Süddeutsche Zeitung

Regisseur Steve McQueen:Doppelt begabt

Erst der Turner Preis und dann ein Golden Globe: Steve McQueen könnte der erste Mensch werden, der die wichtigste Auszeichnung für zeitgenössische Kunst und einen Oscar gewinnt.

Von Alexander Menden, London

Wenn am 2. März in Los Angeles die Academy Awards verliehen werden, gelingt Steve McQueen vielleicht etwas, das noch niemand geschafft hat: Er könnte der erste Mensch werden, der erst den Turner-Preis, die wichtigste Auszeichnung für zeitgenössische Kunst, und dann einen Oscar gewinnt.

Den Turner erhielt McQueen bereits 1999. Jetzt wurde sein Film "12 Years a Slave" mit dem Golden Globe für das beste Drama ausgezeichnet. Da dieser Preis als verlässlicher Testlauf für die Oscars gilt, scheint dem 44-jährigen Briten dort mindestens eine Nominierung sicher.

Ein ungewöhnlicher Werdegang

Für einen Filmregisseur mit solchem Erfolg hat Steve McQueen einen ungewöhnlichen Werdegang hinter sich. Er wurde 1969 in London als Nachfahre afro-karibischer Einwanderer aus Grenada geboren. Aufgrund einer lange nicht diagnostizierten Lese-Rechtschreib-Schwäche empfand er seine Schulzeit als einen "fürchterlichen Start" ins Leben, wie er kürzlich in einem Guardian-Interview sagte. Ihm sei allenfalls eine Zukunft als "Klempner oder Bauarbeiter" zugetraut worden.

Stattdessen studierte er nach dem Schulabschluss Kunst und Design am Chelsea College of Art and Design und am Goldsmiths College, war aber von Beginn an stark vom Film beeinflusst. In den Neunzigerjahren schuf er Kurzfilme, die formell mit Perspektiven experimentieren, während sie zugleich das Verhältnis des Menschen - nicht selten des Künstlers selbst - zum ihn umgebenden Raum ausloten.

Ein Ergebnis seines Interesses an Filmgeschichte und speziell der Stummfilm-Ära war "Deadpan" - die Nachstellung einer Szene aus einem Buster-Keaton-Film, in der eine Hauswand auf McQueen fällt, ihn aber unversehrt lässt, weil er genau an der Stelle steht, an der das Giebelfenster eingelassen ist. Diese Arbeit trug ihm den Turner-Preis ein.

Vom Sexabhängigen zum Sklavenhalter

Nachdem McQueen bereits 2002 mit seinen Beiträgen zur Kasseler Documenta politische Themen aufgegriffen hatte - unter anderem die Kolonialgeschichte Grenadas - folgte 2008 der Film "Hunger", über den Hungerstreik und Tod des IRA-Aktivisten Bobby Sands. Da arbeitete der Regisseur erstmals mit dem Schauspieler Michael Fassbender zusammen. Der spielte 2011 auch die sexabhängige Hauptfigur in "Shame" und nun in "12 Years a Slave" einen psychopathischen Sklavenhalter.

Die Bildsprache aller Spielfilme Steve McQueens, der mit seiner Partnerin und zwei Kindern in Amsterdam lebt, verrät den Blick des Künstlers. In "12 Years" etwa gelingt es ihm, das Schaufelrad eines Mississippi-Dampfers - sonst Inbegriff von Südstaaten-Romantik - wie einen Häcksler wirken zu lassen. Eine andere Szene, in der der entführte und in die Sklaverei verkaufte Protagonist Solomon Northup zur Strafe aufgehängt wird, präsentiert in einer unerbittlichen Totalen die fast jenseitige Schönheit der Plantage Seite an Seite mit der viehischen Brutalität des Sklaven-Alltags. Ein Tableau von preiswürdiger Eindinglichkeit.

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Quelle:
SZ vom 14.01.2014/mfh
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