Süddeutsche Zeitung

Rechtsextremismus:Ein Schelm, wer da an Hitler denkt

Die Doku "Deutsche Pop Zustände" befasst sich mit rechter Musik - und der unbequemen Frage, wie sich rechtes Gedankengut und Mainstream-Popkultur beeinflussen.

Von Luise Checchin

"Ich feiere heut Adis Ehrentag, weil ich den Adolf gerne mag", singt der rechte Liedermacher und NPD-Politiker Frank Rennicke zu den Klängen seiner Akustikgitarre. Eine klare Sache, denkt der Hörer, hier hat jemand seine Verehrung für Hitler vertont und zwar auf nicht besonders subtile Weise. Aber das Lied ist noch nicht zu Ende, denn die Pointe geht so: "Das war ein Mann, der Dr. Adolf Schärf." Ein anderer Adolf soll hier also gemeint sein, der frühere österreichische SPÖ-Politiker und Bundespräsident Schärf, der nun einmal zufällig auch an einem 20. April, Hitlers Geburtstag, geboren ist.

Frank Rennicke ist einer von etlichen Gesprächspartnern, die Dietmar Post und Lucía Palacios für ihre Dokumentation "Deutsche Pop Zustände" befragt haben. "Ein Schelm, der Böses dabei denkt", kommentiert Rennicke sein Lied "Parodie auf ein Tabu-Datum" und lächelt dabei schelmisch.

An der Indizierung vorbeigeschlängelt

Das Beispiel Rennicke illustriert die Grundthese der Filmemacher: Wenn es um rechte Musik geht, dann sind die Dinge längst nicht so eindeutig, wie man meinen könnte. Textlich sind viele rechte Musiker dazu übergangen, sich mehr oder weniger elegant an der Indizierung vorbeizuschlängeln. Und auch musikalisch kommt das rechte Liedgut häufig unauffälliger daher als erwartet - als Folk-Song, Ballade oder sogar Schlager. Gleichzeitig finden sich in den vergangenen Jahren Spuren rechten Gedankenguts in der etablierten Pop-Musik wieder. Zwischen der rechten Szene und der Popkultur gibt es Wechselwirkungen, das wollen Post und Palacios mit ihrer Dokumentation klarmachen.

Sie tun das trotz des Themas sehr unaufgeregt, fast schon spröde. "Deutsche Pop Zustände" kommt ohne Off-Kommentare oder spektakuläre Bilder aus. Zu sehen gibt es Menschen, die Musik hören und darüber reden. Darunter sind Wissenschaftler, Musiker - rechte wie linke -, Szene-Kenner und Aussteiger. So reihen sich Einschätzungen aneinander, die sich oft ergänzen und manchmal diametral widersprechen.

Post und Palacios erzählen die Geschichte rechter Musik in Deutschland mit fast archivarisch anmutendem Eifer. Sie beginnen Ende der 70er-Jahre mit der Geburt der Skinhead-Kultur aus dem Geiste der Punkmusik und enden mit den antisemitischen, ausländerfeindlichen Texten des Rappers MaKss Damage. So lässt sich sehr genau nachvollziehen, wie sich die rechte Szene über Jahrzehnte die jeweils aktuellen popkulturellen Strömungen einverleibte.

Auf Worte folgen Taten

Dieser Ansatz bringt es notgedrungen mit sich, dass viele Themen nur angerissen werden können. Besonders bei der Frage nach der Rezeption rechter Musik würde man gerne mehr wissen. Wie wird die Musik gehört? Wie genau wirkt sie auf den Hörer? Der Szene-Aussteiger, der in der Dokumentation zu Wort kommt, hat dazu nur wenig Eindrückliches zu sagen. Von wissenschaftlicher Seite ist dagegen mehr zu erfahren. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer vertritt die These, dass auf Worte zwangsläufig irgendwann auch Taten folgen müssen. Rechte Musik, so Heitmeyer, sei deshalb so attraktiv, weil sie Stärke verheiße, kollektiv gefühlte Ohnmacht in Macht verwandle. Was dann folge, sei eine Eskalationsspirale: "Wenn Sie solche Sprüche machen, müssen Sie sie auch einlösen. Ansonsten machen Sie sich zum Gespött."

Beispiele für den Zusammenhang von Worten und Taten führt die Dokumentation einige an: den Mord an dem Mosambikaner Alberto Adriano etwa, dessen Mörder sich vom "Afrika-Lied" der Band Landser aufputschen ließen. Das Bekennervideo des NSU, das mit rechtsextremer Musik unterlegt ist. Das "Döner-Killer"-Lied der Band Gigi und die braunen Stadtmusikanten aus dem Jahr 2010, bei dem bis heute spekuliert wird, inwiefern Täterwissen in den Text eingeflossen ist. Doch die Dokumentation will diese Taten nicht als isolierte Vorfälle betrachtet sehen. Es mache keinen Sinn, zitieren die Filmmacher den Soziologen Heitmeyer, den NSU aus den gesamtgesellschaftlichen Bedingungen herauszulösen. Rechtsextremismus brauche ein bestimmtes Klima, um zu gedeihen und das werde ebenso von Unterstützermilieus wie vom Alltagsrassismus der ganz normalen Bürger genährt. In diesem "Radikalisierungskontinuum", wie Heitmeyer es nennt, spiele die Musik mit ihrer emotionalisierenden Wirkung eine entscheidende Rolle.

Dieser These folgend, bleibt "Deutsche Pop Zustände" nicht bei den musikalischen Umtrieben der rechten Szene stehen, sondern stellt die unbequeme Frage, wie viel rechtes Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft zu finden ist. Man sieht den Werbespot zur Kampagne "Du bist Deutschland". Man sieht Xavier Naidoo, wie er 2006 vor dem Spiel Deutschland gegen Italien in der ZDF-WM-Arena sein Lied "Dieser Weg" so umtextet, dass es heißt: "Die Nation steht hinter euch und zwar sehr". Gleich darauf widerspricht der Soziologe Heitmeyer der These, dass die Deutschen damals eine "neue deutsche Entspanntheit" gegenüber der eigenen Nationalität entwickelt hätten. Den viel beschworenen "toleranten Patriotismus" habe es nach 2006 nicht gegeben, im Gegenteil: Heitmeyers Forschungsergebnisse besagen, dass Nationalstolz und Fremdenfeindlichkeit zusammenhängen.

Alles nur eine Frage des Geschmacks?

Man sieht auch Philipp Burger, den Sänger der Band Frei.Wild, der mit Rechtsrock seine Karriere begann. Mittlerweile distanzieren sich Frei.Wild von jeder Form des Extremismus, aber die Kritik, sie kokettierten mit rechten Codes und propagierten völkisches Denken, reißt nicht ab. Etwas hilflos versucht Burger, diese Vorwürfe zu entkräften. Ob man "völkisch" nun als einen positiv oder negativ besetzten Begriff verstehe, sei eben eine Geschmacksfrage, findet er.

Etwas später taucht Xavier Naidoo noch einmal auf, diesmal mit dem Lied "Wo sind sie jetzt", in dem er zusammen mit dem Rapper Kool Savas Rachefantasien an Kinderschändern besingt. "Wo sind unsere Helfer, unsere starken Männer, wo sind unsere Führer, wo sind sie jetzt?", heißt es im Refrain. Viele Kritiker fassten das Lied als homophob und gewaltverherrlichend auf.

Alles nur eine Geschmacksfrage? Eine temporäre Verirrung? Oder ein systematisches Problem? Die Dokumentation plädiert für Letzteres, in einer Szene gegen Ende wird das besonders deutlich. Da wird dem NPD-Politiker und Musiker Rennicke ein Lied des rechtsextremen Rappers MaKss Damage vorgespielt, das vor Verschwörungstheorien und Antisemitismus nur so strotzt. Ein sehr politischer Sänger sei das, kommentiert Rennicke, der sich aber in manchen Punkten gar nicht so sehr von den Aussagen Xavier Naidoos unterscheide. Und dann macht Rennicke einen Vorschlag: "Wahrscheinlich wäre es interessant, wenn Xavier Naidoo sich mit dem guten Mann einfach mal zusammensetzt."

"Deutsche Pop Zustände" ist aktuell in den folgenden Kinos zu sehen: 28.09. Stuttgart: Forum 3 e.V. (mit Dietmar Post), 29.09. Aalen: Kino am Kocher (mit Dietmar Post), 04. und 05.10. Berlin: Lichtblick-Kino Berlin, 26.10. Hamburg-Bergedorf: Filmforum

Außerdem ist der Film hier als Stream abrufbar.

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