Rechtsstreit:Recht auf Angst

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Eine AfD-Politikerin und eine christliche Fundamentalistin gehen juristisch gegen eine Schaubühnen-Inszenierung vor. Das Landgericht Berlin gibt dem Theater recht.

Von Peter Laudenbach

Zu den so infamen wie wirkungsvollen Strategien der neuen Rechten gehört es, sich als Opfer dunkler Mächte zu inszenieren. Dass mit ihren Hassparolen die Gewalttaten gegen Flüchtlinge zunehmen, wird ausgeblendet - oder goutiert. Nach "Lügenpresse", "Wirtschaftsflüchtlingen", "Volksverrätern" und sexuellen Minderheiten hat die nationale Rechte jetzt offenbar das Theater als Angstgegner entdeckt.

Die Berliner AfD-Politikerin und EU-Abgeordnete Beatrix von Storch und die homophobe christliche Fundamentalistin Hedwig Freifrau von Beverfoerde sind juristisch gegen die Berliner Schaubühne vorgegangen: Sie forderten von dem Theater, Eingriffe in Falk Richters Inszenierung "Fear" vorzunehmen. Dass in der Aufführung ihre Namen genannt und Fotos und Zitate von ihnen verwendet werden, verletze ihre Persönlichkeitsrechte. Das ist insofern bemerkenswert, als Falk Richter nur öffentlich zugängliches Bild- und Textmaterial benutzt, etwa aus politischen Reden sowie von Internetseiten. Die AfD ihrerseits beschaffte sich den Text des Stückes auf fragwürdige Weise: Statt ihn beim Fischer-Verlag zu bestellen, filmte ein AfD-Sprecher ohne Erlaubnis eine Vorstellung. Am Mittwoch diente eine fehlerhafte Abschrift dieses illegalen Mitschnitts vor dem Berliner Landgericht als Beweisstück, um eine Einstweilige Verfügung gegen die Schaubühne zu erwirken.

Der Regisseur Falk Richter bekam nach der Premiere anonyme Morddrohungen

Der Vorsitzende Richter Michael Mauck und die Anwälte der Klägerinnen gaben zu erkennen, dass sie die gesamte Inszenierung nicht gesehen hatten. In der mündlichen Verhandlung vor der Zivilkammer 27 über den Antrag der Klägerinnen ging es naturgemäß nicht nur um den Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechten. Es ging auch um die Frage, wer vor wem Angst haben muss: Propagandisten der neuen Rechten vor einer polemischen Theaterinszenierung. Oder umgekehrt die demokratische Zivilgesellschaft und Angehörige von Minderheiten vor dem Wirken der beiden Klägerinnen.

Richters Inszenierung ist wenig subtil: Einige etwas zu eitle Berliner Hipster werden angesichts der Internet-Hass-Seiten der neuen Rechten hysterisch und steigern sich in eine Mischung aus Paranoia, Panik und Wut. Und weil sie sich in ihren Internet-Nächten von der Serienmörder-Serie "True Detective" in Albträume begleiten lassen, werden ihre Assoziationen zunehmend blutig: Sie delirieren, man müsse Zombies in den Kopf schießen, die wie Untote aus der nationalsozialistischen Vergangenheit auftauchen. Das ist drastisch - aber natürlich nicht die Meinung Falk Richters, sondern die Fieberfantasie seiner Bühnenfiguren. Als potenzielle Vorbilder taugen diese narzisstischen Wirrköpfe nicht.

Auch wenn er ihre Angst vor den verbalen Ausfällen und dem wachsenden Einfluss der rechten und homophoben Bewegungen teilt, macht sich Richter in seinem Stück über diese apolitischen, naiven Hipster lustig. Jan Hegemann, von Beverfoerdes Anwalt, versuchte aber, einen Zusammenhang zwischen der Schaubühnen-Premiere und einem Brandanschlag auf das Firmengelände seiner Mandantin zu konstruieren. Die Argumentation Hegemanns, Honorarprofessor zweier Kunsthochschulen und Mitverfasser eines Handbuchs zum Bühnenrecht, fußte auf einem eher naiven Theaterverständnis, das nicht zwischen Rede der Bühnenfiguren, Haltung des Autors und Aussage einer Inszenierung unterscheidet. Als mögliche Wirkung einer Theatervorstellung unterstellt Hegemann die unmittelbare Imitation des Bühnengeschehens.

Frappierender ist eine andere Koinzidenz: Nach der Premiere bekam Falk Richter anonyme Morddrohungen. Johannes Eisenberg, der Anwalt der Schaubühne, argumentierte, die Klägerinnen und ihre Gesinnungsgenossen seien "ubiquitär den öffentlichen Raum vergiftende Personen". Sich im Rahmen einer politischen Theaterinszenierung mit ihnen zu befassen, sei legitim: "Wie soll man sich sonst mit ihnen auseinandersetzen, ohne diese Leute zu zeigen?" So sah es auch das Gericht und wies die Anträge der Klägerinnen zurück. Die Schaubühne muss "Fear" nicht ändern.

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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