Rechtestreit:Ein eucharistischer Jakob

Rechtestreit: Eine Manuskriptseite aus der „Circe“-Episode des Ulysses, und das Cover der revidierten Wollschläger-Übersetzung.

Eine Manuskriptseite aus der „Circe“-Episode des Ulysses, und das Cover der revidierten Wollschläger-Übersetzung.

(Foto: Christie's Images)

Ein Buch, das es nie geben wird: Eine revidierte Fassung der Wollschläger-Übersetzung des "Ulysses" wird nicht veröffentlicht werden. Über ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald und ungute Rechtsstreitigkeiten.

Von Lothar Müller

In dieser Woche, kurz vor dem Bloomsday, ist manchen Bibliotheken und wissenschaftlichen Einrichtungen der Sonderdruck eines Buches zugegangen. Der Sonderdruck hat eine Auflage von 200 Exemplaren und trägt den Titel: "Ulysses. Roman. Übersetzung von Hans Wollschläger. Revision der Übersetzung Harald Beck mit Ruth Frehner und Ursula Zeller. Beratende Mitwirkung von Fritz Senn. Suhrkamp Verlag 2018." Man kann das Buch bei Amazon anschauen, aber es wird nicht in den Handel gelangen.

Denn am Bloomsday vor einem Jahr, am 16. Juni 2017, las Gabriele Gordon im "Logbuch", dem Blog des Suhrkamp Verlages, den Text "Übersetzen ist ein asymptotisches Handwerk" von Harald Beck. Beck teilte darin mit, nach zehnjähriger Arbeit sei die unter seiner Leitung erfolgte Revision der "Ulysses"-Übersetzung von Hans Wollschläger abgeschlossen. Da hatte die Produktion der Neuausgabe längst begonnen, ein Link in Becks Text führte zu dem Vorwort, das er dafür verfasst hatte.

Gabriele Gordon ist die Inhaberin der Rechte an der 1975 erstmals publizierten Übersetzung Hans Wollschlägers, der im Mai 2007 starb, kurz nachdem der Suhrkamp Verlag begonnen hatte, ernsthaft mit ihm über eine schon lange erwogene Revision zu verhandeln. Hauptziel war, den Ergebnissen der jüngeren Joyce-Philologie bei der Erschließung des Originaltextes Rechnung zu tragen, darunter der Edition Hans Walter Gablers von 1984.

Die Bloomsday-Lektüre Gabriele Gordons blieb nicht folgenlos. Zwei Tage später ersuchte sie den Suhrkamp Verlag um "Übersendung der vertraglichen Vereinbarung über das Bearbeitungsrecht an der Wollschläger-Übersetzung". Eine solche Vereinbarung hatte der Verlag aber mit Monika Wollschläger, der 2015 verstorbenen Witwe des Autors, nie geschlossen, die Gabriele Gordon die Rechte an der Übersetzung übertragen hatte.

Gabriele Gordon, 1955 in Düsseldorf geboren, ist nicht nur Autorin, die zwischen 1990 und 2011 unter ihrem Geburtsnamen Gabriele Wolff zahlreiche Kriminalromane sowie im von Hans Wollschläger mit herausgegebenen Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 2001 die Studie "Ermittlungen in Sachen Frau Pollmer" publiziert hat. Sie ist auch Juristin, die bis 2009 unter anderem in Duisburg und Neuruppin als Staatsanwältin und Oberstaatsanwältin tätig war.

Sie las nun nicht nur die Werkstattberichte zur Übersetzungsrevision im Suhrkamp-Blog, sie las auch die ihr vom Verlag übermittelten ersten sieben Seiten der Neuausgabe, auf denen im zweiten Satz Buck Mulligan, bevor er mit Seifenbecken, Spiegel und Rasiermesser zur Parodie einer katholischen Messe schreitet, so auftritt: "Ein gelber Schlafrock, ungegürtet, bauschte sich leicht hinter ihm in der milden Morgenluft." Bei Wollschläger hatte gestanden: Ein gelber Schlafrock mit offenem Gürtel bauschte sich leicht hinter ihm in der milden Morgenluft."

Gabriele Gordon missfiel das "ungegürtet" sehr. Und sehr viele andere Änderungen missfielen ihr ebenfalls. Ende Februar 2018 gab der Suhrkamp Verlag bekannt: "Eine tragfähige rechtliche Grundlage, die uns die Publikation mit den sehr umfangreichen Änderungen des Textes ermöglichen könnte, wurde uns nicht eingeräumt. Es wird also auch weiterhin nur die Übersetzung Hans Wollschlägers zu lesen sein; eine friedliche Ko-Existenz beider Fassungen, wie wir sie geplant hatten, ist leider nicht möglich." (SZ vom 1. März)

Es gab dann ein ziemliches Rauschen im Blätterwald und am 17. März erschien auf dem Blog https://gabrielewolff.wordpress.com, auf dem Gabriele Gordon in der Regel über strittige Rechtsfälle oder die Ukraine-Politik schreibt, der lange, mit zahlreichen Fotografien Hans Wollschlägers illustrierte Artikel "Fake News oder wie ich zur Witwe von Hans Wollschläger wurde". Sie verweigere, so der Tenor ihres Artikels, ihre Zustimmung zur Publikation der Revision aus "sachlichen Gründen". Harald Beck, der "Vokabelprüfer" und sein Team, hätten in ihrer Bearbeitung den "Kunstwerk-Charakter" der Wollschläger-Übersetzung nicht nur beeinträchtigt, sondern zerstört. Auf das Argument, die Revision sei wegen des neuen Originaltextes unvermeidlich, ging sie nur am Rande ein.

Harald Beck hatte im Suhrkamp-Blog geschrieben, Hans Wollschläger habe im Februar 2007 in seinem Haus in Dörflis einer Überarbeitung seiner Übersetzung "auf der Grundlage der kritischen Edition des Originals" prinzipiell zugestimmt. Gabriele Gordon mag darin keine Lizenz für eine Fremdbearbeitung erkennen: "Nur Hans Wollschläger selbst hätte seine eigene geniale Übersetzung überarbeiten können. Niemand sonst."

Am 27. März 2018 veröffentlichte Hans Walter Gabler in der NZZ den Aufruf "Rettet den deutschen ,Ulysses'", um Harald Beck, der vor Jahrzehnten an Gablers Ausgabe des Originals beteiligt war, zu unterstützen. Gabler schlug, um die Revision zu retten, eine zweisprachige Publikation vor, die seine Version des Originals neben die Revision stellt und die gegenüber Wollschlägers Fassung veränderten Textpassagen der Übersetzung hervorhebt. Dem Vorschlag erteilte Gabriele Gordon in ihrem Blog am 27.

März eine deutliche Abfuhr. Seltsam nur, dass sie der nun bei den Bibliotheken eingehenden Sonderausgabe zugestimmt hat. In Bibliotheken kann man nicht nur lesen, sondern auch kopieren. Die Revision ist in der Welt, die Philologen, in die James Joyce seine Leser so gern verwandelt, können ans Werk gehen. Arno Schmidt, in dessen Geist Hans Wollschläger arbeitete, hätte das halblebendige Wesen des Buches womöglich gefallen. Und Buck Mulligan schreitet nun so zur Travestie der Messe: "Denn dies, o geliebte Gemeinde, ist der wahre Christine: Leib und Seele, potz Blut und Wunden." Joyce hatte geschrieben: "For this, O dearly beloved, is the genuine christine: body and soul and blood and owns". Bei Wollschläger gab es keine Christine, bei ihm trat "der wahre eucharistische Jakob" auf. Ihn will Gabriele Gordon nicht angetastet wissen. Christine gegen Jakob, der Streit kann beginnen.

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