Regisseur Kenneth Branagh:"Meine Cinderella leistet Widerstand"

Lily James als Cinderella

Cinderella (Lily James), zur Dienerin degradiert. Doch in Kenneth Branaghs Adaption des Märchens leistet sie Widerstand, wenn auch gewaltlosen.

(Foto: AP)

Shakespeare-Kenner Kenneth Branagh hat ausgerechnet das Disney-Märchen "Cinderella" neu verfilmt. Ein Gespräch über den Reiz alter Geschichten und die Probleme von Patchworkfamilien.

Von Paul Katzenberger

Der Oscar fehlt ihm noch, dabei war Kenneth Branagh schon fünf Mal für den Academy Award nominiert - je einmal als bester Hauptdarsteller, Nebendarsteller, Drehbuchautor, Regisseur sowie für den besten Kurzfilm. Er ist damit bislang der einzige Künstler, der in fünf verschiedenen verschiedenen Kategorien im Rennen für die höchste Auszeichnung der Filmwelt lag. Das steht für Vielseitigkeit, doch wenn man ihn mit wenigen Worten charakterisieren müsste, dann wäre er mit "Großer Shakespeare-Interpret" sicher am passendsten beschrieben: "Shakespeare steckt für immer in mir drin", verriet er im vergangenen Jahr der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Branaghs Schaffen geht allerdings weit über Shakespeare hinaus. Er scheint sich in jedem denkbaren Genre bewähren zu wollen. In einem Harry-Potter-Film trat er ebenso auf wie in der BBC-Fernsehserie "Wallander". Im vergangenen Jahr spielte er dem Action-Thriller "Jack Ryan - Shadow Recruit" den russischen Bösewicht, davor führte er in dem Superhelden-Film "Thor" Regie.Jetzt folgt das klassische Disney-Märchen "Cinderella". Warum tut er sich das an?

SZ.de: Herr Branagh, wie sind Sie darauf gekommen, einen weiteren Aschenputtel-Film zu machen? Man könnte meinen, die Geschichte sei langsam auserzählt.

Kenneth Branagh: Das glaube ich nicht, denn die Welt hat sich in all den Jahrhunderten, in denen dieses Märchen erzählt wird, sehr verändert. Disneys Zeichentrick Klassiker "Cinderella" ist 65 Jahre alt ist. Nehmen Sie die Familiensituation, die in dem Märchen beschrieben wird. "Patchwork-Familien", Stiefmütter und so weiter sind im 21. Jahrhundert etwas sehr Geläufiges im Vergleich zu 1950. Das heißt: Das Märchen erzählt uns heute womöglich etwas anderes als noch im 20. Jahrhundert.

Doch die Stiefmutter ist bei Ihnen ja auch böse. Dem Klischee sind Sie an dem Punkt nicht entgegengetreten.

Das ging auch nicht, denn damit hätte ich das Märchen in seinem Kern verändert. Aber Cinderella selbst ist bei uns anders gezeichnet als in den klassischen Vorlagen. Sie ist nicht mehr nur ein passives Opfer. Für mich bestand die große Herausforderung darin, sie als Heldin darzustellen, die uns in ihrem Widerstand inspirieren kann. Ihr Widerstand ist gewaltlos, doch es ist Widerstand. Sie hinterfragt, sie ist mutig, sie ist warmherzig - das sind alles Charaktereigenschaften, die schwierig aufrechtzuerhalten und nicht unbedingt trendy sind.

Den Prinzen zeigen Sie auch anders als in älteren Vorlagen. Der ist bei Ihnen ungewöhnlich sensibel.

Der Prinz war bislang nichts anderes als eine Chiffre für Berühmtheit. Einer, der einfach nur gut aussieht, eine Uniform, ein Symbol. Doch wir wollten einen Prinz haben, der sich Aschenputtels Liebe verdienen kann, weil er ihr ebenbürtig ist. Wir erkennen an ihr Qualitäten, von denen wir uns wünschten, wir besäßen sie selbst. So eine Frau will man nicht mit jemandem verheiratet sehen, der ihr Niveau nicht annähernd erreicht.

Kenneth Branagh bei der Pressekonferenz zu "Cinderella" auf der Berlinale.

"Besser geht's gar nicht". Kenneth Branagh bei der Berlinale im Februar.

(Foto: dpa)

Ein Adliger mit Niveau. Ist das auch eine typische Erscheinung des 21. Jahrhunderts?

Zumindest wäre das ein wünschenswertes Phänomen. Doch ich wollte auch einen Prinzen zeigen, der die Einsamkeit und Isolation spürt, die meiner Meinung nach ein Element des Regentendaseins ist. Ihm stehen Priviliegen zu, doch die haben ihren Preis. Unser Prinz sollte daher eine Frau suchen, brauchen, sich herbeisehnen, sich verdienen, mit der er sich die Last des Herrschens teilen kann.

"Eigenartige Parallellen"

Dafür, dass er so nachdenklich ist, hat Richard Madden als Prinz aber immer noch ganz schön viel Sex-Appeal.

Was sich für mich nicht ausschließt. Verantwortung zu übernehmen, muss nicht zwangsläufig öde sein. Richards große Gabe bestand darin, Männlichkeit mit Gefühl und Reflektiertheit zu verbinden. Er ist ein attraktiver Kerl mit Sex-Appeal, der eine Frau mit seinem funkelnden Blick betören kann, das ist zweifellos richtig. Doch er war auch in der Lage, diesem Prinz eine Tiefe zu geben, die ihn vielleicht schon ein kleines bisschen wie Hamlet erscheinen lässt.

Ist außer dem hamletmäßigen Prinz noch mehr Shakespeare in "Cinderella"?

Es wäre vermessen, wenn ich behaupten würde, da seien alle möglichen Referenzen zu den Theaterstücken eingebaut, die ich inszeniert habe. Ich kann nur Folgendes sagen: Die großen Mythen, die sich quer durch alle Kulturen etabliert haben, sind in aller Regel genau die Geschichten, die große Erzähler von anderen großen Erzählern vor ihnen übernommen haben. In den 35 bis 37 Stücken, die Shakespeare von der Wissenschaft heute zugerechnet werden, hat er sich immer an den Chronisten der Vergangenheit orientiert. Das heißt, er suchte nach Leuten, die bereits erkannt hatten, welche Plots und welche Situationen die Menschen so faszinieren, dass sie Geschichten darüber hören wollen.

Häufig waren das Familientragödien.

So ist es. Ein gutes Beispiel ist für mich immer Shakespeares "König Lear". Ein Mann mit drei Töchtern und einer Erbschaft, die aufgeteilt werden muss. Das heißt, einige Leute werden am Ende unzufrieden sein. Eine Tochter erweist sich als selbstlos, Cordelia (die gutherzige jüngste Tochter König Lears, Anm. d. Red.) übernimmt hier den Part, der Cinderella im Märchen zukommt. Es bestehen also tatsächlich eigenartige Parallelen. Doch ich will vermeiden, durch den Hinweis auf Shakespeare Dinge wichtiger erscheinen zu lassen, als sie es tatsächlich sind. Eigentlich käme durch solche Verweise nur eines zum Ausdruck: Dass die großen Erzähler Familienkonstellationen als tiefenpsychologischen Nährboden vieler zwischenmenschlichen Dramen erkannt haben.

Gilt das auch für unsere aufgeklärten Zeiten, in denen die Religion und Konventionen die Menschen weniger einschränken?

Auch in unserer modernen Welt können die Beziehungen innerhalb von Familien deformiert und sehr kompliziert sein. Mir wurde das zum Beispiel klar, als wir die eine Szene mit Cate (Blanchett, Anm. d. Red.) und Lily (James, Anm. d. Red.) gegen Ende des Filmes drehten, in der Lily Cate entgegenschleudert: "Du warst nie meine Mutter und wirst es nie sein." Da musste ich an die Stiefmütter im Publikum denken, die vielleicht ihre Kinder mitgebracht hatten, die nicht ihre eigenen sind, und denen ein solches Gespräch ziemlich bekannt vorkommen könnte. Und die in dem Moment womöglich wieder den Groll verspürten, den solche Aussagen auslösen. Das ist Drama in Reinkultur, und Shakespeare und Perrault wussten das (Der französische Schriftsteller Charles Perrault, 1628 - 1703, auf den das Aschenputtel-Märchen zurückgeht. Anm. d. Red.).

"Unter gewaltiger Beobachtung"

Sie stellen in "Cinderella" eine Art absolutistische Monarchie dar, wie sie sich Untertanen nicht besser wünschen könnten. Dabei ist das eine Staatsform, die bei uns aus guten Gründen als überwunden gilt. Hatten Sie da Bauchschmerzen?

Bei einem Historienfilm wie "Cinderella" war es unausweichlich, das mit hereinzunehmen. Wir haben aber herausgestellt, dass jeder Landesbewohner zu diesem Ball eingeladen war. Außerdem haben wir sicherlich weniger die Privilegien betont, oder die Position, oder die Exklusivität, die mit dem Dasein eines Prinzen oder einer Berühmtheit verbunden sind, sondern vielmehr etwas, was ich als "natürliche Königswürde" bezeichnen würde. Die Haltung, die die Griechen die "Aristokratie des Geistes" nannten, das Streben nach den höheren Qualitäten des menschlichen Bewusstseins, dem sich jeder hingeben kann, und das nicht an die Herkunft gebunden ist.

Praktischerweise findet Cinderella die ideellen Werte genau da, wo auch die materiellen Werte angesiedelt sind: beim Prinzen.

Gut, so ist das Märchen nun mal überliefert. Aber auch in unserem Film ist es nicht Cinderellas vorrangiges Ziel, Prinzessin zu werden. Wir haben versucht, das zu zeigen: In der Szene, in der sie von anderen jungen Frauen wissen will, wie sie den Prinzen finden, und die schon die Frage nicht verstehen: "Was willst Du, er ist der Prinz. Männer sind blöd, was soll die Frage?" Wir haben ganz bewusst Rollen für Leute eingebaut, für die Titel, Etikette, Exklusivität, Privilegien und Reichtum wichtiger sind als ihr persönliches Glück. Leute, für die die Gleichung gilt: 'Wenn ich das Auto bekomme, oder den Prinzen, dann bin ich glücklich.' Im Leben mag das manchmal der Fall sein, doch oft erfordert diese Haltung einen Preis: den, der Leere, zum Beispiel. Und wir zeigen gleich zu Beginn des Films eine Cinderella, die für ihr grenzenloses Glück nichts anderes braucht als liebevolle Eltern.

Cinderella mit Vater (Ben Chaplin) und Mutter (Hayley Atwell).

Zum Glück reichen Eltern aus, die sich kümmern: Cinderella mit Vater (Ben Chaplin) und Mutter (Hayley Atwell).

(Foto: Disney)

"Cinderella" war mit Produktionskosten von knapp 90 Millionen Euro einer der teuersten Filme, die Sie bislang verantwortet haben. Wurden Sie manchmal nervös?

Es gab ein paar Umstände, die mich davon abgehalten haben, in Panik zu verfallen. Dass zum Beispiel Cate Blanchett schon engagiert war, als ich das Projekt übernahm. Ich kam an und dachte: Besser geht's gar nicht. Aber natürlich waren auch die Erwartungen riesig, und zwar nicht nur in positiver Hinsicht. Es gab Leute, die glaubten, der Film werde floppen, weil das alles so oder so uraltes und langweiliges Zeug sei. Andere fragten, warum die Handlung nicht in Brooklyn im Jahr 2020 spiele. Du bist bei einer komplexen Angelegenheit also ständig unter gewaltiger Beobachtung. Aber das macht die Dinge interessant.

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