Süddeutsche Zeitung

Regisseur Victor Fleming:Der robuste Macher von "Vom Winde verweht"

Lesezeit: 3 min

Fast niemand kennt heute noch Victor Fleming, obwohl er Regie führte bei großen Filmen der dreißiger Jahre. Die Stars hatten es nicht immer leicht mit ihm.

Von Fritz Göttler

Es war der 15. Dezember 1939, der Tag der spektakulären Premiere von "Vom Winde verweht" in Atlanta, dem Zentrum des alten amerikanischen Südens, das für den Film opulent in Schutt und Asche gelegt wurde. Hollywood feierte sich selbst, beschwor noch einmal eine verlorene Zeit, die des amerikanischen Südens, der im Bürgerkrieg untergegangen war, und auch die von Hollywoods Glanz- und Glamourjahren, den Dreißigern. Ein paar Monate vorher hatte es die Premiere von "Der Zauberer von Oz" gegeben.

Beide Filme waren Produktionen des MGM-Studios, das legendär war für seine familiengerechte Extravaganz, frühes, surreales Technicolor, beide Filme Riesenerfolge. Und beide vom selben Regisseur. Wie kann es sein, dass ein Mann zwei so gewaltige Projekte stemmte, zwei so intensive Inkarnationen des amerikanischen Traums schuf? Die Produktionsgeschichte der zwei Filme sagt viel über die Arbeitsweise im klassischen Studiosystem, mit seiner Dialektik von präzise getimter, streng strukturierter Spezialistenarbeit und individueller Kreativität. Der Regisseur ist Victor Fleming, aber heute kennt ihn kaum noch jemand.

"Miss Leigh, Sie können sich dieses Skript in Ihren königlichen britischen Hintern stecken."

Erst vor ein paar Jahren ist ein Buch über Victor Fleming erschienen, Michael Sragows "Victor Fleming: An American Movie Master", das auch das schwierige Mammutjahr 1939 detailliert beschreibt. Fleming hatte eine typische, pragmatische Hollywoodkarriere. Er kam in der Stummfilmzeit zum Kino, als Mechaniker oder Kameramann, hat eine Menge Filme mit Douglas Fairbanks fotografiert, der hat ihm dann in den Zwanzigerjahren die erste Chance zur Regie gegeben. Zuvor war Fleming im Weltkrieg beim Signal Corps und arbeitete bei den Friedensverhandlungen in Paris als Kameramann von Präsident Wilson. Ein hochgewachsener, männlicher Typ. Nach ihm, heißt es, habe Clark Gable seinen Rhett Butler gestaltet. In den Dreißigern wurde Fleming MGMs zuverlässigster Regisseur, damit war jedoch auch zugleich sein Schicksal als Filmemacher besiegelt - die MGM war fürwahr kein Studio, das Filmautoren hervorbrachte.

Fleming hatte schnell den Ruf, noch die schwierigste Produktion hinzukriegen. Ein fixer, ein Einspringer. So geriet er voll in das unaufhörliche Hin und Her bei den beiden größten MGM-Filmen, wo fast alles, was Rang und Namen hatte in Hollywood, dabei war. Den "Zauberer von Oz" hatte Regisseur Richard Thorpe begonnen, die Geschichte aus dem knallbunten Fantasieland Oz, nach dem Bestseller von L. Frank Baum, die Judy Garland zum Star machte. Aber die MGM fand seine Arbeit zu dröge, kurze Zeit musste George Cukor ran, dann übernahm Victor Fleming die Regie.

Noch bevor er mit dem "Oz"-Dreh fertig war, kam schon der nächste Problemfilm: "Vom Winde verweht", der unter dem rigiden Regiment des Produzenten David O. Selznick stand - jede einzelne Einstellung, bekundete er, müsse von ihm persönlich abgesegnet werden. Ihm und der MGM war die Regie von George Cukor nicht dynamisch genug, außerdem kam der Star Clark Gable nicht mit ihm zurecht, weil Cukor, ein "Frauenregisseur", sich sensibler um Vivien Leigh kümmerte als um ihn. Fleming dagegen war ein alter Freund von Gable. Für den Rest des "Zauberers von Oz" übernahm King Vidor von Fleming, bekam dafür aber später keinen eigenen Credit. (Auch bei "Vom Winde verweht" hat Vidor mitgedreht, "gerade mal ein Wochenende", und er war dann doch zufrieden, den Film wieder los zu sein, "dieses ganzen Durcheinanders wegen, den sie mit all ihren Drehbuchentwürfen verursachten".) Von Vidor sind die Schwarz-Weiß-Aufnahmen vom Anfang und Ende des Films, die ländliche Heimat und der berühmte Song "Over the Rainbow".

Währenddessen nahm Fleming die Arbeit an "Vom Winde verweht" auf - unter dem superpotenten Produzenten Selznick, der sich als die treibende Kraft des Films verstand. Seine Memos verschickte er dutzendweise, so ausführlich und eloquent formuliert, als seien sie auch für die Nachwelt bestimmt - eine Wichtigtuerei, die ein wenig an Donald Trump und seine Twitterei erinnert. Fleming und Selznick spielten bei der Arbeit am Drehbuch dem versierten Autor Ben Hecht - der den Roman gar nicht gelesen hatte - die Szenen vor, Selznick als Scarlett O'Hara, Fleming als Rhett Butler. Mit Vivien Leigh, die die Scarlett spielte, war Fleming manchmal ziemlich robust umgegangen. Es fielen Sätze wie: "Miss Leigh, Sie können sich dieses Skript in Ihren königlichen britischen Hintern stecken." Ein wenig hatte am Drehbuch auch noch F. Scott Fitzgerald mitgeschrieben. Er, der intellektuelle Literat, der so gern in Hollywood mitgemacht hätte, war fasziniert vom Profi Fleming. "Er war ein subtiler, wandlungsfähiger Apparat - der morgens Action drehen konnte mit zweitausend Statisten und nachmittags die Farben der Knöpfe an Clark Gables Mantel und die Schatten an Vivien Leighs Nacken bestimmte."

Zum "Filmautor" hat es Victor Fleming nie geschafft - ein Begriff, mit dem die individuelle, alles prägende Kraft eines Filmemachers gerühmt wird. Die Autorentheorie, die uns Hawks oder Hitchcock, Walsh und Ford beschert hat, war ein Konstrukt, mit dem man eine Zeit lang gut arbeiten konnte, dann aber auch ziemlichen Unfug anstellte. Autor ist man nicht von Natur aus, man wird dazu deklariert.

In den Vierzigerjahren trödelte Flemings Karriere dahin, das Studiosystem verlor seine Energie. Am 6. Januar 1949 ist er gestorben. Sein letzter Film "Joan of Arc" wurde von der Kritik als Desaster verrissen. Er hatte sich gewaltig in die Darstellerin verliebt, Ingrid Bergman.

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SZ vom 15.09.2018
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