Süddeutsche Zeitung

"Red Dot" auf Netflix:Blut ist im Schnee

Der schwedische Horrorthriller "Red Dot" beginnt harmlos als fröhliche Klischeecollage - endet aber mit überraschender alttestamentarischer Härte.

Von Doris Kuhn

Der Weg ist kurz vom Campingausflug zum Survivalthriller, und er ist schon oft zurückgelegt worden. Das ist auch Alain Darborg klar, er hat sich, wie man feststellen wird, ein paar Gedanken darüber gemacht, ob dieser Weg womöglich Abzweigungen bietet. Andererseits, was soll ein Regisseur machen, wenn für den Anfang gerade keine Zombie-Apokalypse zur Hand ist und er das Durchhaltevermögen eines jungen Paares testen möchte, sobald es der Willkür von Natur oder Mitmenschen ausgeliefert ist? Eben. Er schickt seine Protagonisten raus, mit Zelt und Schlafsack, dann stellt er ihnen ein paar Fallen.

Wie die in "Red Dot" aussehen, erklärt zuerst der Titel: ein roter Punkt, beweglich, nachts - der kann nur von einem Laservisier stammen, von einem Gewehr, das Ziele sucht, so viel weiß man aus dem Kino. Wenn also so ein Punkt auf der Zeltwand hin- und herwandert, hinter der das Paar David und Nadja gerade Sex haben will, heißt es, dass der romantische Teil vom Camping jetzt zu Ende ist. Es heißt aber auch, hier, in "Red Dot", dass dem Trashfilm ordentlich Respekt gezollt werden wird, denn Regisseur Alain Darborg schickt seine Protagonisten durch diese und durch etliche andere haarsträubende Situationen, ohne dass sie mehr verlieren als Blut, Handys, Autoschlüssel. Da staunt man manchmal über dieses Glück, aber um genug Survivalklischees auszuprobieren, braucht er die beiden schließlich lebend.

Kenntnisse des Horrorgenres setzt Darborg dabei voraus, das ist sehr angenehm. Er hält sich nicht lang bei der Einführung auf, ein bisschen Fallhöhe von der glücklichen Heirat zum genervten Ehealltag, der gemeinsame Ausflug wird als Versöhnungsprogramm initiiert. Wir sind in Schweden, "Red Dot" ist immerhin die erste schwedische Produktion für Netflix. Dementsprechend reisen David und Nadja lokalpatriotisch zum Nordlicht, hinaus in Schnee und Eis. Auf dem Weg dorthin kommt es zu Zwischenfällen, damit man später raten kann, warum sie wohl beschossen werden: dubiose Rentierjäger an einer Tankstelle, fremdenfeindliches Personal in der Wirtschaft, wobei sich in jedem Fall zeigt, dass auch das Paar nicht absolut herzensgut veranlagt ist.

Die beiden wirken vor allem ein bisschen dämlich, neben ihrer Aggression und seiner Feigheit. Sie tun gern das, was man besser lassen sollte, wenn man überleben will: ziellos in die Wildnis rennen, den Anorak vergessen, laut schreien während die Verfolger lauern. Diese Unvernunft nutzt Darborg, genauso wie den Verzicht auf übertriebene Logik, um sich dem Unterhaltungswert zu widmen. Befreit von Erklärungslast kann der Film locker von einem Scharfschützen zum nächsten wechseln, vom brüchigen Eis zum erwachenden Bären, und damit ist noch längst nicht alles passiert. Denn während die Protagonisten sich als immer skrupelloser erweisen als ihre Jäger, wächst beim Zuschauer das Misstrauen, dass an der Geschichte, die er sieht, etwas nicht stimmt.

Tatsächlich verändert Darborg einen albernen kleinen Rachethriller zu einem von alttestamentarischer Härte, ohne dass man es zu früh durchschauen kann. Hinter ein bisschen Gesellschaftskritik, hinter der Action, hinter einem milden Gruß ans Splattergenre verbirgt er eine Überraschung. Er hält den Film visuell minimalistisch, überall verschneite Weite, keinerlei pittoreskes Sightseeing, wenn man vom Blut im Schnee mal absieht. In diese Kargheit legt er dann das große Gefühl - und damit zuletzt doch eine allumfassende Erklärung. Solcher Erkenntnisgewinn macht "Red Dot" zwar auch nicht zu einem Psychothriller, der vor atemloser Spannung birst. Aber immerhin zu einem, der am Ende den Schmerz erstaunlich gnadenlos verteilt, auf die Gejagten wie auf die Jäger.

Red Dot, Schweden 2020 - Drehbuch und Regie: Alain Darborg. Mit Anastasios Soulis, Nanna Blondell, Thomas Hanzon. 86 Minuten. Auf Netflix.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5214554
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/khil
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.