Ihr Debütfilm Der Morast aus dem Jahr 2000 wurde von New Yorker Kritikern und Branchenleuten zum wichtigsten lateinamerikanischen Film der Nullerjahre gewählt. Und kaum ein Text über sie, in dem nicht Vergleiche mit Regisseuren wie Werner Herzog, Claire Denis, David Lynch oder Terrence Malick fallen. Dass aus "Eternauta" nichts wurde, ist Verlust und Gewinn zugleich. Denn auch wenn Martel die Story über eine Invasion von Außerirdischen nicht verfilmt hat: Ihr Geist scheint irgendwie in diese seltsam fremde Welt von Zama eingegangen zu sein. Tatsächlich versteht auch Martel selbst den Film als Science-Fiction. Weil, wie sie erst kürzlich dem Filmmagazin "Little White Lies" erzählte, der Versuch, von heute aus in die Vergangenheit zu schauen, "den gleichen Prozess der Imagination erfordert, wie der Blick in unsere Zukunft". Was aber auch heißt: Zukunft und Vergangenheit sind immer schon oder noch da.

Und deshalb geht es nicht nur im Historienfilm Zama um Kolonialismus, sondern er ist auch in Lucrecia Martels anderen Filmen Thema. In Form von Diskriminierung, Arroganz und Klassendenken, wie sie heute in der argentinischen Mittelschicht präsent sind. Relativ direkt wird das in Der Morast verhandelt, einem symbolträchtigen Reigen voller Unfälle und Spannungen, die sich auf dem Landgut einer großbürgerlichen Familie ereignen. Das heilige Mädchen aus dem Jahr 2004 erzählt von einer 15-Jährigen, die, geleitet von ihrem religiösen (Irr-)Glauben, einen pädophilen Arzt erlösen will. Und Die Frau ohne Kopf (2007) droht diesen tatsächlich zu verlieren, weil sie nicht weiß, ob sie einen Hund oder ein Kind überfahren hat. Unausgesprochene Ängste, Schuldgefühle und historische Machtverhältnisse: all das ist hier auf eine unheimliche Art am Wirken.

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