Süddeutsche Zeitung

Regisseur Sam Mendes:Meine fremde Frau

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Diktatur der Sehnsucht: Sam Mendes spricht über seinen Film "Zeiten des Aufruhrs" und den Sexszenen-Dreh mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio.

Patrick Roth

Das amerikanische Melodram lässt ihn nicht los - nach "American Beauty" geht Sam Mendes den Lebenslügen der USA in den fünfziger Jahren jetzt auf den Grund. Mit der Kompromisslosigkeit des britischen Theatermanns, als der er begonnen hat, führte er dabei seine Ehefrau Kate Winslet zum Golden-Globe-Triumph.

SZ: Sie sind seit fünf Jahren mit Kate Winslet verheiratet. Wollten Sie nicht schon früher mit ihr drehen?

Mendes: Wenn ich nach einem Projekt für einen bestimmten Schauspieler suche, wird nichts daraus. Ich muss mich zunächst in den Stoff verlieben. Bei "Zeiten des Aufruhrs" lief es aber anders. Kate hatte das Drehbuch - und auch das Buch von Richard Yates, auf dem es basiert - vor mir gelesen. Ich las ihr also hinterher, im Wissen, diese Frau will sie unbedingt spielen. Muss ich ernst nehmen, dachte ich.

SZ: So denkt ein guter Ehemann. Aber hatte Sam Mendes, der Regisseur, keine Bedenken?

Mendes: Ich zögerte zunächst nur, weil die Story - wie "American Beauty" - in einem typisch amerikanischen Vorstadtmilieu spielt und ich mich nicht wiederholen wollte. Das Buch selbst hat mich dann überzeugt. Es geht um eine Ehe, eine Liebesgeschichte - und so etwas hatte ich noch nie gedreht.

SZ: Es geht auch um den "Amerikanischen Traum"...

Mendes: Allerdings. Und in den fünfziger Jahren lautete der: "Alles ist möglich." Daran geht die Frau, die Kate spielt, zugrunde. An dieser Lüge. Es gibt sie nämlich nicht, die "unbegrenzten Möglichkeiten", schon gar nicht für jeden. In meinem Film geht es darum, wie du reagierst, wenn dir eines Morgens klar wird, dass du nicht das Leben lebst, auf das du gehofft hattest. Du dachtest, du seist was Besonderes, aber das bist du nicht. Wirst du die Lebensenergie, die jetzt verloren scheint, je wiedererlangen? Wie könntest du zurückgewinnen, was der Traum dir vor Augen gestellt hat?

SZ: Das Wort "Traum" ist hier ein Synonym für Wünsche. Die psychologische Erfahrung sagt aber, dass uns authentische Träume warnen, unsere inflationierten Wünsche zu korrigieren suchen.

Mendes: Ich glaube, April - die Frau, die Kate spielt - sieht der Wahrheit schließlich als Einzige ins Gesicht.

SZ: Das würde ich bezweifeln. Ich würde ihr Scheitern anders erklären.

Mendes: Aber alle Figuren sehnen sich nach etwas. Nur wissen sie nicht wonach. Genau das verkauft dir Amerika. Kindisch, könnte man sagen. Fatal, sage ich, dieses Denken.

SZ: Das alles spielt eine Frau, der so ziemlich jeder Wunsch in Erfüllung ging: Kate Winslet bekam den Freund als Co-Star und den Ehemann als Regisseur gleich dazu. Lief das problemlos?

Mendes: Wenn wir abends von den Dreharbeiten nach Hause kamen, begann Kate, den Film von neuem zu drehen, stellte sich Fragen, die sie nicht losließen, suchte Details, die sie faszinierten, weil sie ihr Einblick ins Innere dieser Frau verschafften. Sie sprach unentwegt davon - mit einer Art professioneller Besessenheit, wie ich sie nur bewundern kann. Wenn ich in der Mittagspause mit der Crew beim Essen saß, ging sie in eine andere Ecke, blieb für sich und studierte das Buch, ganz in die Rolle vertieft. Es war schon merkwürdig: Ich sah meine Kate, ihr Gesicht, ihre Figur unverändert - und doch, innerlich, eine andere. Auf dem Set sah ich sie nur als April.

SZ: Die langjährige Freundschaft zwischen Leonardo DiCaprio und Ihrer Frau wird da geholfen haben.

Mendes: Enorm. Es ging eben auch auf dem Set nicht um "Kate und mich", sondern um "Kate und Leo". Deren Freundschaft war die Grundlage für das Vertrauen, dass sie haben mussten, dem anderen - auch in den intimsten Szenen - völlige Freiheit zu lassen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, von wo aus Sam Mendes die Sexszenen seiner Frau mit Leonardo DiCaprio beobachtete.

SZ: Geben Sie mir ein Beispiel. Wie haben Sie die Sexszene zwischen den beiden in der Küche inszeniert?

Mendes: Um den Schauspielern bei der Arbeit zu helfen, haben wir alles chronologisch gefilmt, haben dazu in einem wirklichen Haus gedreht, nicht im Studio. Das intensivierte den klaustrophobischen Aspekt: beider Gefühl, mit ihren Problemen eingesperrt zu sein. Generell war es mein Ziel, die Schauspieler so wenig als möglich auf die Kamera Rücksicht nehmen zu lassen. Für die Sexszene ließ ich den Set schließen - damit sie sich zu Hause allein fühlen konnten. Ich wollte auch auf keinen Fall, dass sie dabei "den Regisseur" sehen. Ich ging um die Ecke und habe das Ganze dann auf einem Monitor beobachtet.

SZ: Das unterscheidet Sie von Hitchcock. Der wäre geblieben.

Mendes: Ich gebe bei so einer Szene keine Anweisungen wie: "Jetzt platziere die Hand hier, deinen Schenkel dort." Wesentlich ist nur, was in der Szene erzählt werden soll und was sie zum Teil der Gesamtstory macht. Die Szene in der Küche - worum allein geht's da? Doch nicht darum, dass sie es "miteinander treiben". Nein, das ist die Szene, in der sie schwanger wird und während ihres Orgasmus ein "Nein" ausstößt. Einzig darum geht es. Diesen Moment müssen die Schauspieler selbst miteinander finden. Das geht nicht ohne Vertrauen - und ein Wissen um ihre Kunst.

SZ: Sie mussten große Teile des Romans aussparen - wo beginnt für Sie die eigentliche Geschichte dieses Films?

Mendes: Der erste Teil des Films schildert die Monotonie des täglichen Arbeitsrituals in den fünfziger Jahren. Diesen Abschnitt mussten wir mehrmals kürzen, er schien mir zu lang. Den entscheidenden Impuls bekommt die Geschichte, als April ihrem Mann vorschlägt, gemeinsam nach Paris zu ziehen, um dort ein neues Leben zu beginnen.

SZ: Nur wäre es, meine ich, für den Zuschauer wichtig gewesen, an diesen Plan ebenso fest zu glauben wie April.

Mendes: Im Buch ist von ihrem Vorschlag, nach Paris auszuwandern, erst nach 150 Seiten die Rede. Der Roman porträtiert seine Figuren immer wieder, immer genauer. Dagegen waren wir einfach gezwungen, etliche Szenen, die sich zwischen den Eheleuten und ihren Nachbarn, auch zwischen den Eltern und ihren Kindern abspielten, fallenzulassen.

SZ: Nach den ersten vier, fünf Drehtagen von "American Beauty" hatten sie den Mut, noch einmal völlig neu zu beginnen, mit anderem Konzept . . .

Mendes: Das stimmt.

SZ: Wird man träger, wenn man drei, vier Filme - und fünf Oscars für "American Beauty" - hinter sich hat?

Mendes: Ich habe mich zum Beispiel damals gefragt, ob ich denselben visuellen Stil weiterverfolgen soll. Aber ich wollte mit jedem Film stilistisch etwas völlig Neues in Angriff nehmen, drehte als Nächstes ein ziemlich theatralisches Gangsterdrama ("The Road to Perdition"), dann einen Kriegsfilm ("Jarhead") - und den fast ausschließlich mit Handkamera. In "Zeiten des Aufruhrs" bleibt die Kamera oft statisch, wir sehen vieles in Großaufnahmen. In jedem dieser Filme habe ich Fehler gemacht - weil sie, jeder für sich, Erstlinge waren, keine Wiederholungen.

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Quelle:
SZ vom 16.1.2009/holz
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