Reaktionen:"Ein außergewöhnliches Geschenk"

Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft würdigen Marcel Reich-Ranicki als "leidenschaftlichsten Streiter" und "entschiedensten Anwalt" der deutschen Literatur. Reaktionen zum Tod des Literaturkritikers.

Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki ist im Alter von 93 Jahren verstorben. Erst im vergangenen Jahr, am 27. Januar 2012, hatte der Holocaust-Überlebende bei der Gedenkveranstaltung im deutschen Bundestag die Hauptrede gehalten. Mehrere der damals anwesenden Politiker würdigten den Verstorbenen bereits kurze Zeit nach Bekanntwerden seines Todes.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte: "Wir verlieren in ihm einen unvergleichlichen Freund der Literatur, aber ebenso der Freiheit und der Demokratie. Ich werde diesen leidenschaftlichen und brillanten Mann vermissen." Nicht einmal der mörderische Hass der Nazis habe ihm seine Liebe zu den deutschen Dichtern austreiben können. Man könne nur dankbar dafür sein, dass der Sohn einer jüdischen deutsch-polnischen Familie, der Verwandte in den NS-Vernichtungslagern verloren habe, sein Zuhause wieder in Deutschland gefunden und dem Land so viel gegeben habe.

Bundespräsident Joachim Gauck bekundete ebenfalls seine Trauer: "Er, den die Deutschen einst aus ihrer Mitte vertrieben haben und vernichten wollten, besaß die Größe, ihnen nach der Barbarei neue Zugänge zu ihrer Kultur zu eröffnen." Mit Marcel Reich-Ranicki verliere "die deutsche Literatur ihren leidenschaftlichsten Streiter und ihren entschiedensten Anwalt".

Außenminister Guido Westerwelle nannte Reich-Ranicki eine der wichtigsten Größen der deutschen Literatur. "Mit Marcel Reich-Ranicki geht ein ganz Großer der deutschen Literaturkritik", sagte Westerwelle in Berlin. "Seine stets klare Sprache hat über viele Jahrzehnte die Debatten in unserem Land bereichert, seine Liebe zur deutschen Literatur viele Menschen in unserem Land beflügelt. Dass er als junger Überlebender des Warschauer Ghettos Deutschland nie den Rücken gekehrt hat, werden wir Deutsche ihm nie vergessen."

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel würdigte Reich-Ranicki als "scharfsichtigen Kritiker". Er sei "ein brillanter Literaturvermittler und eine faszinierende wie vielschichtige Persönlichkeit" gewesen, erklärte Gabriel. "Deutschland verliert einen bedeutenden Publizisten und großen Menschen. Er wird uns allen fehlen." Das Mitgefühl gehöre den Hinterbliebenen.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier erklärte, Reich-Ranicki sei eine Institution gewesen. "Sein Tod ist ein schwerer und schmerzlicher Verlust für das kulturelle Leben in Deutschland." Er habe als Kritiker, als Publizist und Schriftsteller die literarische Kultur des Landes über mehrere Jahrzehnte geprägt wie kein zweiter. "Seine Biografie war aufs engste verknüpft mit den Irrwegen und Höhen deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert." Er sei zugleich eine moralische Instanz gewesen, "die tiefen Respekt und höchste Anerkennung bei allen Menschen in Deutschland genossen hat."

Auch aus der Medienwelt gab es Trauerbekundungen. FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher hatte die Todesmeldung via Twitter öffentlich gemacht. In einem weiteren Eintrag bei dem Kurznachrichtendienst schrieb Schirrmacher wenig später:

Entertainer Thomas Gottschalk hob den Verstorbenen als Persönlichkeit hervor, die mit ihrer "Literaturkritik eine Landschaft, die für viele Menschen grau ist, bunt gemacht" hat. "Er hat für Deutschland mehr getan als die meisten Kultur-Politiker. Mit seinen Memoiren hat er uns nichts vergessen, aber vieles vergeben."

Verlust eines der "herausragendsten Autoren"

ZDF-Intendant Thomas Bellut sagte, Reich-Ranicki sei seinem Motto "Die Deutlichkeit ist die Höflichkeit der Kritiker" immer treu geblieben. Mit seiner deutschen, polnischen und jüdischen Biografie sei er auf "eine ganz außerordentliche Weise mit der Geschichte und Kultur unseres Landes" verbunden gewesen. "Das Literarische Quartett war die erfolgreichste Büchersendung aller Zeiten, eine idealtypische Talkshow mit Kultcharakter. Wir haben Marcel-Reich-Ranicki viel zu verdanken und er wird uns allen fehlen", sagte Bellut weiter.

Die Deutsche Verlags-Anstalt (DVA) zeigte sich ebenfalls bestürzt über den Todesfall. "Mit ihm verliert die Deutsche Verlags-Anstalt einen ihrer herausragendsten Autoren. Wichtiger noch: Die Welt der Literatur verliert den bedeutendsten und einflussreichsten Kritiker und Vermittler von Literatur nach 1945", sagte Verlagsleiter Thomas Rathnow. "Marcel Reich-Ranicki hat wie kein anderer mit Witz, mit Schärfe, mit Sinn für klare Urteile der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur zu breiter Beachtung verholfen." Seine Entscheidung, nach der Verfolgung durch die Nationalsozialisten trotzdem in Deutschland zu leben, sei "ein außergewöhnliches Geschenk" gewesen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: