Rechtsextreme Esoterik:Arier im Mikrowellen-Krieg

Lesezeit: 13 Min.

Esoterik trifft Rassismus: Ein Streifzug durch eine Szene, in der sich scheinbar geheimnisvolle Lehren mit Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Rassismus vermischen.

Birk Meinhardt

Berlin, im März - Egal an welchem Wochenende, irgendwo in Deutschland ist immer irgendeine Esoterik-Messe. Diesmal in Berlin. Die meisten der Besucher sind nicht jung und nicht alt und gehören, wenigstens ihrem Aussehen nach, nicht zu den Superreichen und nicht zu den Bitterarmen und nicht zur Intelligenzia und nicht zu den Geistlosen, soll heißen: Die vielbesungene Mitte der Gesellschaft, hier scheint sie versammelt zu sein.

Als erstes ein Wahrsager. Kaum, dass sich von weitem die Blicke begegnen, ruft er mit ausholender Geste, du bist ein Denker, das seh ich, aber als man spöttisch zurückruft, so, woran denn, wechselt er umstandslos seine Erkenntnis und lobt, die zwei linken Hände übersehend, mit denen man ausgestattet ist: ein Techniktüftler, das ist dein Ding, stimmt's?

Paar Meter daneben eine Kamera, die laut Beschreibung imstande ist, die menschliche Aura abzubilden; hübsch bunt ist sie, die Aura, wie sich auf dem Abzug erweisen wird, und kreisförmig natürlich, eine Mischung aus Regenbogen und Heiligenschein, macht 29 Euro. Schließlich ein riesiger Bücherstand mit Werken wie "Die Seele in den Meisterjahren", und zwischen diesen Werken: ein Autor namens Jan van Helsing.

Ein Pseudonym. Wie jeder weiß, der "Dracula" gesehen oder gelesen hat, ist Professor van Helsing ein großer Vampirjäger. Der Mann dahinter aber heißt Jan Udo Holey. Er legte sich das Pseudonym vor der Veröffentlichung seines Buches "Geheimgesellschaften" zu, weil die "Illuminati", mit denen er sich darin beschäftigt, ja ebenfalls Blutsauger seien, Menschen, "die auf Kosten anderer Menschen existieren". Er habe den Namen einfach witzig gefunden. Man dürfe diese Burschen, die Illuminati, nicht ernst nehmen, dann ärgerten sie sich sehr.

Jene Illuminati sind bei ihm nach der Weltherrschaft strebende Juden. Sie, sagt er, haben den Zweiten Weltkrieg angezettelt, und sie werden auch den Dritten Weltkrieg anzetteln, ihre Führer sitzen in den Schweizer Bergen, wobei hinzukommt, dass selbst diese Führer nur Werkzeuge sind, Gesellen von Außerirdischen, die nach der Macht auf Erden streben, ekelerregende Graue, denen jedoch glücklicherweise gute große blonde Außerirdische gegenüberstehen, Arier in gewisser Weise, die sich im hohlen Erdinnern verborgen halten, wo sie mit Flugscheiben sich bewegen und . . .

Das ganz heiße Herz

Das ist Blödsinn? Gewiss, aber man wird, wenn man sich ein wenig näher mit Jan Udo Holey und mit all jenen beschäftigt, denen er als Heiland gilt, durchaus auf eine gewisse Systematik stoßen. Und auf eine erstaunliche Wirkung.

Das erwähnte Buch Holeys, sein erstes, war von 1993 bis 1996 auf dem Markt. Es verkaufte sich 100 000mal. Dann wurde es verboten. In der Anklageschrift ist von einer durchgängig antisemitischen Schrift die Rede, von bewusster Verdrehung historischer Tatsachen und von der Absicht, eine feindselige Haltung gegen die Juden zu schüren.

Deshalb liegt es auch nicht auf der Messe. Aber spätere Bücher des Autors, wie auch die Titel weiterer Schreiber, die in ähnliche Richtung zielen, kann man kaufen. Sie gehören längst zur Esoterikszene, braune Sprengsel im bunten Hokuspokus. Dies hier ist etwas anderes als die körperliche Präsenz irgendwelcher Glatzen, dies ist ein Extremismus, der sich ins Spirituelle kleidet, oder auch anders herum, Spirituelles, das ins Extremistische lappt, eins franst ins andere.

Und weil es da nicht so einfach ist, eine Grenze zu ziehen, gibt es, außer den Auflagenhöhen, auch keine gesicherten Zahlen über Protagonisten und Anhänger. Nur so viel ist klar: Es handelt sich um eine selbständige Szene mit eigenem Publikum, das manchmal gar nicht weiß, wohin die Reise geht, wenn es so ein Büchlein zur Hand nimmt.

Jo Conrad zum Beispiel, man ist jetzt unterwegs zu Jo Conrad, der in Worpswede wohnt. Conrad tritt regelmäßig in secret.tv auf, einem von Jan Udo Holey betriebenen Internetsender. Sein Buch "Entwirrungen" wird gerade in der neunten Auflage ausgeliefert. Bis vor kurzem war es unter anderem über den SZ-Shop zu ordern; warum auch nicht, so der erste Eindruck.

Ziemlich am Anfang ein Hinweis auf die Astralebene, auf der man Kontakte zu Ufos herstellen kann. Dann was Heißes: Wir alle haben "einen Funken in uns, den die Wissenschaft nicht versteht". Er befindet sich in einer Herzkammer, in der nicht weniger als 100 Grad herrschen, weshalb er Hot Spot genannt wird. Man fasst sich instinktiv ans Herz und liest gleichzeitig weiter und erfährt, dass Menschen, die leiden, selber Schuld daran sind: Sie haben in einem früheren Leben anderen Menschen schreckliche Qualen zugefügt und müssen nun spüren, wie sich das anfühlt, eine notwendige Lektion.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Karl Marx mit den rechten Esoterikern zu tun hat.

Jo Conrad wird an dieser Stelle nicht konkreter. Er will nicht mit der Justiz zu tun bekommen, will nicht wegen Volksverhetzung verurteilt werden wie zum Beispiel der Reinkarnationstherapeut Tom Hockemeyer. Der führt unter dem Pseudonym Trutz Hardo Menschenkinder in ihre diversen früheren Leben zurück. In einem Buch, dem er als Titel den Spruch gab, der am KZ Buchenwald prangte, "Jedem das Seine", hatte er geschrieben, der Holocaust sei eine karmische Reinigung gewesen. Ein Schicksal, das den Juden erspart geblieben wäre, wenn sie es nicht durch einstige Missetaten geradezu heraufbeschworen hätten.

Hockemeyer will kein Interview geben. Er schickt aber die Kopie eines Briefes, den er einst seiner schärfsten Kritikerin Jutta Ditfurth geschrieben hatte. Darin steht, dass er all die Anwürfe nicht begreifen könne. Er sei doch selber ein Jude gewesen, ein Schuster, den die Kosaken in der heutigen Ukraine verbrannt hätten. So um 1660 herum muss das gewesen sein. Hat er bei einer Rückführung haarklein erlebt. Wie auch den Grund für jene Vernichtung: Er sah nämlich, wie er noch ein paar Leben zuvor einem reichen Juden das Messer in den Bauch gestoßen hat, nur aus Habgier. Deretwegen hat es ihm später so schlecht ergehen müssen.

Für manchen, der an Reinkarnation und Rückführung und schlechtes Karma glaubt, ist das vielleicht nicht abstrus. Es hat ja eine gewisse Logik innerhalb des hermetischen Systems, in dem er sich bewegt. Jemand wie Hockemeyer kann, wenn er nur konsequent genug seiner Einbildung folgt, auf kürzestem Wege bei der Umwertung des Holocaust landen, mitsamt seiner festen Überzeugung, damit doch nichts, aber auch gar nichts verbrochen zu haben.

Wenn man nun seinerseits die Dinge konsequent zu Ende denkt: Dann ist es nicht nur eine Verirrung Einzelner, die da gerade geschieht; dann ist es mehr als eine bloße Zufälligkeit, wenn sich moderner Okkultismus und rechtsextremes Denken überschneiden. Womöglich sind genau solche Verirrungen und Überschneidungen in diesem Okkultismus sogar angelegt. Man wird sehen.

Undefinierte Gewährsmänner

Auf dem Weg nach Worpswede schaltet man das Handy ein, und es erscheint eine SMS, die am späten vorigen Abend geschrieben worden war: Jo Conrad sagt den Termin ab. Später, per Mail, lässt er durchblicken, dass er sich beraten hat. Er bietet an, die Fragen schriftlich zu beantworten, das ist, was auch Jan Udo Holey getan hat. Und es ist mehr, als zehn, zwölf andere Adressaten auf Bitten um ein Interview tun. Die meisten melden sich entweder gar nicht oder beenden den Kontakt, ohne noch einen Mucks von sich zu geben; so das Magazin ZeitenSchrift und der Argo-Verlag, zwei der wichtigsten Plattformen rechter Esoteriker.

Am abruptesten dreht sich Anke Herrmann weg. Sie führt den Versand "Franken-Bücher", mit dem sie eine Art Fixpunkt für die Einzelpersonen und Grüppchen innerhalb der Szene ist. Auch sie wurde schon wegen Volksverhetzung verurteilt. Sie kann herzerfrischend schnattern am Telefon. "Was soll's", sagt sie, "mein Ruf ist sowieso ruiniert, treffen wir uns ruhig." Dann überschüttet sie einen mit Mails, in denen steht, was man noch lesen, mit wem man sich noch unterhalten sollte. Plötzlich aber will sie "von einem Gespräch doch lieber Abstand nehmen".

Ihr gutes Recht und das aller anderen. Nicht der Rede wert. Es zeigt nur die Unsicherheit der Szene. In den vielen Schriften werden ja mit der größten Festigkeit die unglaublichsten Dinge behauptet, aber da es meist nicht mehr als Behauptungen sind, droht schon eine einfache Nachfrage, alles ins Wanken zu bringen.

Jo Conrad baut deshalb ein wenig vor: Er werde womöglich, da er zu lange suchen müsse, um ein paar Dinge belegen zu können, und da in einen Artikel, wie man ihn zu schreiben beabsichtige, ja sowieso nicht alles passe, einfach ein paar der gestellten Fragen überspringen.

Frage zum Hot Spot: "Wo kann man Näheres lesen? Wer hat den entdeckt?" - "Er wurde von einem Arzt auf einem Kongress 'Neuer wissenschaftlicher Ausblick' in den 90er Jahren in einem Vortrag vorgestellt. Leider habe ich keine sonstigen Hinweise finden können."

Immer ist es ein Arzt, ein Freund, ein Agent: ein nicht näher benannter Gewährsmann, der als Quelle dient, in jeder dieser Veröffentlichungen. Das hat etwas Banales, fast Primitives. Wenn aber alles nur banal wäre, bliebe es letztlich wirkungslos. Man wird jedoch sehen: Manches ist auch schlau, geradezu gerissen ist es, ein Beispiel: Jo Conrad berichtet von mehreren Heften, die ein spanischer Soldat im Zweiten Weltkrieg gefunden habe. Dabei handele es sich um Vernehmungsprotokolle des ehemaligen Sowjet-Botschafters in Paris und London, Kristian Jurjewitsch Rakowsky, durch den NKWD.

Dieser Rakowsky habe sich in den Verhören als Freimaurer erwiesen. Die Freimaurer lenken in den Augen der rechten Esoteriker auf eine uns verborgene Weise die Weltgeschicke. Sie werden wiederum mit den Illuminati gleichgesetzt, und diese bekanntlich mit den Juden.

Die Freimaurer, erkläre also der unter Druck gesetzte Rakowsky, hätten über ihre Vertreter Rothschild und Karl Marx den Kapitalismus wie den Kommunismus inszeniert, und zwar, um auf Erden ein gewaltiges Chaos zu schaffen, aus dem heraus sie über kurz oder lang ihre eigene Herrschaft errichten können. Oder warum sonst sei sowohl der amerikanische als auch der russische Stern fünfzackig? Nur deshalb, weil die Brüder Rothschild am Anfang ihrer Fünfe gewesen waren.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was es mit den Aldebaranern, den blonden Außerirdischen, auf sich hat.

Als halbwegs aufgeklärter Zeitgenosse hält man diese Geschichte für Humbug. Und doch kann man sich ihr nicht ganz entziehen. Und warum kann man das nicht? Wegen Rakowsky. Der Autor Conrad würde sich doch nicht auf ihn stützen, wenn er nicht gelebt hätte, oder? Begeben wir uns also auf seine Spur. Was entdecken wir?

Ja, Rakowsky war Botschafter, und nochmals ja, er war in den Fängen des NKWD. Er wurde sogar hingerichtet. Aber existieren deshalb auch die Protokolle, genauer, jene, aus denen Conrad zitiert? Nun, sie erschienen als Buch 1950 im franquistischen Spanien. Die Originale aber, die Originale sind bisher nirgendwo aufgetaucht. Niemand hat sie gesehen. Oder doch? Vielleicht der gute Conrad? Weiß er, wo sie sind?

"Da müssen Sie den Autor fragen", mailt Jo Conrad zurück, wobei unklar bleibt, ob er den mysteriösen Soldaten oder eher den toten Rakowsky meint.

Wenn man ein paar solcher windelweichen Antworten gelesen hat, macht sich ein seltsamer, fast irrer Gedanke breit, ein Vergleich: dann doch lieber die unverblümt auftretenden NPD-Kader als diese Astralleib-Rassisten in ihrer lichtumspielten Hülle aus Sanftmut.

Der unbedarfte Leser prüft ja nicht, was sie behaupten. Und nimmt er erst einmal halbwegs elegante Erfindungen wie die Rakowsky-Protokolle für bare Münze, ist er womöglich nicht mehr abgeneigt, bizarrere Geschichten zu glauben, etwa die von den Aldebaranern. Die Aldebaraner, das sind jene herzensguten blonden Außerirdischen. Einst haben sie hienieden die Arier angesiedelt.

Sie halfen auch Hitlers letzten Bataillonen, Zuflucht in der inneren Erde, vor allem unter den Polen, und da vor allem im Gebiete Neuschwabenland zu finden. Heute bilden sie und die Reichsdeutschen ein Sechs-Millionen-Mann-Heer. Einen ihrer modernen Flugscheibenstützpunkte, aber das nur nebenbei, haben sie im Irak errichtet, und deshalb haben die Amerikaner in Wahrheit da Bomben abgeworfen: um diese Flugscheiben zu vernichten. Doch es ist ihnen nicht gelungen.

Und wer jetzt nicht glauben mag, dass es Leute gibt, die das glauben, der schaue einmal ins Lokal "Spitteleck" in Berlin, da sitzen jeden zweiten Freitag nicht wenige von ihnen; ihr Treff ist offen für alle, kleiner Stimmungsbericht später.

Ein Schiff names Schwabenland

Man hat noch die Mail Jo Conrads auf dem Tisch und all die Verdrehungen der Szene im Kopf, da kriegt man plötzlich einen Rappel. Soll nun auch Jan Udo Holey brave, seriöse Fragen gestellt kriegen, auf die er nichtssagend reagiert? Nein. Wenn, dann muss er herausgefordert werden, mit der Ironie befeuert, über die er, siehe sein Pseudonym, zu verfügen vorgibt. Wenn das wirklich stimmt, wird er anders antworten als sein Kumpel.

"Ein guter Freund von mir", schreibt man also, "wohnte lange in der Nähe des Nordpols. Er war Jäger. Die Rentiere, die er schoss, lagerte er in einer unterirdischen Höhle. Ich habe das selber gesehen. In der Höhle war es verdammt kalt, keine Rede von den blühenden Landschaften, die Ihre Gewährsleute in der inneren Erde entdeckt haben. Deshalb: In welcher Tiefe beginnt die innere Erde? Und gibt es bestimmte Öffnungszeiten für die von Ihnen erwähnten Löcher? Wird da drin auch Fußball gespielt (ich interessiere mich nämlich für Fußball)? Und wenn ja, wer war der letzte Meister? Und könnten nicht die aktuellen Ergebnisse an den Kicker gesendet werden?"

Doch schade für den Kicker, Jan Udo Holey-van Helsing bleibt stumm.

Ende der Ironie. Denn unter der grellen Oberfläche verbergen sich unscheinbare Drähte, die weiterleiten, worauf es eigentlich ankommt in diesen Geschichten. Wenn man bloß einmal beim Gebiet Neuschwabenland und bei den Flugscheiben bleibt: Jenes Neuschwabenland existiert. Es ist ein 600 000 Quadratkilometer großes Stück Antarktis. Und es wurde, 1938/39, tatsächlich von den Deutschen in Besitz genommen; das Schiff, mit dem sie kamen, hieß Schwabenland.

1952 gab die Bundesrepublik dort jegliche Gebietsansprüche auf. Eine Art Flugscheibe wiederum wurde von den Nazis getestet, ohne Erfolg. Wenn nun das Land noch einmal besetzt, die Untertasse noch einmal bewegt wird, so zu Zwecken der Reinigung, eine Wäsche, die in den Tiefen der Seele wirken soll: So weiß unser Neuschwabenland, so unschuldig. Unschuldig auch wir. Wir sind ja noch dort, sogar mit Millionen Mann. Und unser sind die Scheiben. Wir sind gerettet und mit uns die Technik, wir haben gar nicht verloren. Wir überwintern nur. Und wir werden noch gewinnen, eines gar nicht so fernen Tages.

Lesen Sie weiter, warum man nirgendwo vor heimtückischen Mikrowellen sicher ist.

Das ist, auch wenn es gerade nicht so scheint, weiterhin Esoterik. Denn warum naht gerade jetzt der Sieg? Weil vor etwa 45 Jahren nach dem Glauben der Spiritisten das Wassermann-Zeitalter begonnen hat. Es währt 2150 Jahre und löst nun langsam die Epoche der Fische ab, die von Kriegen, Not und Elend gekennzeichnet war, von Dunklem. Endlich wird es hell. New Age war der in Kalifornien geprägte Begriff dafür. Er ist aus der Mode, aber Autoren wie Holey greifen darauf zurück, indem sie schreiben, wir sind die Kinder des Neuen Zeitalters, wir, und niemand wird uns hindern, unsere Ziele durchzusetzen, und wer es doch versucht, der wird es nicht überleben.

Und weiter zurück in die Geschichte; die Wurzeln jener braunen Esoteriker liegen ja nicht in Kalifornien. Es war die Begründerin des modernen Okkultismus, die Madame Blavatsky, die ihnen Stoff in Fülle hinterlassen hat, vor allem in ihrer 1888 erschienenen "Geheimlehre". Der Mythos des reinen Nordens, sie schuf ihn, denn dort, auf verschollenem Kontinent, "wurde die arische Rasse geboren", die zum Führen geeignete. Verlöschen hingegen müssten niedere Rassen, als da unter anderem wären "Rothäute, Eskimos, Papuas".

Madame gründete die theosophische Gesellschaft. Bald wurden ihre Gedanken ins Völkische übertragen. Der erste, der das tat, war ein Mann namens Guido von List in Wien. Der verabscheute die moderne Jagd nach dem Gelde und die daraus folgende Vereinzelung der Menschen, der träumte von alter wahrer Gemeinschaft, der nannte die Bewohner jenes versunkenen Kontinents Ario-Germanen, der wollte ihre Nachfahren erheben über alle anderen, der formulierte entsprechende Ideen: strikte Rassen- und Ehegesetze, Sippenchronik als Pflicht für jede Familie. Und das war wann? 1911.

Neben List wirkte Lanz, Jörg Lanz von Liebenfels. Und auch seine Ideen lesen sich wie die Vorwegnahme künftigen Geschehens, nur schrecklicher noch: Niedere Rassen wollte er sterilisiert beziehungsweise nach Madagaskar deportiert beziehungsweise als Gottesopfer verbrannt sehen. Arische Brutmütter sollten reinblütigen Männern zur Verfügung stehen. Lanz publizierte in einer von ihm selbst herausgegebenen Zeitschrift, der Ostara, benannt nach der heidnischen Göttin des Frühlings. Diese Hefte wiederum, so ist durch Zeitzeugen verbürgt, sind vom jungen Hitler regelmäßig gelesen worden. Der besuchte Lanz 1909 in Wien sogar in der Redaktion.

Keine voreiligen Schlüsse. Hitler war deshalb dem Okkulten noch lange nicht zugeneigt, im Gegenteil, er hat es verspottet. Aber jener Rassismus der Blavatsky-Jünger, der hat ihn geprägt. Ihr mythologischer Grundton findet sich wieder bei ihm, bis in Details hinein. Die alte Swastika, das Hakenkreuz, das er nach allem, was man weiß, erstmals in einer Schrift Lists sah - es war für ihn, ganz im Sinne der Theosophen, "das Sonnenrad, das von Osten nach Westen um die menschlich bewohnte Erdfläche herumrollt".

Jetzt ist ein Sonnenrad in seiner runden Form in Fichtenau im hügeligen Mittelfranken zum Stehen gekommen. Jan Udo Holey hat es, aus Holz und Glas, in eine der Türen seines Anwesens eingearbeitet, das ist erlaubt, und das ist symbolträchtig. So ein ähnliches Rad findet sich im Boden der Wewelsburg bei Paderborn, früher das Schulungszentrum der SS, heute eine Pilgerstätte für Neonazis. Man muss um diese Hintergründe wissen, um in Fichtenau jene Sonne überhaupt zu erkennen; wer es nicht weiß, denkt wohl nur: hübsch, das Teil, und so sauber gearbeitet.

Mörderische Mikrowellen

Obzwar Holey einen nicht empfängt, kann man ja da entlangwandern, wo er wohnt. In der Nähe ein Gasthof. Die Wirtin bäckt riesige Pfannkuchen. Nach einem ist man satt, aber zum Gericht gehört noch ein zweiter, und sie, die gute Seele, ist ganz traurig, als sie hören muss, der passe beim besten Willen nicht mehr rein. "Der Jan", sagt sie, "hat ein Buch über Hitler geschrieben, ,Mein Kampf'." - "Aber das ist doch von Hitler selber." - "Ja, aber der Jan hat geschrieben, dass der Hitler gar nicht so schlecht war. Und wenn er das schreibt, dann hat er sicher recht."

Holey ist ein kleiner Held für sie, vielleicht nur wegen der Bücher: weil er, der Junge von nebenan, sie geschrieben hat. Doch letztlich, und das begreift man, wenn man sich eine Weile mit der Szene beschäftigt, war alles schon lange vor ihm da. So gut wie nichts hat die jetzige Garde erfunden. Die Mär von den Nazi-Ufos am Pol? Stammt aus einer 30 Jahre alten Trilogie des einstigen SS-Mannes Landig. Die Hohlerde-Theorie? Kommt aus einer ganz anderen Ecke, von Edgar Rice Burroughs, dem Schöpfer von Tarzan.

Holey und seine Leute haben die einzelnen Theorien, Wahnvorstellungen und Phantasien nur gut verquirlt. Und wenn nicht alles täuscht, hatten sie Glück, weil die Umstände, ähnlich wie ein Jahrhundert zuvor dem List und dem Lanz, nun ihnen in die Hände spielten: wieder ein weltweiter Modernisierungsschub, wieder ein Haufen Menschen, die sich sagten, diese neue, harte, schnelle Realität, dahinter muss sich doch noch was anderes verbergen, irgendeine verdammte einleuchtende Erklärung, bitte.

Im "Spitteleck" in Berlin sitzen 25 Mann, die diese Erklärung zu packen gekriegt haben. Und ganz offenbar sind sie nicht gewillt, sie wieder loszulassen. Ihre Gesichter etwas grauer als jene von der Esoterikmesse, ihre Kleidung billiger. Einer bestellt einen halben Liter Rotwein. Den der Wirt, der ihnen nicht fremd ist, denn wir schreiben Neuschwabenlandtreff Numero 121, im Hefeweizenglas serviert. Plötzlich Ruhe, ein Mensch unter Kopfhörern zählt den Countdown. Die Veranstaltung wird von einem Internetradio übertragen. Es heißt "Wahrheit" und meldet sich mit klirrenden Worten: Hier ist der Reichsdeutsche Rundfunk in Groß-Berlin aus den besetzten Gebieten.

Ein Herr Stoll referiert über die Mikrowelle als tückische Waffe: Jeder kann damit jeden unschädlich machen, die Vorfälle häufen sich, man ist nirgends sicher. Dann folgt Herr Petersen mit einem Bericht über Kondensstreifen, die in Wirklichkeit was anderes sind, nämlich todbringende Gifte, welche aus den Flugzeugen versprüht werden. Er, der das oft gesehen hat und sich fragt, wieso andere es nicht auch sehen, er hat letzte Nacht schon mal brechen müssen, einfach so.

"Kann auch eine Mikrowelle gewesen sein", ruft Herr Stoll mitfühlend.

Jemand schreit von hinten: "Die BRD ist eben einfach zum Kotzen!" Dröhnendes Gelächter. Der Mann von "Radio Wahrheit" hebt den Daumen. Aber, setzt Petersen fort, da sind auch ermutigende Zeichen am Himmel. Denn schon mehrmals konnte er direkt über Berlin beobachten, wie aus dem Nichts Flugscheiben auftauchten, die Giftsprühmaschinen kassierten und wieder verschwanden.

"Dank an die ErrDee", brüllt jemand. Er meint die Reichsdeutschen. Beifall.

Eigentlich hatte man noch mit ein paar Leuten hier sprechen wollen; mit wem denn wohl, wenn nicht mit ihnen. Aber dann reißt man seinen Mantel vom Haken und geht wortlos hinaus.

© SZ vom 15./16.3.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: