Süddeutsche Zeitung

Rechte im Internet:Verbannt von Google und Facebook

Neo-Nazis und "Alt-Right"-Aktivisten schaffen sich eine eigene Netzwelt, da viele Internet-Konzerne ihre Inhalte sperren. Das macht es der Szene schwerer, könnte sie aber auch bestärken.

Von Michael Moorstedt

"Adolf Hitler war ein deutscher Künstler, Soldat und Politiker. Während seiner Regierungszeit konnten beachtliche wirtschaftliche und außenpolitische Erfolge erzielt werden. Nach seinem offiziellen Tod wurde das Großdeutsche Reich zerschlagen, Europa geteilt, und es begann der Kalte Krieg. Bis heute gilt Adolf Hitler als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, die Faszination für seine Person bleibt ungebrochen." So lautet der Beginn des Artikels über den obersten Nazi auf der Online-Enzyklopädie Metapedia. Wörter wie Judenmord oder Antisemitismus tauchen dort nicht auf.

Metapedia nennt sich "alternative Enzyklopädie" und rühmt sich der "Unterrichtung der Öffentlichkeit durch Bereitstellung wahrheitsgemäßer lexikalischer Informationen, wie konforme Medien sie nicht bieten". Die alte Fake-News-Masche, man kennt das.

Seiten wie Metapedia erfreuen sich in jüngster Zeit wachsender Beliebtheit unter rechten Internetnutzern. Denn große Internet-Firmen wie Google oder Facebook sind als Reaktion auf die Charlottesville-Attacke wenigstens ein bisschen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht geworden. Facebook löschte einige besonders widerliche Hassgruppen mit Namen wie "Right Wing Death Squad", Twitter sperrte einige besonders notorische Nutzer. Google verbannte einschlägige Apps aus seinem Play Store.

Auch vermeintlich unpolitische Seiten wie die Zimmervermittlung Airbnb haben Teilnehmer der Ausschreitungen gesperrt. Spotify tilgte Nazi-Songs aus der Diskothek. Einer der Fackelläufer wurde sogar der Dating-Seite Ok Cupid verwiesen. No-Platforming nennen die rechten Diskutanten diese Isolierung. Sie spüren den Verdrängungsdruck, von einer "Säuberungsaktion" ist die Rede.

Auf Basisfunktionen des Internets muss die Rechte trotzdem nicht verzichten

Die Klientel wandert also ab, zu Plattformen, die rechtes Gedankengut noch tolerieren, wenn sie es nicht sogar ausdrücklich begrüßen. So hat sich mittlerweile ein veritables rechtes Parallel-Internet aufgetan: Neben Metapedia existieren eine Handvoll ultrarechter Online-Enzyklopädien, Gab.ai ist das Twitter-Äquivalent, Voat.co die Alt-Right-Version der Plattform Reddit, Hatreon ist ein Spenden- und Bezahlservice für rechte Inhalte, Bitchute präsentiert sich als Youtube-Klon, Minds.com und Wrongthink.net sind die Entsprechungen von Facebook. Kurz: Trotz der Sanktionen aus dem Silicon Valley braucht die Rechte auf keinerlei Basisfunktionen des Internets zu verzichten. Kommunikation, Information, Zahlungsabwicklung und Entertainment - alles wie zuvor und außerdem ideologisch konform. Auf Seiten wie Altright.com gibt es ganze Lesezeichenlisten mit empfohlenen Seiten.

Am härtesten treffen die White-Supremacy-Szene die Sanktionen gegen Domain-Hoster, also Betreiber von Servern, die die Erreichbarkeit von Webseiten ermöglichen wie etwa Go Daddy. Um einen solchen Dienstleister neu aufzubauen, braucht es erhebliche Investitionen und die Koordination mit der Kontrollbehörde zur Namens- und Adressvergabe im Internet, der Icann, also die Kooperation mit dem bei den Rechten so verhassten Staat. Trotz dieser Hindernisse gibt es durchaus Pläne für den Aufbau einer dezidiert rechten Netz-Infrastruktur.

Bis es so weit oder besser, falls es überhaupt dazu kommt, müssen die Rechten improvisieren. Die offen neonazistische Website Daily Stormer etwa hat seit den Ausschreitungen in Charlottesville einen Irrlauf durch das Netz hinter sich. Zuerst wurde der Betreiber Andrew Anglin von seinem Hoster Go Daddy hinausgeworfen, dann scheiterte seine Bewerbung bei Google Domains. Es folgte ein etwa zwölfstündiger Umzug auf die .ru-Domain Russlands, bevor die dortige Telekommunikationsbehörde Roskomnadsor einschritt. Nach einem mehrtägigen Zwischenstopp unter Dailystormer.lol ist die Seite offiziell nur noch über das Tor-Netzwerk zugänglich, also das Darknet.

Inzwischen dauert es etwa fünf Mausklicks anstatt nur einen einzigen, um auf die Seite zu gelangen. Für den wirklich Interessierten stellt das kaum eine Zugangshürde dar. Gleiches gilt auch für den von Google von seinem App Store verbannten Twitter-Klon Gab.ai. Jeder Smartphone-nutzer kann sich das Programm weiterhin im Netz herunterladen. Es ist nur ein wenig unkomfortabler geworden. Aber das schweißt ja bekanntlich zusammen.

Via Gab.ai sendet Andrew Anglin auch weiter im sogenannten "Normie-Net". Vor allem wirbt er dort um Spenden in Form der Digital-Währung Bitcoin. Das elektronische Geld scheint dafür wie gemacht zu sein. Die Extremisten sind nicht mehr auf Paypal oder Apple Pay angewiesen, denn die Bezahldienste haben vergangene Woche ihre Zusammenarbeit mit einschlägigen Seiten ebenfalls aufgekündigt.

Dabei erfahren die Rechten eine erstaunliche Bestärkung aus der traditionell links geprägten Datenschutzszene. Sowohl die liberale Digital-Bürgerrechtsbewegung Electronic Frontier Foundation als auch die sehr diverse Entwicklergemeinschaft des Tor-Projekts halten sich bei der Verurteilung der Netz-Nazis auf bemerkenswerte Weise zurück. Das Freie-Rede-Dogma gilt hier wirklich für so gut wie jeden. Der Dienst sei darauf ausgelegt, jede Zensur zu hindern, einschließlich jener der eigenen Entwickler, heißt es bei Tor. So verwenden Linke und Rechte die gleichen Mittel, um staatlicher und privatwirtschaftlicher Überwachung zu entgehen: Suchmaschinen und Internetbrowser wie beispielsweise Duck Duck Go oder Brave, die keine Suchprofile der Nutzer anlegen, verschlüsselte E-Mail-Clients wie Protonmail und den freien App Store F-Droid für Smartphone-Programme.

All die neuen Ausprägungen des rechten Netzes sind keine direkte Reaktion auf die jüngsten Ereignisse. Einiges existiert schon jahrelang. Metapedia etwa, das Online-Lexikon mit dem bizarren Hitler-Eintrag, wurde bereits 2006 gegründet. Allen Angeboten ist aber gemein, dass sie von der Ächtung des traditionellen Silicon Valley profitieren. Auf den Nutzer-Foren von Altright.com liest man ungezählte Kommentare darüber, dass dieser oder jener Nutzer bislang noch nie von diesen Diensten gehört habe, sich aber nun sofort dort registrieren werde.

Wie so oft im Internet bewirkt der Versuch, Informationen zu unterdrücken, genau das Gegenteil: Die Informationen werden einem noch größeren Personenkreis bekannt. Dieses Phänomen lässt sich bereits in Zahlen messen. Voat.co, eine Seite, die noch vor drei Monaten wegen drohender Zahlungsunfähigkeit vor dem Aus stand, erfreut sich dank eifriger Spenden bester finanzieller Gesundheit. Bemüht man den Statistik-Dienstleister Alexa.com, zeigt sich auch, dass Minds.com in den letzten drei Monaten in der Rangliste der populärsten Webseiten weltweit um mehr als 1300 Plätze nach oben geschossen ist. Die Anzahl der Seitenaufrufe durch Suchmaschinen ist im gleichen Zeitraum um mehr als 50 Prozent gestiegen. Es gibt also eine neue Nachfrage.

Ähnliche Zahlen gibt es auch für den rechten Twitter-Klon Gab.ai. Der steigt gar um mehr als 3000 Plätze auf. Und bei diesen Entwicklungen handelt es sich keinesfalls nur um ein US-amerikanisches Phänomen. Die zweitmeisten Hits erreichen Gab.ai aus Deutschland. Die zweitmeisten Artikel auf Metapedia sind auf Deutsch verfasst.

Doch was ist dort überhaupt zu lesen - abgesehen von Wirrheiten über die NS-Zeit? Es handelt sich, man kann das nach ein paar Tagen intensiven Studiums durchaus sagen, um den gleichen weinerlich-aggressiven Tonfall, den die sogenannten neuen Rechten auch schon auf den Mainstream-Portalen an den Tag gelegt haben. Eifrig haben die Nutzer ein Wort aufgegriffen, das der amerikanische Präsident Donald Trump nach den Ereignissen in Charlottesvilles in Anlehnung an die rechte Alt-Right-Bewegung erfand: "Alt-Left". Demokraten und Linke sind auf diesen neuen rechten Seiten entweder "libtards" - eine Mischung aus liberal und "retarded", also zurückgeblieben - oder "cucks", ein Begriff aus der Fetisch-Szene für einen Mann, der Befriedigung daraus zieht, dass seine Partnerin mit anderen schläft. Es ist eine Rhetorik, die Andersdenkenden entweder Stumpfsinn oder sexuelle Fremdartigkeit unterstellt, und sie zieht sich als verlässliches Motiv durch die Kommentarstränge und Foren.

Die Filterblase könnte undurchlässiger als zuvor werden

Hinzu kommt, wie schon beim großen Vorbild aus Nazi-Deutschland, das Misstrauen gegenüber einem vermeintlich jüdisch geprägten Großkapital. Aus Google wird Goolag, aus Apple ein "wurmstichiger Apfel". Dass auch die Linke zu Gewalt fähig ist, wird mit Bildern vom Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in China illustriert. Die Rechten sehen sich von feindlichen Mächten umstellt, vergleichen sich gerne mit den Palästinensern im Gazastreifen und vergessen dabei gelegentlich, dass sie ja eigentlich nicht nur Juden, sondern auch Araber hassen.

Es bleibt die Frage, was nun passiert, da sich die Klientel jeder sozialen Kontrolle entzieht. Führt das Fehlen einer auch noch so nachlässigen Moderation zu noch mehr Radikalisierung? Die Filterblase ist nun nicht mehr eine Folge der Algorithmen der großen Konzerne, sondern selbstgeschaffen, möglicherweise noch undurchlässiger als je zuvor.

Eine weitere, gar nicht mal so unwahrscheinliche Vermutung lautet, dass sich die Isolation und der Rückzug auf eigenes Terrain im Netz eher negativ auf die rechte Bewegung auswirken könnten. Schließlich definieren sich die Rechten ja vor allem durch die Konfrontation. Sie wollen auffallen, provozieren, trollen. Wenn sie in Zukunft unter sich bleiben, kommen ihnen möglicherweise die Feindbilder abhanden. Und damit der ganze Reiz.

Zumindest auf kurze Sicht ist die Selbstdarstellung als Opfer die stärkste Waffe der neuen Rechten. Lautstark jammern die Netz-Nazis darüber, dass sie ihr Vitriol nicht mehr überall im Internet versprühen können. Die Verbannung, die von Facebook, Google und den anderen großen Technologie-Konzernen ja durchaus in einer oft kritisierten, undurchsichtigen, vielleicht sogar willkürlichen Weise vollzogen wurde - sie passt perfekt in die Erzählung, dass die Hetzer selbst zu den Verfolgten gehören.

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Quelle:
SZ vom 31.08.2017
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