Reaktionen:Stimmen zum Literatur-Nobelpreis

Viel aushalten

Jens Harzer

Was für eine wunderbare Nachricht. Wir waren zuletzt zusammen gewesen an einem wunderbaren, in seiner allgemeinen Freude und Trunkenheit einzigartigen Tag im Juni dieses Jahres in Wien, erst im Burgtheater und später bis tief in den Abend in einem Heurigen am Rande der Stadt. Peter hatte zugesagt, bei der Verleihung des Iffland-Rings zu sprechen. Sein Freund Bruno Ganz war gestorben, nicht nur für ihn ein unendlich trauriger Anlass, überhaupt zusammenzukommen - das tiefe Vermissen des Abwesenden. Und trotzdem gelang es uns allen, ein glückliches Fest zu feiern. Peters Worte dann zum Spielen, zur Schauspielerei, zum Theater waren auf eine beglückende Weise Augen und Ohren öffnend, denn anstatt von Bruno oder von mir zu sprechen, sprach er von Ulrich Wildgruber, und er wagte dadurch einen Blick auf das einzigartige, am Rand stehende, das in seiner einsamen Position richtungsweisend und dadurch vielleicht gerade notwendig ist. Wie gelöst dann die vielen Stunden danach mit ihm und meiner Familie und Freunden, ein glückliches Zusammensein miteinander. Das war das schönste Geschenk für alle Anwesenden, auch für ihn: das Beglücktsein an einem schönen Tag. Nun bereiten wir hier in Hamburg am Thalia Theater eine Wiederaufnahme von "Immer noch Sturm" vor, das Stück, bei dem wir uns kennengelernt haben. Und wieder die Erfahrung bei der Beschäftigung: der unglaubliche Reichtum dieses weiten Stückes, die warme Luft unter den Worten, die Dringlichkeit des Tastens. Und wie glücklich war Handke damals, nach anfänglicher Skepsis, auf Dimiter Gotscheff zu treffen, der mit uns das Stück gegen alle Widerstände von außen ins Ziel führte. Acht Jahre spielen wir nun "Immer noch Sturm", acht Jahre verbringe ich nun mit der Figur des "Ich", der sich die eigene Familie und seine Zugehörigkeit erträumt, und dadurch bin ich seit acht Jahren auch mit dem Autor und seiner Suche verbunden. Die Suche einer Vergeblichkeit, die der Welt ein anderes Maß wünscht, und oftmals doch nur die eigene Fremdheit vorfindet. Seine Figuren, so denke ich, sind immer bereit, sehr viel auszuhalten, das vergisst man bei Handke leicht. Sie sind zähe Träumer, Kämpfer in einer selbstgebauten Schatulle. So auch in "Die schönen Tage von Aranjuez", das wir mit seinem Freund, dem großen Luc Bondy machten, und so auch in seinem neuesten Stück. Als er mir zum Abschied in Wien den Notizzettel seiner Rede schenkte und wir durch den Heurigen wankten und er mit meiner Frau die bosnischen und serbischen und kroatischen Abschiedsworte durchging, war ich stolz, gemeinsam mit ihm die Zeit verbracht zu haben. Denn die Zeit ist ja, wie wir durch ihn wissen, dann am schönsten, wenn wir die Zeit haben, Zeit zu haben. Und so war es damals wirklich.

Jens Harzer ist Schauspieler und Träger des Iffland-Rings.

Sensation

Ulla Berkéwicz

Der Nobelpreis für Peter Handke ist eine Sensation. Er war kaum mehr zu erwarten in dieser Zeit. Es ist seine Sprache, das innewohnende Eigene, das Eigentliche, das gegen den Zeitgeist anspricht. Ich freue mich unendlich für ihn und natürlich auch für den Verlag. Die Freundschaft zwischen Peter Handke, Siegfried Unseld und mir besteht seit vielen Jahrzehnten. Wir haben ihn begleitet, Handke hat den Verlag mitgeprägt, und sein Werk steht im Zentrum.

Ulla Berkéwicz ist Aufsichtsratsvorsitzende des Suhrkamp-Verlags.

Beim Wort

Albert Ostermaier

Peter Handke ist einer, der hinter den Dingen sucht, ein Topograf der Schattenräume, wo die Pilze wachsen, wo das Unbewusste vermoost, wo die Bäume, die uns die Blicke verstellen, dichter werden und das Licht zwischen den Zweigen zum Erzähler wird. Er ist ein Finder und ein Erfinder der Sprache, die in allen Höhen am Boden haftet. Er errichtet ihr eine Bühne mitten im Wald der Zeichen, er ist ein Sommernachtsträumer und als Dramatiker ein Fallensteller. Man darf ihn beim Wort nehmen, und er hält Wort und stand in seinem Schreiben. Er willigt nicht ein, er ist ein Eigenwilliger, sein Theater ist die Sprachwelt und die Welt sein Sprechtheater, er ist ein Schöpfer des Unerschöpflichen, denn seine Zeilen finden gerade dort einen Weg, wo andere umkehren. Es gibt kein Hindernis, das nicht mit Poesie überwindbar wäre. Er kann die Wirklichkeit lesen, wo wir das Lesen verlernt haben. Seine Titel sind allein schon einen Preis wert und unvergesslich. Nur der Torwart wird ihm widersprechen: vor nichts hat er weniger Angst als vor dem Elfmeter. Danke, lieber Peter Handke, für all die Traumpässe in die Tiefe des Raums!

Albert Ostermaier ist Dramatiker und Dichter.

Geheimnis und Stille

Claus Peymann

Dass Peter Handke den Nobelpreis für Literatur bekommt, ist die schönste Nachricht! Handke ist ein Dichter, durch dessen Augen wir die Welt anders sehen. Die Heldinnen und Helden seiner Romane und seiner Stücke begleiten uns weiter, auch nachdem wir die Bücher zugeklappt und die Theater verlassen haben. Das Theater verdankt ihm viel - ich verdanke ihm viel! -, und auch deshalb macht die Nachricht vom Nobelpreis Mut und Hoffnung. Das Theater baucht Poesie, Geheimnis und Stille - gegen die Raumverdränger und das Gegenwartsgeplapper unserer Zeit. Der Nobelpreis möge Handke bestärken, mit uns und für uns weiter daran zu glauben.

Claus Peymann ist Theaterregisseur und war Intendant des Berliner Ensembles.

Höchste Zeit

Elfriede Jelinek

Er hätte ihn auf jeden Fall früher als ich bekommen müssen. Er wäre längst dran gewesen. Aber was lange währt, wird endlich gut. Der Volksmund hat immer recht. Und jetzt hat es auch einen Preisträger bekommen, auf den es endlich stolz sein kann, das dazugehörige Volk. Er ist ein Meister, ein lebender Klassiker. Da gibt es gar keine Diskussion.

Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek hat den Literaturnobelpreis im Jahr 2004 erhalten.

Wer sonst?

Wim Wenders

Peter Handke, Nobelpreisträger

Wer sonst?

Wer sonst hat die Sprache so ernst genommen

als seine Lebensaufgabe?

Wer sonst hat sie uns dabei immer

als unser Eigenstes ans Herz gelegt?

Wer sonst hat das Gewicht der Welt getragen

mit nichts als dem Vertrauen in die Worte?

Wer sonst ist sich selbst so treu geblieben,

mit jedem neuen Buch, und hat dabei so viel gewagt?

Wer sonst hat uns Natur so liebevoll beschrieben

daß wir sie mit neuen Augen sehen konnten?

Wer sonst als Du, Peter?

Wann habe ich mich je für einen anderen so gefreut

als heute für Dich!

Dein Wim

Wim Wenders ist Filmregisseur.

Dieses Staunen

Thomas Oberender

Peter Handke, der Sohn einer slowenischen Mutter, die sich 1942 in einen deutschen Offizier verliebte, der sein unbekannter Vater wurde, ist ein Kind der Liebe und des Krieges, wie man nur das Kind eines Zeitalters sein kann. Seit mehr als fünfzig Jahren ist er der große Epiker seiner eigenen Lebenszeit, aber mehr als das ist er, wie Goethe, einer, der im großen Stil den kulturellen und literarischen Transfer seines Sprachraums prägt, Autorinnen und Autoren entdeckt und dabei selbst der erfindungsreichste Dramatiker des deutschsprachigen Theaters wurde. Auf der Bühne ist er ein Epiker, ein an seinen Übersetzungen antiker Stücke geschulter Erzähler und wurde, nach und anders als Brecht, der Dichter des sich selber als Theater herzeigenden Spiels. Von der "Publikumsbeschimpfung" bis zu "Immer noch Sturm" hat Handke Erzählformen für die Bühne ersonnen, mit denen er der Theaterpraxis stets einen Schritt voraus war. Er, der Kleinhäuslersohn aus Kärnten, konnte lebenslang nicht kleinlich sein und wurde ein Weltbürger, ein Bürger der Welt im Bruno Latourschen Sinne - down to earth, verbunden mit den Wäldern, ein Pilznarr, ein Wanderer. "Überhör keinen Baum und kein Wasser", sagt er im vielleicht schönsten Bühnenmonolog deutscher Sprache des zwanzigsten Jahrhunderts, einer Verkündung seiner Figur Nova in "Über die Dörfer": "Vergiss die Angehörigen, bestärke die Unbekannten, bück dich nach Nebensachen, weich aus in die Menschenleere, pfeif auf das Schicksalsdrama, missachte das Unglück, zerlach den Konflikt." Seit über fünfzig Jahren geht er diesen Weg der produktiven Abschweifungen, und nicht jeder mochte ihm folgen. Wenn der Nobelpreis aus den deutschsprachigen Ländern heraus vergeben worden wäre, hätte Peter Handke den Nobelpreis wahrscheinlich nicht gewonnen - so wenig hat man ihm seine Treue zu Serbien und dem Neunten Land, dem einstigen Jugoslawien, bis heute verziehen. Ich verstehe die Nobelpreis-Ehrung Peter Handkes nicht als Anerkennung des reinen Dichters, die vom politischen Menschen Handke absieht. Aber auch nicht als dessen Rehabilitierung, sondern als die Würdigung eines komplizierten Lebens, das kein Heldenleben im glattgebügelten Sinne ist, sondern empathisch und sensibel nicht nur für das, was uns allen lieb ist, sondern auch für die von uns Angegriffenen. Die Entscheidung des Nobelpreiskomitees ehrt für mich die Fähigkeit eines Künstlers, sich ins Abseits zu stellen, sein Zuhause in der Fremdheit zu finden, und zugleich ein durchlässiger Mensch zu bleiben. Wie Shakespeares Prospero schuf sich Peter Handke mit seinen Stücken eine Insel, auf der er freisetzen konnte, was er zwischen Alaska und Slowenien, der Vorstadt und den Begegnungen mit den eigenen Ahnen aufgesammelt hat.

Thomas Oberender ist Intendant der Berliner Festspiele.

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