Regisseur David Gordon Green:"Was Sandra Bullock so grandios macht: Sie hat keine Angst"

Die Wahlkämpferin Sandra Bullock

"Sie nimmt einen verrückten Gedanken und treibt ihn noch weiter", sagt David Gordon Green über seine Hauptdarstellerin, Sandra Bullock. Mehr noch: Er liebe sie.

(Foto: 2015 Warner Bros. Entertainment Inc. and Ratpac-Dune Entertainment LLC)

David Gordon Green gilt als einer der begabtesten Geschichtenerzähler Hollywoods. Der Regisseur über seine Hauptdarstellerin, das Deutschlandlied und Sprünge aus dem Flugzeug.

Interview: Jürgen Schmieder, Los Angeles

David Gordon Green sitzt beim Interviewtermin im Schneidersitz auf seinem Sessel und sieht aus, als würde er meditieren. Der Regisseur gilt seit Filmen wie "George Washington", "All the Real Girls" und "Undertow - Im Sog der Rache" als Independent-Genie. Nun wagt er sich mit "Die Wahlkämpferin" (Originaltitel: "Our Brand Is Crisis") wieder an eine Komödie für den Massenmarkt. Als der Reporter eintritt, bleibt Green im Schneidersitz und legt die Hände auf die Knie.

David Gordon Green: Okay, worüber sollen wir sprechen?

SZ: Über den nackten Hintern von Sandra Bullock vielleicht?

Großartiges Thema! Haben Sie den Film gesehen?

Oh ja! Wie haben Sie Frau Bullock dazu gebracht, die Hosen runterzulassen?

Das war ihre Idee, nicht meine. Sie ist eine großartige Schauspielerin, weil sie keine Angst davor hat, Risiken einzugehen. Sie ist nicht zimperlich oder zurückhaltend, deshalb verstehen wir uns so gut: Wir beide fühlen uns dann wohl, wenn es gefährlich wird. Sie nimmt einen verrückten Gedanken und treibt ihn noch weiter. Sagen Sie mal: Ist Sandra nicht deutsche Staatsbürgerin?

Sie ist in Nürnberg aufgewachsen und spricht auch deutsch.

Wenn ich das gewusst hätte, hätten wir das im Film noch viel stärker nutzen können - wir haben ja immerhin die deutsche Hymne verwendet.

Wissen Sie, was noch krasser gewesen wäre - auch wenn es womöglich für einen Skandal gesorgt hätte: Wenn Sie in diesem Moment die erste Strophe verwendet hätten ...

Die mit "Deutschland, Deutschland, über alles in der Welt"?

Ganz genau.

Verdammt, das habe ich vergeigt! Ich wusste nicht, dass es noch zwei andere Strophen gibt, die heute nicht mehr verwendet werden. Herrgott, was bin ich doch für ein Idiot! Genau das hat Sandra auch gesagt.

Wie bitte? Sandra Bullock wollte, dass Sie die erste Strophe des "Deutschlandliedes" verwenden?

Ja! Sie hat zu mir gesagt: "Du bist ein Volltrottel - mit der ersten Strophe wäre es so richtig krass geworden!" Sie war nicht dabei, als wir die Szene gefilmt haben, doch als sie den fertigen Film gesehen hat, wäre sie beinahe ausgeflippt. Und sie hat Recht, das habe ich vergeigt. Vielleicht kann ich das in einer späteren Version einfügen. Aber nun sehen Sie, was Sandra so grandios macht: Sie hat keine Angst.

Haben Sie Bullock deshalb für den Film verpflichtet?

Es war eher umgekehrt: Sie war bereits mit dem Drehbuch verbandelt, als ich es gelesen habe. Ich wusste aber, dass ich den Job bekommen würde, wenn ich mit ihr über dieses Projekt sprechen darf. Ich liebe sie - und ich arbeite ausschließlich mit Menschen zusammen, die ich mag.

Das klingt wie ein Hollywood-Klischee ...

So abgedroschen das klingt: Ich würde niemals ein Arschloch in einen meiner Filme lassen - selbst wenn er der beste Schauspieler der Welt wäre.

"Die Wahlkämpferin" basiert auf einer Dokumentation über die Präsidentschaftswahl 2002 in Bolivien. Damals wurden amerikanische Wahlkampf-Spezialisten angeheuert, um dem beinahe aussichtslos zurückliegenden Kandidaten zum Sieg zu verhelfen. War Bullock der Grund dafür, warum aus der männlichen Figur eine weibliche wurde?

Das passierte, bevor ich als Regisseur verpflichtet wurde - aber ich glaube, Sandra hat mit dem Produzenten George Clooney darüber gesprochen, diese Figur zu verändern. Tatsächlich ist es völlig egal, ob diese Person ein Mann oder eine Frau ist. Es ist eine faszinierende Figur.

Mehr gute Rollen für Frauen

Es gab zuletzt Diskussionen über die Bezahlung von Schauspielerinnen, Jennifer Lawrence etwa hat sich in einem Essay beschwert. Was läuft falsch in Hollywood?

Ich verstehe das auch nicht. Natürlich gibt es Unterschiede: Wenn jemand bekannter ist, dann verdient er mehr, als ein Newcomer für die gleiche Rolle bekommen würde. Es macht jedoch überhaupt keinen Sinn, aufgrund des Geschlechts oder der Hautfarbe schlechter zu bezahlen. Das ist absurd.

Frauen beschweren sich auch, dass es nicht genügend gute Rollen für sie gibt.

Das wird sich ändern.

Wann? Sie als Autor und Regisseur können das ändern.

Das versuche ich. Ich entwickle gerade eine Geschichte über die Autorin Blanche Knott, die in den 80er Jahren ein Buch über geschmacklose Witze geschrieben hat. Das ist ein wunderbares Drama, das wir hoffentlich bald verfilmen werden. Ann Dowd soll die Hauptrolle spielen. Das ist noch so jemand, den ich liebe - ach was, ich bin regelrecht verrückt nach ihr. Ich will unbedingt, dass sie ein Star wird, damit wir nur noch Filme gemeinsam drehen können.

Sie haben bereits mit einigen großartigen Schauspielern gearbeitet, Manglehorn war ein versteckter Liebesbrief an Al Pacino.

Wieder: Weil ich ihn liebe. Der Mann ist eine lebende Legende - und es ist großartig, so einen Menschen am Set zu haben. Es geht dabei nicht nur um das Projekt oder darum, dass er einen Film besser macht. Es geht auch darum, dass jemand wie Pacino viel über das Leben zu erzählen hat. Ganz ehrlich? Ich hatte bislang noch keine einzige schlechte Erfahrung mit einem Schauspieler.

Ach, kommen Sie: Schauspieler und Regisseure lästern so gerne übereinander.

Ich kenne all diese Geschichten - aber ich habe das noch nie erlebt.

Sie sagten mal, man müsse unbedingt das Interview mit dem Regisseur Rod Amateau über dessen Film The Garbage Pail Kids lesen, um zu verstehen, wie Filme bisweilen produziert werden.

Ein unglaubliches Gespräch, suchen Sie im Internet danach! Es ist lustig und traurig zugleich: Es geht darum, dass sich der Typ einen Scheißdreck dafür interessiert, was er macht. Er wird als Regisseur angeheuert, er lässt sich bezahlen, er dreht den Film - und beschwert sich ein paar Jahre später darüber, was für einen Mist er da produziert hat. Das ist sein Projekt, sein Kunstwerk, er steckt jedoch nur Hass und Ärger hinein. Warum nimmt er den Job dann überhaupt an?

Weil er Geld dafür bekommt. Nicht gerade wenig ...

Aber er wird dadurch zum depressiven Zyniker, der an seinem eigenen Albtraum von Film verzweifelt.

Sie haben also noch nie ein Projekt nur des Geldes wegen übernommen?

Nein. Ich kann mit dem ganzen Stress, den Geld mit sich bringt, überhaupt nichts anfangen. In meinem Haus würde ein Einbrecher nichts finden, das sich zu stehlen lohnt. Ich könnte auch in einem Zelt leben und Fahrrad fahren - und wäre immer noch glücklich.

Sie drehen aber auch Werbefilme, "Halftime in America" mit Clint Eastwood gehört zu ihren Werken. Das ist gut bezahlte Arbeit.

Aber es macht Spaß! Klar bekommt man dafür im Vergleich zu einem Spielfilm mehr Geld, doch Werbefilme können Kunst sein. Sehen Sie sich nur die Werke von David Fincher an! Einige Clips gehören zu den Projekten, auf die ich mit dem größten Stolz zurückblicke.

Sie haben sich als Regisseur von Independent-Filmen wie "George Washington" oder "Undertow" einen Namen gemacht. Sie gelten als einer der begabtesten Geschichten-Erzähler. Warum wechseln Sie, wenn es Ihnen doch nur um Kunst geht, immer wieder ins Mainstream-Fach?

Ich habe vier Independent-Filme gedreht, die kein Mensch gesehen hat. Dann habe ich mir gedacht, dass es als Regisseur doch auch mal lustig sein könnte, etwas zu produzieren, das tatsächlich ein paar Leute interessiert - also habe ich Pineapple Express gemacht. Danach ging es mir privat nicht besonders gut, deshalb habe ich Bad Sitter gedreht, um mit meinen Freunden in New York abzuhängen und Spaß zu haben. Ich habe das gebraucht. Danach wollte ich wieder eine kleine Geschichte erzählen, das war Prince Avalanche (Anm. d. Red.: Green bekam dafür auf der Berlinale 2013 den Silbernen Bären). Dazwischen die lustige Sportlerserie Eastbound & Down und Werbefilme. Die Projekte, die ich angehe, haben sehr viel damit zu tun, wie es mir gerade privat geht.

"Alles, was mir Angst macht, fasziniert mich."

Es scheint, als wären Sie süchtig danach, andauernd etwas Neues zu probieren und Ihre Komfortzone zu verlassen.

Ich bin ein Adrenalin-Junkie! Alles, was mir Angst macht, fasziniert mich. Ich würde sofort aus einem Flugzeug springen.

Klingt wieder nach Klischee ...

Ich meine das wortwörtlich! Wir haben an einem Freitagabend einen Werbefilm auf einem Rollfeld in Sydney gedreht, der an den Film The Matrix angelehnt war. Nach dem Dreh sagte einer der Verantwortlichen: "Hey, wir haben hart gearbeitet - lasst uns aus einem der Flugzeuge hüpfen." Also sind wir gesprungen. Ich bin der Typ, der immer dabei ist: Wenn mich jemand zum Nordpol einlädt, dann gehe ich zum Nordpol.

Sie waren aber noch nicht am Nordpol, oder?

Doch! Wir sind mit dem Flugzeug nach Island und haben eine Woche lang in Zelten geschlafen, dann weiter nach Grönland. Schließlich sind wir bei minus 40 Grad die letzten Kilometer zum Nordpol zu Fuß gegangen. Das ist das Großartige an meinem Job: Ich komme dadurch an ziemlich krasse Orte, die manchmal auch beängstigend sind. Immer wenn ich Angst habe, dann bin ich aufgeregt.

Haben Sie auch Angst vor den Filmen, die Sie drehen?

Eine Heidenangst, um Gottes willen. Ich hatte Angst vor diesem Film - und ich habe schon jetzt Angst vor dem nächsten Projekt.

Darin wird es um das Attentat beim Boston-Marathon gehen ...

Es wird kein Actionfilm, so viel kann ich verraten. Es wird eine persönliche Geschichte, wie ein Mensch und seine Familie mit so einer Katastrophe umgeht - und auch darum, wie das ist, wenn man als ganz normaler Typ plötzlich zu einem Helden erklärt wird. Die Hauptrolle wird Jake Gyllenhall spielen - noch so einer, den ich liebe. Er hat sich in den vergangenen Jahren unglaublich entwickelt und den Figuren, die er spielt, eine wahnsinnige Tiefe verliehen. Das wird großartig.

Wozu werden Sie ihn bringen?

Dass er sich für diesen Film den Hintern aufreißt.

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