Realistischer Jugendroman:Liebe auf der Flucht

Wie es einem syrischen jungen Flüchtling gelingt, in Deutschland anzukommen, erzählt der Autor Manfred Theisen als Roadmovie und Liebesgeschichte. Sie spiegelt die Biografien vieler junger Flüchtlinge.

Von Florian Welle

Laut Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen sind 65 Millionen Menschen auf der Flucht. In seinem jüngsten Bericht wird von einem traurigen Rekordniveau gesprochen. Und je höher die Zahl, desto eher verschwindet der einzelne Mensch dahinter. Der Jugendbuchautor Manfred Theisen setzt sich schon ein Leben lang für Flüchtlinge ein: Während seines Studiums unterstützte er einen nach Deutschland geflüchteten Äthiopier, später kümmerte er sich um die Russlanddeutschen. Als Politologe und Redakteur ist er ein Kenner der arabischen Welt.

In Theisens jüngstem Buch Checkpoint Europa sind die Geschichten vieler syrischer Kriegsflüchtlinge eingeflossen, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind und mit denen er Gespräche geführt hat. Das Schicksal seiner jugendlichen Hauptfigur Basil, der nach dem Tod seiner Eltern im umkämpften Homs über die Türkei, Griechenland, Italien, Frankreich schließlich nach Deutschland gelangt, setzt sich aus all diesen Erzählungen mosaikartig zusammen. So lässt Theisen den Leser an Erfahrungen teilhaben, die nur allzu leicht hinter dem Begriff "Flüchtlingskrise" verschwinden. Darin geht es um traumatische Erlebnisse wie den Tod von Familien und Freunden, die Ungewissheiten der Flucht, Hunger und Durst.

Basil ist der Ich-Erzähler, der dem Reporter Tobias, dem Alter ego von Theisen, seine abenteuerliche Flucht erzählt. Dieser, als versierter Autor weiß, was eine Geschichte noch braucht, um ihre Leser, zumal junge, zu fesseln: Liebe. Und so lässt er seinen Basil auf der Flucht die hübsche Sahra treffen. Natürlich verliebt er sich in sie. Doch auf ihrem Weg nach Deutschland verlieren sie sich aus den Augen.

Und so handelt das in knappen Sätzen rasant erzählte Buch auch von der Suche Basils nach Sahra. Dabei hilft ihm Tobias. Die beiden reisen nach Frankreich, und spätestens hier wird Checkpoint Europa zu einem klassischen Roadmovie. Die lange Autofahrt bietet zudem Gelegenheit für lange Gespräche: über Religion, Krieg und Terror. Basil ist ein sehr aufgeweckter Junge, strebsam, sprachbegabt, intelligent. Kurz: der ideale Held. Die beiden sind oft unterschiedlicher Meinung. Zur Sprache kommen die Pariser Anschläge ebenso wie die sexuellen Übergriffe in Köln. Basil fragt: "Warum haben die Journalisten eigentlich zuerst nicht geschrieben, dass die Verbrechen in der Silvesternacht von Ausländern begangen wurden?"

Was der Junge nicht ahnt: Sahra wohnt schon die ganze Zeit in Deutschland. Sie wurde von einer gut situierten Familie aufgenommen. Von ihrem Schicksal erfährt der Leser in einer Parallelhandlung. Auch diese ist bedrückend und schwierig. Das Mädchen wurde als Kind von seinem Vater zwangsverheiratet. Jetzt fürchtet es, dass der Vater und der Gatte es zurückholen wollen. Ob Basil und Sahra sich wiederfinden, sei hier nicht verraten.

Manfred Theisen reißt mit Checkpoint Europa viele Fragen an, ohne Antworten zu geben. Er fordert den mündigen Leser, der sich seine eigene Meinung bilden muss. (ab 14 Jahre)

Manfred Theisen: Checkpoint Europa. Flucht in ein neues Leben. cbt 2016. 284 Seiten, 8,99 Euro.

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