Süddeutsche Zeitung

Reaktion auf NSA-Skandal:Künstler verwanzt Wald

Warum internationalen Geheimdiensten die Überwachung von Privatmenschen überlassen, wenn man auch selbst ganz leicht abhören kann - da, wo die Menschen sich völlig unbeobachtet fühlen? Dachte sich der Künstler Florian Mehnert und installierte Mikrofone in deutschen Wäldern. Seine Abhörprotokolle sind nun online.

Von Ruth Schneeberger

"Ich habe ihr gesagt: Ich kann nicht mehr", erzählt der Mann von der aktuellen Trennung seiner offenbar letzten Lebensgefährtin. Das Kind fragt: "Und dann?" Tja, sie sei durchaus "fertig" gewesen, führt er aus, "aber was soll man machen, wenn man nicht mehr will, ne?". Das Kind zeigt Verständnis.

Ob das Mädchen des Mannes Tochter ist und ob er ein viel zu kleines Kind gerade mit seinen Beziehungsproblemen belastet, die womöglich gar mit der Mutter oder sonstigen Frauen zu tun haben, bleibt offen. Trotzdem jagt diese Tonspur dem Hörenden Schauer über den Rücken. Weil er an einer Szene teilnimmt, die offenkundig nicht für die Öffentlichkeit gedacht ist - und die auch im Privaten schon schauerlich genug ist. Weil vollkommen nebensächlich vorgetragen.

Ähnlich wie das Paar, das ein Mikrofon im Wald entdeckt: "Was is'n des? Mikrofon, oder was?" Es folgt Sprachlosigkeit. Und dann, wieder ganz beiläufig: "Komm, wir gehen weiter."

Es sind kurze Szenen wie diese, die Florian Mehnert auf seiner Homepage veröffentlicht. Unter dem Titel "Abhörprotokolle aus den Wäldern" kommen 21 kurze Aufzeichnungen zusammen, die er wochenlang im deutschen Wald aufgenommen hat. In der Vulkaneifel, bei Köln, im bayrischen und im Schwarzwald hat er Spaziergänger auf Lichtungen und an Wegen abgehört.

Aktuelle Abhörtechnik

"Dabei habe ich die aktuelle Abhörtechnik eingesetzt", erklärt Mehnert gegenüber SZ.de, "das sind Richtmikrophone und kleine Apparate, also Wanzen, die mit GSM-Technik ausgerüstet sind und mein Mobiltelefon alarmiert haben, sobald es Geräusche gab. Und Aufnahmegeräte, die sich nur bei Geräuschen ab bestimmten Dezibelwerten einschalten. Manchmal habe ich auch ganz sichtbar ein Mikrofon am Wegesrand installiert und mich in der Nähe versteckt."

Warum das Ganze? Reicht der NSA-Skandal noch nicht aus, um die Öffentlichkeit zu beunruhigen? Offenbar nicht: "Ich bin bestürzt, dass sich nicht mehr Widerstand im Internet regt, dass die Menschen nicht auf der Straße demonstrieren", so Mehnert. Er vermutet, es sei "zu komplex für den Einzelnen, zu erfassen, was vor sich gegangen ist und vor allem noch vor sich gehen wird".

Der 44-jährige gebürtige Kölner, in Niederweiler (bei Freiburg) und Le Parfondrupt (Frankreich) als Künstler tätig, will die Menschen aufrütteln. Indem er in ihr Heiligstes vordringt. Den Deutschen wird nicht erst seit der Romantik ein besonders inniges Verhältnis zum Wald nachgesagt, und auch für den Künstler selbst bedeutet er: "Ursprung, Rückzug, Schutz". Bisher. Denn Florian Mehnert will über den Wald als letzte Rückzugsmöglichkeit des modernen Menschen die unsichtbare Bedrohung im Netz sichtbar machen. Und damit zur Reflektion auffordern. Wenn nicht mal mehr die freie Natur vor Ausspähung sicher ist - was soll dann noch sicher sein? Keine Panikmache, sondern die Absurdität der Überwachung im und durch das Netz will Mehnert demonstrieren.

Er selbst nutzt weder Facebook noch Twitter und ist in keinem sozialen Netzwerk zu finden. "Ich habe die Gefahr seit der Entstehung der Netzwerke früh gesehen", sagt er. "Ich verfolge seit der Entstehung des Internets die immer umfassenderen Datenspeicherungen, das Anlegen von Profilen aus gespeicherten Suchen, das ständige Setzen von Cookies seitens aller möglichen Unternehmen, das Sammeln oder Abgreifen persönlicher Daten durch Facebook, Google, Apple und viele andere."

Mehnert weiß auch, dass es trotzdem schwierig ist, sich vor Überwachung zu schützen: "Viel kann man nicht tun, wenn man das Internet verwendet und telefoniert. Ich lösche ständig Cookies in meinen Browsern, aktiviere Ortungsdienste in meinem Mobiltelefon nur, wenn ich sie benötige, habe zeitweise über Tor-Netzwerke u.ä. gesurft. Aber das ist womöglich noch gefährlicher als öffentlich zu surfen, denn dann gilt man vielleicht als jemand, der etwas zu verbergen hat. Es gibt keine Sicherheit im Netz."

Weil ihn die Überwachung so beunruhigt, will Florian Mehnert mit seinem Projekt ein Zeichen setzen. "Wir stehen erst ganz am Anfang eines langen komplexen Aufarbeitungsprozesses. Historisch, gesellschaftlich und politisch. In welcher Art von Demokratie leben wir? Wie wollen wir in Zukunft mit der immerwährenden Überwachung umgehen?" Was der Historiker Josef Foschepoth über die Bespitzelung der Bürger schon der alten BRD ans Licht gebracht habe, habe Edward Snowden nun in ein aktuelles und konkreteres Licht gesetzt. Doch an Schulen und Universitäten, im Privaten wie in der Gesellschaft müsse nun erst noch herausgefunden werden, was genau das alles bedeute. "Wir müssen versuchen, Einfluss auf unsere Zukunft zu gewinnen, damit nicht bald Algorithmen über uns bestimmen."

Das ganze Leben auf Facebook

Auch in vielen seiner anderen Arbeiten beschäftigt sich der Künstler mit dem Wald. "Das Material aus der Natur birgt in sich einen Gegensatz, eine starke Spannung zu der Realität um mich herum, auch der elektronischen. Zum Beispiel erzählt mein Stroh eine Geschichte über den Ursprung, auch über Vergessenes. Meine Arbeit fängt oft da an, wo ich nicht mehr alles verbalisieren kann", so Mehnert. "Aber allen meinen Arbeiten gemein ist der Versuch, andere Systeme und Situationen außerhalb meines Selbst zu verstehen. Die Waldprotokolle stellen, genau wie meine anderen Arbeiten, einen Konflikt und einen Versuch der Annäherung an eine Sache dar, die für mich schwer zu begreifen ist."

Angst vor rechtlichen Problemen oder dass sich Passanten wiedererkennen, hat Mehnert nicht. Er hat keine Stimmen verfälscht und keine Kürzungen der Protokolle vorgenommen. Wie erwartet, sind die meisten digitalen Spuren aus dem Wald beiläufige Gespräche, Hundegebell und Kinderlachen.

Was also rät der Künstler jenen, die sich durch seine Abhöraktion ertappt fühlen, empört sind oder auch alles gar nicht so schlimm finden? "Wir müssen die Bedeutung der Privatsphäre wieder erkennen und als absoluten Wert definieren", so Mehnert. "Das bedeutet: Nicht sein Leben auf Facebook zu posten, nicht seinen Google Plus Account als Kommunikationsmittel zur Welt zu verwenden." Man müsse erkennen, dass man sein Kommunikationsbedürfnis nicht über das Internet realisieren dürfe. "Die Überwindung der eigenen Isolation ist uns ein lebenswichtiges Grundbedürfnis. Aber genau dieses Bedürfnis wird dazu genutzt, um später Kontrolle über uns auszuüben. Wir verfangen uns in unseren eigenen Vorlieben. Je mehr persönlichen Input wir in das Internet tragen, desto besser wird jegliche Kontrolle funktionieren."

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