Beispiele für den Zusammenhang von Worten und Taten führt die Dokumentation einige an: den Mord an dem Mosambikaner Alberto Adriano etwa, dessen Mörder sich vom "Afrika-Lied" der Band Landser aufputschen ließen. Das Bekennervideo des NSU, das mit rechtsextremer Musik unterlegt ist. Das "Döner-Killer"-Lied der Band Gigi und die braunen Stadtmusikanten aus dem Jahr 2010, bei dem bis heute spekuliert wird, inwiefern Täterwissen in den Text eingeflossen ist. Doch die Dokumentation will diese Taten nicht als isolierte Vorfälle betrachtet sehen. Es mache keinen Sinn, zitieren die Filmmacher den Soziologen Heitmeyer, den NSU aus den gesamtgesellschaftlichen Bedingungen herauszulösen. Rechtsextremismus brauche ein bestimmtes Klima, um zu gedeihen und das werde ebenso von Unterstützermilieus wie vom Alltagsrassismus der ganz normalen Bürger genährt. In diesem "Radikalisierungskontinuum", wie Heitmeyer es nennt, spiele die Musik mit ihrer emotionalisierenden Wirkung eine entscheidende Rolle.
Dieser These folgend, bleibt "Deutsche Pop Zustände" nicht bei den musikalischen Umtrieben der rechten Szene stehen, sondern stellt die unbequeme Frage, wie viel rechtes Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft zu finden ist. Man sieht den Werbespot zur Kampagne "Du bist Deutschland". Man sieht Xavier Naidoo, wie er 2006 vor dem Spiel Deutschland gegen Italien in der ZDF-WM-Arena sein Lied "Dieser Weg" so umtextet, dass es heißt: "Die Nation steht hinter euch und zwar sehr". Gleich darauf widerspricht der Soziologe Heitmeyer der These, dass die Deutschen damals eine "neue deutsche Entspanntheit" gegenüber der eigenen Nationalität entwickelt hätten. Den viel beschworenen "toleranten Patriotismus" habe es nach 2006 nicht gegeben, im Gegenteil: Heitmeyers Forschungsergebnisse besagen, dass Nationalstolz und Fremdenfeindlichkeit zusammenhängen.
Alles nur eine Frage des Geschmacks?
Man sieht auch Philipp Burger, den Sänger der Band Frei.Wild, der mit Rechtsrock seine Karriere begann. Mittlerweile distanzieren sich Frei.Wild von jeder Form des Extremismus, aber die Kritik, sie kokettierten mit rechten Codes und propagierten völkisches Denken, reißt nicht ab. Etwas hilflos versucht Burger, diese Vorwürfe zu entkräften. Ob man "völkisch" nun als einen positiv oder negativ besetzten Begriff verstehe, sei eben eine Geschmacksfrage, findet er.
Etwas später taucht Xavier Naidoo noch einmal auf, diesmal mit dem Lied "Wo sind sie jetzt", in dem er zusammen mit dem Rapper Kool Savas Rachefantasien an Kinderschändern besingt. "Wo sind unsere Helfer, unsere starken Männer, wo sind unsere Führer, wo sind sie jetzt?", heißt es im Refrain. Viele Kritiker fassten das Lied als homophob und gewaltverherrlichend auf.
Alles nur eine Geschmacksfrage? Eine temporäre Verirrung? Oder ein systematisches Problem? Die Dokumentation plädiert für Letzteres, in einer Szene gegen Ende wird das besonders deutlich. Da wird dem NPD-Politiker und Musiker Rennicke ein Lied des rechtsextremen Rappers MaKss Damage vorgespielt, das vor Verschwörungstheorien und Antisemitismus nur so strotzt. Ein sehr politischer Sänger sei das, kommentiert Rennicke, der sich aber in manchen Punkten gar nicht so sehr von den Aussagen Xavier Naidoos unterscheide. Und dann macht Rennicke einen Vorschlag: "Wahrscheinlich wäre es interessant, wenn Xavier Naidoo sich mit dem guten Mann einfach mal zusammensetzt."
"Deutsche Pop Zustände" ist aktuell in den folgenden Kinos zu sehen: 28.09. Stuttgart: Forum 3 e.V. (mit Dietmar Post), 29.09. Aalen: Kino am Kocher (mit Dietmar Post), 04. und 05.10. Berlin: Lichtblick-Kino Berlin, 26.10. Hamburg-Bergedorf: Filmforum