Literaturnobelpreis 2012 für Mo Yan:Zwischen Blumen und Vorwürfen

Der Literaturnobelpreis für Mo Yan hat bei manchen Jubel, bei anderen Empörung ausgelöst: Denn die Haltung des chinesischen Schriftstellers zum Regime in Peking ist Kritikern wie Ai Weiwei ein Dorn im Auge.

Wie die Kontroverse verlief.

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2012 Nobel Literature Prizewinner Mo of China reads from a book during a public reading of his works at Aula Magna

Quelle: REUTERS

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Der Literaturnobelpreis für Mo Yan hat bei manchen Jubel, bei anderen Empörung ausgelöst: Denn die Haltung des chinesischen Schriftstellers zum Regime in Peking ist Kritikern wie Ai Weiwei ein Dorn im Auge.

Der Literaturnobelpreis 2012 geht an den Chinesen Mo Yan. Nach dem Willen des Stifters, des schwedischen Industriellen Alfred Nobel, soll mit dem Preis stets derjenige ausgezeichnet werden, "der in der Literatur das Ausgezeichnetste in idealistischer Richtung hervorgebracht hat". Das Werk soll laut Nobels Wille von hohem literarischen Rang sein und dem Wohle der Menschheit dienen.

Seit am 11. Oktober die Auszeichnung für Mo Yan bekanntgegeben wurde, ist aber eine teils hochemotionale Debatte weniger über die Qualität von dessen Werk als vielmehr über seine politische Haltung in Bezug auf das chinesische Regime entbrannt. Ein Rückblick auf Höhepunkte der Kontroverse.

Im Bild: Mo Yan am 9. Dezember bei einer Lesung in der Universität von Stockholm am 9. Dezember 2012

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Quelle: AFP

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Mo Yan selbst ging zuletzt in der traditionellen Nobelvorlesung am 7. Dezember im Vorfeld der eigentlichen Verleihung auf die Debatte ein. An einer Stelle seiner Rede in Stockholm sagte er:

"Es gab im Zuge meiner Auszeichnung mit dem Nobelpreis einige Diskussionen. Anfangs hielt ich mich selbst für den Grund dieser Debatten, bis mir allmählich klar wurde, dass der Gegenstand der Debatte jemand war, der mit mir so gut wie nichts zu tun hatte. Ich fühle mich wie ein Theaterbesucher, der dem Treiben auf der Bühne zusieht. Ich sehe, wie ein Preisträger mit Blumen überhäuft, aber auch mit Steinen beworfen und mit Dreckwasser überschüttet wird."

Ein Schriftsteller aber müsse dieses Schmutzwasser abwischen und dem Publikum gelassen entgegnen: "Für einen Schriftsteller ist der beste Weg sich zu äußern das Schreiben. Alles, was ich zu sagen habe, steht in meinen Werken."

Im Bild: Mo Yan bei seiner Nobelvorlesung am 7. Dezember in Stockholm

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Quelle: AFP

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Die Kritik, auf die Mo Yan mit diesen Sätzen anspielte, bezieht sich im Wesentlichen auf die Rolle des Schriftstellers bezüglich des politischen Regimes seiner Heimat. 

Kritikern hatte Mo Yan erneut kurz nach seiner Ankunft in Schweden zu den Feierlichkeiten erneut Munition geliefert als er sagte, er sehe Zensur als ein unangenehmes, aber manchmal notwendiges Mittel an. Das sei wie bei Sicherheitschecks am Flughafen, so Mo Yan am 6. Dezember in Stockholm. Gleichwohl glaube er nicht, dass sich die Zensur der Wahrheit in den Weg stellen sollte. Allerdings sollten jegliche Verleumdungen oder Gerüchte "zensiert werden", fügte Mo hinzu.

Im Bild: Mo Yan am 6. Dezember 2012 bei einer Pressekonferenz in Stockholm

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Intellektuelle zeigten sich auch empört über sein Schweigen über den chinesischen Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, dessen Freilassung zuvor 134 Nobelpreisträger in einem offenen Brief gefordert hatten.

Im Bild: Mo Yan zu Besuch in einem Gymnasium bei Stockholm am 7. Dezember 2012

Ai: Nobelpreis-Auszeichnung fuer Mo Yan ist eine Schande

Quelle: dapd

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Der chinesische Regimekritiker und Künstler Ai Weiwei kritisierte die Auszeichnung des Schriftstellers Mo Yan mit dem Literatur-Nobelpreis als "ernsten Fehler". Die Vergabe in Stockholm werde ein tragischer Moment werden, sagte Ai bereits am 4. Dezember im Deutschlandfunk. Er halte es für ein Schande sowohl für den Schriftsteller als auch für das Nobel-Komitee: "Sie machen sich zu Mitläufern eines Systems, dass gegen Menschlichkeit und gegen Pressefreiheit ist".

Der Preis gehe an einen Mann, der Vizepräsident einer offiziellen Organisation sei, die voll und ganz hinter der Zensur stehe. "Für Künstler in China, die unter der Zensur zu leiden haben, ist das eine tragische Entscheidung."

Als Mo Yans relativierende Äußerungen zur Zensur nach seiner Ankunft in Stockholm die Runde gemacht hatten, legte Ai Weiwei am 7. Dezember nach  "Er sollte sich schämen", so der Künstler, "er verteidigt dieses bösartige System."

Im Bild: Ai Weiwei bei einem Medienstatement am Tor seines Hauses in Peking am 4. Dezember 2012

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Quelle: AFP

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Die Debatte um Mo Yan wurde am 11. Oktober akut, als bekanntgegeben wurde, dass der Autor den Literaturnobelpreis 2012 erhalten solle.

Mo Yan selbst hatte chinesischen Staatsmedien zufolge zunächst "überglücklich und erschrocken" auf die Auszeichnung reagiert. Die Nachrichtenagentur China News Service zitierte den Autor am Tag der Bekanntgabe jedoch auch mit den Worten "Doch glaube ich nicht, dass der Preis etwas bedeutet. China hat viele großartige Schriftsteller, die auch dazu befähigt sind, von der Welt anerkannt zu werden".

Im Bild: Mo Yan im Juli 2010

The father of Chinese writer Mo Yan smiles during an interview with Reuters in front of Mo's childhood home at Pinganzhuang village

Quelle: Reuters

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Mo Yan lebt normalerweise in Peking, erfuhr aber in seinem alten Heimatdorf Gaomi in der ostchinesischen Provinz Shandong von der Ehrung, wo er ein paar Wochen bei seinem Vater verbringen wollte.

In den Tagen nach der Verkündung des Preises empfing sein 90-jähriger Vater die Scharen von Reportern und Schaulustigen, die das kleine Dorf belagerten.

Im Bild: Guan Yifan, Mo Yans Vater, vor dem Haus, in dem der Schriftsteller aufwuchs

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Quelle: AFP

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In chinesischen Berichten über die Vergabe wurde der 57-Jährige als der "erste chinesische Bürger" beschrieben, der einen Nobelpreis erhalten habe. Tatsächlich haben allerdings der inhaftierte Bürgerrechtler Liu Xiaobo 2010 den Friedensnobelpreis und der in Frankreich lebende chinesische Schriftsteller Gao Xingjian 2000 bereits den Literaturnobelpreis bekommen. 1989 wurde auch der im Exil in Indien lebende Dalai Lama, das religiöse Oberhaupt der Tibeter, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Bei chinesischen Verlagen auf der Frankfurter Buchmesse löste die Vergabe des Literaturnobelpreises für Mo Yan im Oktober spontane Freude aus. "Wir sind sehr glücklich und stolz über diese Entscheidung", sagte Zeng Shaomei vom Verlag People's Literature Publishing House in Peking. Mo Yan war 2009 als Mitglied der offiziellen Delegation auf der Buchmesse, als China Ehrengast war.

Im Bild: Ein Poster zeigt Mo Yan bei der aktuell laufenden Frankfurter Buchmesse

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Quelle: AFP

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Chinesische Bürgerrechtler und Autoren, wie etwa Yu Jie, reagierten im Oktober ebenfalls rasch - allerdings teils sehr kritisch. "Ich denke, der Nobelpreis sollte an niemanden verliehen werden, der Mao Zedong lobt, egal wie populär sein Werk ist", schrieb Yu Jie, der in diesem Jahr in die USA emigriert ist, auf der Webseite des internationalen Pen-Clubs. Er verwies darauf, dass Mo Yan bei der Frankfurter Buchmesse 2009 mit der offiziellen chinesischen Delegation den Saal verlassen habe, als regimekritische Autoren an einem Forum teilnehmen wollten. "Das hat gezeigt, dass seine erste Rolle nicht die eines unabhängigen Schriftstellers ist, sondern die eines Schreibers der chinesischen Kommunistischen Partei".

Yu Jie war im unabhängigen chinesischen Pen-Club aktiv, dem der inhaftierte Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo als Ehrenvorsitzender vorsteht. Hingegen ist Mo Yan der Vizevorsitzende der offiziellen chinesischen Schriftstellervereinigung.

Empört auf die Entscheidung in Stockholm reagierte auch der Direktor des Hongkonger Büros des unabhängigen chinesischen Pen-Clubs: "Mo Yan hat wirklich nichts zu sagen", schrieb Patrick Poon in einem Kommentar auf Twitter. "Seine Bücher können dazu benutzt werden, um sich das Hinterteil abzuwischen."

Im Bild: der Stand von Mo Yans deutschsprachigem Verlag bei der Frankfurter Buchmesse kurz nach Bekanntgabe des Preises

Buchmesse Frankfurt - Feature zu Mo Yan

Quelle: dpa

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Nach Ansicht seines deutschsprachigen Verlegers erklärt der diesjährige Literaturnobelpreisträger Mo Yan die neuere Geschichte Chinas so vielseitig wie kein anderer. "Mo Yan lässt in seinen Romanen tausend Stimmen zu Wort kommen, er spielt auf der ganz großen Orgel und trifft alle Töne von witzig und frech über burlesk und fantastisch bis berührend und tragisch", sagte der Gründer und Leiter des Züricher Unionsverlags, Lucien Leitess, kurz nach Bekanntwerden der Preisvergabe auf der Frankfurter Buchmesse.

Mo Yans in diesem Jahr auf Deutsch erschienenes Buch "Der Überdruss" etwa zeichne sehr anschaulich den Weg Chinas von 1940 bis heute nach. Die politische Botschaft des Nobelpreises sieht Leitess darin, "dass das Politische keine Rolle in der Literatur spielen darf". Mo Yan schildere die chinesische Geschichte mitsamt der Katastrophen und Erfolge, aber "immer aus der Sicht der kleinen Leute".

Im Bild: Fotografen umlagern kurz nach Bekanntwerden der Ehrung den Stand auf der Frankfurter Buchmesse, an dem Bücher von Mo Yan ausgestellt sind

dpa-exklusiv - Martin Walser wird 85

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Martin Walser begrüßte die Auszeichnung des chinesischen Schriftstellers Mo Yan im Oktober ebenfalls in höchsten Tönen. "Es könnte für mich keinen glücklicheren Kandidaten geben, er ist über jeden Zweifel erhaben", sagte der 85-Jährige. "Ich halte ihn für den wichtigsten Schriftsteller unseres Zeitalters und platziere ihn gleich neben Faulkner." Er schätze Mo Yan sehr, weil er "seine Bücher für so ungeheuer reich und gut und vor allem auch schön halte", sagte Walser ("Ein fliehendes Pferd").

Der 57-Jährige habe Geschichtsverläufe wie kriegerische Auseinandersetzungen zwischen China und Japan so genau dargestellt und erzählt, wie er es sich für die deutsche Geschichte nur wünschen könne, sagte Walser. Dabei habe Mo Yan die chinesische Kriegspraxis ebenso grausam dargestellt wie die japanische. "Das ist doch sehr imponierend, dass seine Humanität über nationale Gereiztheiten triumphiert", sagte Walser.

Im Bild: Walser im März 2012

Herta Müllers Debüt erstmals komplett

Quelle: dpa

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Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller hat die Vergabe des Preises an Mo Yan hingegen als "Katastrophe" kritisiert. Zwei Wochen vor der feierlichen Verleihung der Nobelpreises sagte die 59-jährige Berlinerin in einem Interview der Stockholmer Zeitung Dagens Nyheter: "Er hat die Zensur gepriesen. Das ist außerordentlich empörend." Die in Rumänien geborene Müller hatte 2009 den berühmtesten Literaturpreis der Welt zuerkannt bekommen. Über die nun anstehende Vergabe an Mo Yan sagte sie weiter: "Das ist eine Ohrfeige für alle, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen."

Auch, dass sich Mo Yan zwischendurch für die Freilassung des in China inhaftierten Friedensnobelpreisträgers 2010, Liu Xiaobo, ausgesprochen hatte, war für Müller nicht ausreichend: "Das hätte er vor vier Jahren sagen müssen. Oder wenigstens zwei Wochen, ehe er den Preis bekommen hat. Dann hätte ich ihm geglaubt."

Im Bild: Müller im März 2009

2012 Nobel Literature Prize laureate Mo of China receives flowers and applause from members of academy during traditional Nobel lecture at Royal Swedish Academy

Quelle: REUTERS

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Am 7. Dezember in Stockholm konnte Mo Yan sich bei seiner Nobelvorlesung dennoch des Applauses der Anwesenden sicher sein. Die feierliche Verleihung der Preise selbst findet traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, statt.

Im Bild: Applaus für Mo Yan  bei seiner Nobelvorlesung am 7. Dezember

© Süddeutsche.de/dpa/dapd/Reuters/ihe/cag
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