Rechtsstaatliches Wahrheitsgebot für Predigen:Grenzen der Verkündigung

Vor dem Grundgesetz sind auch Bischöfe normale Menschen. Das hat jetzt Gerhard Ludwig Müller erfahren müssen. Das Bundesverwaltungsgericht wies eine Beschwerde des Regensburger Bischofs zurück, nachdem dieser vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wegen einer Schmährede gemaßregelt worden war.

Rudolf Neumaier

In der katholischen Kirche mag ein Bischof Sonderrechte genießen, die in Sphären der Narrenfreiheit vorstoßen. Freilich macht nicht jeder davon Gebrauch - und wenn doch, welcher Subalterne würde eine geweihte Exzellenz auf Irrungen hinzuweisen wagen, seien sie noch so offensichtlich?

Müller verteidigt Abschaffung des Diözesanrates

Womöglich wird Gerhard Ludwig Müller weiterklagen - bis zum jüngsten Gericht.

(Foto: dpa/dpaweb)

Vor dem Grundgesetz aber sind auch Bischöfe normale Menschen. Und dass die Kirche kein rechtsfreier Raum ist, wird durch einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig bestätigt, das eine Beschwerde der Diözese Regensburg zurückweist und dabei unmissverständlich klarmacht, dass "die religiöse Äußerungsfreiheit keinen absoluten Vorrang vor den Belangen des Persönlichkeits- und Ehrenschutzes genießt". Ein Bischof darf nicht einmal beim Predigen falsche Tatsachen behaupten, schon gar nicht, wenn er dabei eine andere Person verunglimpft.

Alles andere als eine Nichtzulassung der Regensburger Beschwerde hätte fatale Folgen gehabt: Hätte das Bistum in letzter Instanz recht bekommen - dann hätte jeder Pfarrer, jeder Imam und wohl auch jeder Wachturm-Missionar der Zeugen Jehovas unter dem Deckmantel des religiösen Verkündigungsrechtes perfide Lügen über missliebige Zeitgenossen verbreiten dürfen.

Jedenfalls sah sich der religionskritische Publizist Michael Schmidt-Salomon als Opfer einer solchen Attacke. Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller hatte ihm in einer Predigt unterstellt, er stelle das Verbot der Kindstötung in Frage. Die Predigt wurde im Internet veröffentlicht und nach Schmidt-Salomons Intervention umgeschrieben. Was die bischöfliche Pressestelle heute als Kritik und Zuspitzung verstanden wissen will, las sich wie eine infame Schmähung.

Schon der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte Müller zurechtgestutzt: Das Persönlichkeitsrecht schütze davor, dass jemandem "Äußerungen in den Mund gelegt werden, die er nicht getan hat". Das gelte auch für Predigten kirchlicher Würdenträger. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu.

Religionsfreiheit nicht schrankenlos

Dagegen legte Müllers Diözese Beschwerde in Leipzig ein - und scheiterte. Es wirkt grotesk, wenn die Bundesverwaltungsrichter die Beschwerdeführer auf Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes verweisen müssen, den jedes Schulkind aufsagen kann. Religionsfreiheit sei nicht schrankenlos garantiert, sie finde "ihre Schranken in den Grundrechten Dritter".

Während Schmidt-Salomon die Entscheidung als "wichtiges Signal für den Rechtsstaat" feiert, teilt die Diözese mit, sie bedauere und prüfe die Zurückweisung. Womöglich wird Müller weiterklagen - bis zum jüngsten Gericht.

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