Wir ziehen im Mai in die Landtage von Schleswig-Holstein und NRW ein und dann, liebe Freunde, rocken wir Deutschland! Wir werden's rocken." - Das waren die Worte der auf dem Bundesparteitag in Köln am Wochenende frisch gekürten AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel in ihrer Dankesrede nach der Nominierung.
Nicht nur der etwas ungelenke, genüsslich-diabolische Predigerton, den sie selbstgewiss grinsend dabei anschlug, befremdete aus der Ferne. Es war vor allem dieses eine Verb, das in der rechtpopulistischen Ecke seltsam deplatziert klingt: rocken.
Als Synonym für "begeistern" führt es sogar der Duden längst ganz offiziell. Aber abgesehen davon, dass es als Slang-Wort schon arg in die Jahre gekommen ist und am ehesten noch in ARD-Sendungen mit Ina Müller, die in Hamburger Senioren-Hafenkneipen aufgezeichnet werden, zu Hause ist und sogar da schon eher nur noch sehr ironisch - abgesehen davon stammt es doch vor allem aus einem ganz anderen, politisch eindeutig mindestens linksliberal zu verortenden Referenzrahmen.
Popkultur:Mit Donald Trump sind Ironie und Coolness endgültig Geschichte
Der neue US-Präsident ist aber nur das Symptom einer Zeitenwende: Die Epoche des Cool ist vorbei. Was nun folgt ist die Rückkehr in Zeiten überhitzter Konfrontation.
Andererseits wurde man in den vergangenen Monaten an einiges gewöhnt. Etwa durch die Meldung, dass Silicon-Valley-Mogule das Burning-Man-Kunst- und Musik-Festival in der Wüste von Nevada zu ihrer Lieblingskontaktbörse erklärt haben. Seit mehr als 30 Jahren ist dieses Festival als Manifest der linken amerikanischen Gegenkultur konzipiert, als Beweis, dass eine bessere, gerechtere, menschenfreundlichere Welt möglich ist (auch wenn ein Ticket 400 Dollar kostet).
Zu den erklärten Burning-Man-Prinzipien gehören Partizipation, Nachhaltigkeit, zivile Verantwortung, Kooperation, Inklusion, Antikapitalismus und das Schenken. Der Veranstalter ist eine Non-Profit-Organisation.
Trump unterlegte Wahlwerbeclip mit der Indierock-Hymne von der guten Seite der Macht schlechthin
Es gibt elektronische Musik und reichlich bewusstseinserweiternde Drogen, aber keine Werbebanner und kein überteuertes Bier. Im Grunde soll alles Nötige unter den inzwischen circa 60 000 Teilnehmern einfach getauscht werden. Und die temporäre Idealstadt samt Krankenhaus, die alljährlich in der Wüste entsteht, wird hinterher komplett abgebaut. Und zwar so, dass kein Abfall zurückbleibt.
Die Milliardäre aus dem Valley tauschen dort aber nichts, sie feiern auf dem Gelände in ihren eigenen gut bewachten und bestens klimatisierten "High-End Camps". Bye, bye, Wüsten-Utopia.
Den Vogel schoss der neue US-Präsident Donald Trump ab, als er im vergangenen Oktober, in der Endphase seines Wahlkampfs einen so spektakulär wie ein Musikvideo geschnittenen Wahlwerbeclip in ganzer Länge mit dem Song "Seven Nation Army" der amerikanischen Band The White Stripes unterlegte, also mit der Indierock-Hymne von der guten Seite der Macht schlechthin.
Zuvor hatte er schon den Unmut der Rolling Stones und von R.E.M. erregt, nachdem bekannt geworden war, dass er auf Wahlkampfveranstaltungen "You Can't Always Get What You Want" oder "It's the End of the World as We Know It" gespielt hatte.
Das Missverständnis vom revolutionären Verhältnis
Was bitte ist da los, denkt man sich. Und: Jetzt ist es auch mal wieder gut. Von Trump einmal ganz abgesehen: Wie kann man Pop immer noch missverstehen, diese Kraft, die doch eigentlich nur das Gute will?
Die ein bisschen langweilige, schnelle Antwort darauf ist: Das ist ganz leicht, und der Pop ist selbst daran schuld, weil er sich früh mit dem bösen Kumpel Kommerz zusammengetan hat, der ihn sich seither langsam, aber unaufhaltsam unterworfen hat. Deshalb sei die Idee, Pop sei im Sinne der sich selbst erlösenden Gesellschaft die Wundermischung aus Kritik und Unterhaltung, längst beschädigt. Und Donald Trump und der Pop eben keine völlig verrückte Paarung, sondern nichts als eine Zwangsläufigkeit.
Die linke Pop-Intelligenz erschrak 1992 heftig, als klar wurde, dass die rechten Steinewerfer bei den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen gegen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber genauso aussahen wie die linken Pop-Fans.
Aber das ist nur die halbe Geschichte, und sie fußt auf einem kleinen, aber verhängnisvollen Missverständnis davon, wie sich Pop und Politik zueinander verhalten sollen, nämlich revolutionär.
Der Popmusiker wird aus dieser Perspektive zum besseren, weil beliebteren und durchsetzungsfähigeren Politiker oder sogar zum Revolutionsführer. Die Revolution kann dann ja praktischerweise auch gleich mit ordentlicher Quote im Fernsehen gezeigt werden.
So einfach ist es aber nicht. Die Klügeren (und die Skrupellosesten) unter den Popstars haben das schon immer gewusst. Oder wenigstens geahnt. Mit anderen Worten: Die Botschaft von Mick Jagger ist notwendigerweise qua Amt und Würden immer zuerst: "Guck mal, da ist Mick Jagger!" Mick Jagger kann nicht einfach plötzlich wieder ein Straßenkämpfer sein, er kann "nur" einen Song über den "Street Fighting Man" schreiben.
Es ist deshalb auch kein Zufall, dass sich etwa Lady Gaga vor Kurzem im Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit dagegen verwahrt hat, dass sie eine Politikerin ist. Sie sei eine politische Aktivistin. Das ist ein wichtiger Unterschied. Es steht nämlich weder in der Macht von Aktivisten noch von Popstars, Dinge unmittelbar zu verändern. Aktivismus bleibt Aktivismus und Kunst bleibt Kunst.
Allerdings hat der Pop eine andere Art von Macht, die eher eine Art Soft Power ist. Sie erscheint etwas läppisch, ist es aber im aktuellen mittleren Informationskapitalismus ganz und gar nicht: Sie besteht in etwas, das man vielleicht die "Plausibilisierung von Dissidenz" nennen könnte.
Manchmal vermögen die falschen Leute Songs besser zu deuten als die richtigen
Pop kann vom Mainstream abweichende, er kann von ihm sogar abgelehnte Lebensformen oder Ansichten ins Spiel bringen und über Hits dort dauerhaft etablieren. Lady Gagas Einsatz für die Anerkennung schwuler, lesbischer oder sonst wie sexuell nonkonformer Vorlieben über vergleichsweise stumpfen, aber effektiven Highscore-Disco-Pop oder Beyoncés oder Kendrick Lamars Kampf für die Rechte schwarzer Amerikaner sind nur die jüngsten prominenten und viel beachteten Beispiele.
Genau hier liegt aber auch ein Problem: in der ideologischen Ambivalenz, die Kunst - und besonders oft die gute - nun einmal mit sich bringt. Der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen hat die Power of Pop in seinem Buch "Über Pop-Musik" auf einen schönen Satz gebracht. Die Macht der Pop-Musik bestehe darin, schreibt Diederichsen, "eine freudige und daher ermutigende, freundliche Verneinung des Bestehenden zugunsten der Umstehenden" zu sein.
Zugunsten der Umstehenden heißt aber natürlich: zugunsten von Leuten, die sich über die wesentlichen ideologische Koordinaten schon einig sind.
Texte, wie die zu "You Can't Always Get What You Want", "It's the End of the World as We Know It" oder "Seven Nation Army" lassen sich jedoch ohne Probleme auch ganz anders interpretieren, als sie einmal gemeint waren. Und diese Deutungen sind nicht notwendig weniger richtig als die ursprünglich beabsichtigten. Manchmal vermögen die falschen Leute die Songs sogar besser, cleverer zu deuten als die richtigen.
"Seven Nation Army" etwa ist schlicht ein klassischer, heftig drückender Ermächtigungssong für den Underdog, der sich gegen alle Widerstände durchsetzen will, weil er sich nicht nur im Recht fühlt, sondern Gott auf seiner Seite sieht: "I'm gonna fight 'em all / A seven nation army couldn't hold me back".
Es bleibt die einzige Chance, einfach nicht mitzurocken
Eine Sieben-Staaten-Armee kann ihn nicht aufhalten. Und das lyrische Ich im Song ist ein hart arbeitender Feldarbeiter aus Kansas, also aus dem republikanischen amerikanischen Herzland, weitab vom bösen Polit-Establishment in Washington: "I'm going to Wichita / Far from this opera forevermore / I'm gonna work the straw / Make the sweat drip out of every pore".
Weg von der Oper, schweißtreibende Arbeit auf dem Feld - hat nach den Fußballfans, die das Riff des Songs schon seit Jahren in den Stadien der Welt grölen, auch Trump den Song besser verstanden als sein Schöpfer und seine ersten Fans? Womöglich. Damn.
Die schlechte Nachricht zur Frage, ob man Pop missverstehen kann, muss also vorerst leider lauten: Ja, das kann man. Wenn man der Ansicht ist, die Botschaft sei eindeutig. Wenn die Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden sollen, aber der falsche Beat läuft, bleibt die einzige Chance, einfach nicht mitzurocken.