Rechtschreibung:Reform auf der Kippe

Sechs Jahre nach Einführung der neuen Rechtschreibung kehren der Springer-Verlag, die Süddeutsche Zeitung und Der Spiegel zur alten Rechtschreibung zurück. Das Echo aus Politiker und Medien ist geteilt. Die Kultusministerkonferenz reagierte mit scharfer Kritik.

Die Rechtschreibreform steht möglicherweise vor dem Aus: Sechs Jahre nach Einführung der neuen Orthographie kündigten am Freitag führende Zeitungen und Verlage an, in Kürze zu den alten Regeln zurückzukehren. Die Süddeutsche Zeitung, das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und der Springer-Verlag werden ihre Print- und Online-Titel auf die alte Orthographie umstellen. "Die neue Rechtschreibung hat zu mehr Verwirrung und nicht zu mehr Klarheit geführt", begründete SZ-Chefredakteur Hans Werner Kilz die Entscheidung. Die Kultusministerkonferenz reagierte mit scharfer Kritik.

"Die Reformkommission hat die ursprüngliche Reform durch eine Vielzahl willkürlicher Ergänzungen und Wahlmöglichkeiten verkompliziert, so dass es auf absehbare Zeit keine Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung geben wird", argumentierte die SZ-Chefredaktion.

In allen Zeitungen und Zeitschriften gebe es ein Sammelsurium von Schreibungen, die dazu beitrügen, die Leser zu verwirren. Der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, und Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust nannten die Reform eine "staatlich verordnete Legasthenie".

Ebenso wie die SZ-Chefredaktion forderten sie Verlage und Nachrichtenagenturen auf, "aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen" die alte Schreibung wieder einzuführen. Die Rückkehr werde "schnellstmöglich" erfolgen.

Signalwirkung auf die Branche

Der Hamburger Bauer-Verlag begrüßte die Rückkehr. Man wolle aber nicht sofort mitziehen, sagte ein Sprecher. Voraussetzung sei, "dass möglichst viele Verlage diesem Beispiel folgen".

Aus Sicht der Zeitungsverleger könnte die Abkehr von den neuen Regeln in SZ, Spiegel und den Springer-Titeln, darunter die Bild-Zeitung, "Signalwirkung" für andere Medien haben. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger erklärte, man werde "die Entwicklung beobachten und zeitnah beraten".

Auch die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen kündigten an, abzuwarten und dann gemeinsam zu entscheiden. "Solange nicht eine große Mehrheit unserer Kunden eine Änderung verlangt, sehe ich keine Notwendigkeit zum Handeln", sagte AP-Chefredakteur Peter Gehrig.

Beim Hamburger Verlag Gruner + Jahr soll die Entscheidung den Chefredakteuren überlassen werden. Mehrheitlich sprachen sich diese gegen die Wiedereinführung der alten Schreibung aus.

So will der Stern an den neuen Regeln festhalten. Auch die Frankfurter Rundschau, die taz und der Focus lehnten eine Rückkehr ab. Bei den großen österreichischen und Schweizer Tageszeitungen ist ein Stopp der Reform nach Angaben von Chefredakteuren "kein Thema".

Die angestrebte Rückkehr zu den alten Regeln stieß auf Kritik bei der Kultusministerkonferenz. Präsidentin Doris Ahnen (SPD) sagte, die Entscheidung der Verlage führe "in hohem Maße zu Verunsicherung, gerade bei Kindern und Jugendlichen".

Die Lehrerverbände waren geteilter Meinung. Der Deutsche Lehrerverband forderte, die Ministerpräsidenten müssten die Reform jetzt zur "Chefsache" machen. Es werde ihnen vermutlich kaum etwas anderes übrig bleiben, als die herkömmliche Schreibung wieder für verbindlich zu erklären, betonte Verbandspräsident Josef Kraus.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft befürchtete "Chaos" kurz vor dem neuen Schuljahr. Auch der Philologenverband warnte davor, den Konflikt auf dem Rücken der Schüler auszutragen. Es gebe Teile der Reform, die unumstritten seien - wie etwa die ss/ß-Regelung.

Der Grundsatz einer einheitlichen Rechtschreibung dürfe nicht aufgegeben werden. Nach Angaben des Verbandes Bildung und Erziehung böten die Erfahrungen an Schulen keine Beispiele für ein Scheitern der Reform.

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sagte hingegen, die Rückkehr zur alten Schreibung werde "eine Erlösung sein für Lehrer und Schüler".

Der Leiter der Duden-Redaktion, Matthias Wermke, stellte die Frage, was überhaupt unter alter Schreibung zu verstehen sei - "der Duden von 1991?"

Die im August 1998 in Deutschland, Österreich und der Schweiz eingeführte Reform war stets umstritten. Namhafte Schriftsteller weigerten sich, in der neuen Rechtschreibung zu veröffentlichen, die Frankfurter Allgemeine Zeitung kehrte kurz nach dem Start der Reform zu den alten Regeln zurück.

Zuletzt hatten mehrere CDU-Ministerpräsidenten gefordert, die Reform zurückzunehmen. Die Erprobungszeit des Regelwerks soll am 1. August 2005 enden.

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