Regierungskritische Graffiti in Ägypten:Gegen die Wand

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(Foto: Ammar Abo Bakr)
  • Während des Arabischen Frühling waren Graffiti in Ägypten wichtig, denn sie dokumentierten Unrecht, Korruption und Gewalt.
  • Ganze Straßen verwandelten sich in dieser Zeit in Leinwände.
  • Nun werden Graffiti erneut in den Untergrund gedrängt.
  • Ägyptens Straßenkünstler haben Bedenken am hellichten Tag regierungskritsche Bilder zu malen. Kritiker sagen: "Politische Graffiti sind tot."

Von Karin El Minawi

In Ägypten hat es die Kunst nicht leicht - auch nach der Revolution von 2011 nicht. Noch immer werden Filme und Literatur von der Zensurbehörde kontrolliert, dabei hatte man die doch nach dem Sturz von Hosni Mubarak eigentlich mal abschaffen wollen. Und nun hat die ägyptische Behörde auch noch 400 Ausgaben des in Deutschland herausgegebenen Bildbandes "Walls of Freedom" (Verlag From here to Fame, 2014) konfisziert.

Der Band hat Malereien und Graffiti gesammelt, die während und nach der Revolution an die Wände der Straßen gemalt wurden. Ägyptischen Medien zufolge begründete ein Sprecher des ägyptischen Finanzministeriums den Schritt damit, dass das Buch Bilder zeige, die "Hinweise auf einen Aufstand gegen Polizei und Militär" liefern.

Diese Art von Publicitiy gefährde den Künstler

"Die Konfiszierung ist unsinnig", sagt der deutsche Verleger Don Karl, schließlich seien die Bücher aus Deutschland ganz legal nach Ägypten importiert und nicht geschmuggelt worden. Seit einem Jahr liegen sie in den ägyptischen Buchläden. Karl vermutet, einer der Zollbeamten wolle sich aufspielen. Zudem ist Selbstzensur in Ägypten wieder weit verbreitet. Viele Graffiti wurden längst übermalt, existieren im Buch jedoch weiter.

Der Band dokumentiert die Ereignisse der Revolution 2011 und danach, gibt einen detaillierten Überblick über die Entwicklung der Straßenkunst und macht so das Vergängliche unvergänglich. Nun wurden laut der ägyptischen Tageszeitung El Watan Haftbefehl gegen Don Karls ägyptischen Partner und den Leiter der Transportfirma erlassen, die das Buch ins Land gebracht hat. Und das, obwohl der Chef der Zensurbehörde das Buch längst freigegeben hatte, da es seiner Ansicht nach keine Hetze gegen die Armee oder der Polizei beinhalte.

"Politische Graffiti sind tot"

Einen Nebeneffekt hat der Vorfall immerhin: Das Buch kletterte in der internationalen Amazon-Bestsellerliste nach oben. Doch diese Art von Publicity gefährde die Künstler, sagt Karl. Ägyptens Straßenkünstler hatten schon vor der Konfiszierung Bedenken, am helllichten Tage regierungskritische Bilder zu malen: "Jetzt erst recht", so Karl: "Politische Graffiti sind tot."

Straßenkunst ist in Ägypten nichts ganz Neues, nur war sie lange nicht so verbreitet: Der öffentliche Raum wurde von den staatlichen Behörden kontrolliert. Als aber Langzeitherrscher Hosni Mubarak 2011 aus dem Amt gejagt wurde, eroberten die jungen Ägypter den öffentlichen Raum und verwandelten die Straßen in endlose Leinwände. In ihren Kunstwerken spiegelte sich der Gemütszustand der Menschen wider, sie dokumentierten in grellen Farben Unrecht, Korruption und Gewalt. Zudem erinnerten sie an jene, die im Kampf für die Freiheit ihr Leben verloren.

Graffiti werden wieder in den Untergrund gedrängt

Das alles ist eine gefühlte Ewigkeit her, Ägyptens Konterrevolution triumphiert, die Helden von früher - Aktivisten, Blogger, Menschenrechtler - sitzen im Gefängnis, jede Kritik wird als Terrorismus diffamiert. Das weiß auch der Künstler Ammar Abo Bakr und sieht die Affäre um den Graffiti-Band mit gemischten Gefühlen. Vor allem der Rummel darum stört ihn. "Das schadet uns", sagt er. Die Zeiten, in denen sie unbekümmert Wände bemalen konnten, seien längst vorbei. Graffiti werden wieder in den Untergrund gedrängt. Wenige Orte erinnert noch an die Aufbruchstimmung 2011, am meisten vielleicht noch die Außenwand der American University Cairo in der Mohammed-Mahmud-Straße direkt am Tahrir-Platz. Dort malten die Künstler anfangs überlebensgroße Porträts von Opfern der Aufstände. Dann kamen Kunstwerke über aktuelle Vorfälle hinzu und die Mauer wurde eine Art Wandzeitung, informativ, kritisch, höhnisch, provokant und vor allem frei. Die Künstler fühlten sich geschützt durch die Euphorie und die Entschlossenheit der Jugend. Die Mohammed-Mahmud-Straße war eine Open-Air-Galerie: Zuschauer fügten Kommentare hinzu, übermalten oder verfremdeten die Bilder.

Eines der besonders drastischen war ein Bild von Ganzeer, einem der berühmtesten Graffiti-Künstler des Landes. Es zeigt einen Soldaten über einen Berg Schädel, aus seinem Mund tropft Blut. Abo Bakr wiederum hat seinen Kollegen Hisham Rizk porträtiert. Rizk malte vor Kurzem noch selbst, heute blickt er lächelnd von der Wand herab. Eine Woche war er spurlos verschwunden, wurde dann in einem Leichenhaus gefunden. Todesursache: Im Nil ertrunken. Etwas weiter steht der Schriftzug "ACAB",die Abkürzung für "All Cops are Bastards" (Alle Polizisten sind Schweinehunde).

Street Art wird mit bis zu vier Jahren Haf bestraft

Heute ist Ammar Abo Bakr einer von wenigen, die noch politische Themen malen. Und auch er ist vorsichtig geworden: "Wenn sie eine Frau töten, die bei einer Kundgebung Blumen trägt, töten sie auch einen Künstler mit einem Pinsel in der Hand", sagt er. Anfang des Jahres wurde eine Aktivistin mit Blumen bei einer Kundgebung in der Nähe des Tahrir-Platzes erschossen. Die Künstler widmeten ihr ein Bild. Es wurde sofort übermalt.

Inzwischen soll Street-Art in Ägypten mit bis zu vier Jahren Haft und einer Geldstrafe von umgerechnet etwa 12 000 Euro bestraft werden. Damit soll auch die letzte kritische Stimme der Jugendlichen unterdrückt werden. Die zieht es immer mehr ins Ausland. Ganzeer beispielsweise hatte mit seinen Bildern gegen Präsident Abdel Fattah al-Sisi protestiert. Das Staatsfernsehen denunzierte ihn, warf ihm Nähe zur Muslimbruderschaft, den Staatsfeinden Nummer 1. Heute lebt Ganzeer in Amerika.

Und nicht nur der Sicherheitsapparat geht brutal gegen Andersdenkende vor, auch die breite Masse. Die ist frustriert, wünscht sich Stabilität. "Die Menschen haben die Nase voll von Politik und von Revolution", sagt Abo Bakr. Kein gutes Klima für politische Kunst im öffentlichen Raum. Heute müssen es Graffiti nicht nur mit Armee und Polizei aufnehmen, sondern mit der ganzen erschöpften Gesellschaft.

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