Am Samstag vor der ungarischen Parlamentswahl, in der Budapester Wohnung des früheren antikommunistischen Dissidenten, liberalen Aktivisten, Schriftstellers und früheren Berliner Akademiepräsidenten György Konrád. Der Wahlsieg der rechtspopulistischen Partei Fidesz unter Viktor Orbán und der rechtsradikalen Partei Jobbik gilt bereits als sicher, am nächsten Tag wird sich dies bestätigen. Der 77-jährige Gastgeber tröstet sich und seine Besucher erst einmal mit einem Glas feinen schottischen Whiskys.
Süddeutsche Zeitung: Herr Konrád, droht in Ungarn ein langes Regime unter Viktor Orbán? Wird er dazu, wie befürchtet, die Verfassung ändern?
György Konrád: Das ist zumindest nicht unmöglich. Er könnte zunächst einen gewissen Erfolg haben, denn die Wirtschaftskrise neigt sich wahrscheinlich dem Ende zu. Jobbik und Fidesz werden in Zukunft die wichtigsten Player in der ungarischen Politik sein. Die Linken und die Liberalen haben das Spiel verloren. Es ist auch möglich, dass eine ungarische Tradition wiederbelebt wird: Jene der Großparteien zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren die Rechtsextremisten von den Konservativen hart bekämpft worden. Szálási ...
SZ: Ferenc Szálási (1897-1946), der Chef der Pfeilkreuzler, der ungarischen Nazis...
Konrád: ... saß damals im Gefängnis. Aber ich glaube, dass Orban jetzt mit der rechtsradikalen Jobbik nicht dasselbe tun kann.
SZ: Worin besteht denn die Kraft der extremistischen Partei Jobbik ("Die Besseren"), die nach dieser Wahl erstmals ins Parlament einzieht?
Konrád: Die stärkste Kraft der Jobbik besteht in den Studenten. Natürlich gibt es bei der Jobbik viele Wirrköpfe. Aber mir erzählen Professoren von Studenten, die so artikuliert sprachen, dass man sie der Mitte oder der Linken hätte zuordnen können. Aber nein, es waren Jobbik-Sympathisanten. Hier beginnt etwas Neues. Kann sein, dass diese extreme Rechte eine intellektuelle Elite haben wird - anders als damals die Pfeilkreuzler. Diese jungen Leute sind informiert und mit Computern vertraut, im Gegensatz zu den Fidesz-Leuten. Viktor Orbán kann nicht mal mit dem PC umgehen.
SZ: Warum ist die liberale SZDSZ so schwach geworden? Und warum sind Sie selbst im Sommer 2009 aus dieser Partei ausgetreten?
Konrád: Weil ich die Idiotie und die Lügen des neuen Präsidenten Attila Rettkes nicht ertragen konnte. Er hatte gesagt, ich würde ihn unterstützen, dabei habe ich ihn nie getroffen. Diese Partei war heruntergekommen, sie hätte nicht am Leben bleiben können. Um Erfolg zu haben, muss eine Partei in Ungarn anscheinend diktatorisch aufgebaut sein: Eine einzige Person denkt für alle und bestimmt das Programm - so wie es bei der Fidesz zugeht.
SZ: Um Gott willen, warum das denn?
Konrád: Weil die Leute Angst haben müssen, um die nötige Parteidisziplin aufzubringen. Früher hatte in der SZDSZ der Philosoph Janos Kis eine persönliche Autorität, bei den Sozialisten war es Gyula Horn.
SZ: Gibt es keine Chance für eine liberale Partei in Ungarn?
Konrád: In Ungarn wird der Liberalismus mit den Kommunisten und mit den Juden identifiziert.