Ravi Shankar zum 90.:Überschreite das Gewöhnliche

Politik zu schmutzig, die Beatles zu unseriös: Zum 90. Geburtstag des Sitar-Virtuosen Ravi Shankar, der indische Musik weltberühmt machte.

Al Gromer Khan

Vor langer Zeit, als die Achtundsechziger zwanzig waren, wehte ein unerwartet farbiger Klang durch das graue London der Bowler Hats, der Pfeife rauchenden Gentlemen, etwas, das sich wie Bienensummen ausnahm, wie Blumenduft.

"Ein Konzert mit indischer Musik, Mann . . ."

"Wer tritt auf?"

"Ein gewisser Rabbi. . . ? Rabbi Schanker? Ein jüdischer Musikant? Ich weiß nicht, ob Du von ihm gehört hast, Mann, alle hören zurzeit diesen Sitarspieler. George Harrison wird wahrscheinlich da sein und Tariq Ali und Peter Sellers, die stehen alle auf Tantra, das ist die angesagte Philosophie, Mann."

In einer Ecke des Raumes im ersten Stock einer Wohnung in Soho ist ein aus Brettern gezimmertes Podium aufgebaut worden. Die Hörer sitzen auf dem harten Parkett-Fußboden, auf der Bühne steht eine Blumenvase mit welken Tagetes, ein Räucherstäbchenhalter aus Messing, von dem aus sich blumig-süßer Rauch ausbreitet und den Raum zu füllen beginnt. Die Zuhörer, überwiegend jüngere Europäer in bunten Hemden - von ihnen fälschlicherweise gern "Kaftan" genannt - harren andächtig des Nachmittagskonzertes.

Einige dunkelhäutige Asiaten - Inder oder Pakistani - tragen dunkle Anzüge, dazu weißes Hemd und Krawatte. Der Sitar-Spieler begrüßt die Anwesenden wie alte Freunde: "Frends! Ampleng di Indian long naked lute, vicall siddaar. Ampleng one of deemost beautiful Indian melodies."

In die folgende Stille hinein beginnen nun zwei kleine Inder auf den exotischen Instrumenten zu musizieren. Der Sitar-Spieler im gelben, blumenbestickten Hemd aus Kunstseide und in weißen, engen Baumwollhosen sowie der mondgesichtige Perkussionist sitzen im Schneidersitz hinter ihren Instrumenten. Mit qualvoller und kraftloser Langsamkeit setzt der Lautist an, vage und diffuse musikalische Äußerungen zu produzieren, die von den Indern mit Kopfschütteln und verhaltenem Grunzen quittiert werden. Zeit wird lang.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Ravi Shankar trotzdem zum Star wurde.

Ich, mich, mein

Die Raumtemperatur scheint zu sinken. Hörer gähnen und blicken verstohlen auf Armbanduhren. Das rätselhafte und amorphe Spiel und die offensichtlich negativen Reaktionen im Publikum befremden die westlichen Zuhörer, doch im späteren Verlauf des Konzertes folgt große Virtuosität.

Durch ruckartiges Ziehen der Saiten schafft der Lautenspieler Vibrati, mit denen er die schlichten, volkstümlich klingenden Melodien verziert. Der Melodiefluss wird durch ständige Synkopierungen durchbrochen. Im Anschluss dürfen Gäste Fragen stellen. Zurück bleibt der Eindruck, an einer Teestunde mit Gastgebern teilgenommen zu haben, die jeden Satz mit "Ich", "mich" oder "mein" beginnen.

Das Publikum, dem sich die Botschaft der Musik nicht erschlossen hat, will noch mehr wissen. Tariq Ali taucht aus den am Fußboden Sitzenden auf und beendet den Abend: "Mr. Shankar is very tired!" War der Sitar-Spieler schon älter als er aussah? Die Frager waren nicht zufrieden, Konfusion herrschte vor. Londoner sind schnell bei der Hand mit Wortspielen: Rubbish Shankar?

Beispiellose Karriere

"East is East, and West is West, and never the twain shall meet." - Hatte Rudyard Kipling doch recht? Diese Begegnung mit indischer Musik jedenfalls war ziemlich unspektakulär verlaufen. Und George Harrison war auch nicht aufgetaucht. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.

Es folgte die beispiellose Karriere eines Protagonisten exotischer Musik in der westlichen Welt. Während der folgenden zehn Jahre durften die Klänge des kleinen, drahtigen bengalischen Virtousen und seiner indischen Langhalslaute in keinem Haushalt fehlen. Anwälte, Maler, Anthroposophen, Philosophen, Anthropologen, Ethnologen, Soziologen, Urologen, Klaus Kinski, Tante Maria aus Wuppertal-Barmen und Onkel Karl aus Marktl hörten die zarten Klänge bereits zum Frühstück.

Um ebenfalls mit im indischen Boot zu sein, meditierten modernde deutsche Komponisten wütend schwitzend, wie kackende Säuglinge im Fernsehen und schieden schließlich "Mantras", "Tantras" und "Meditationen" aus. Keine Rock-, Pop- oder Progressivband kam mehr ohne einen Sitarspieler aus, der irgendwie im Hintergrund zirpen durfte.

Unwürdige Musikanten der ersten Generation indischer Einwanderer begannen mitzumischen: Männer, die hier ihrem Beruf nachgingen und in ihrer Jugend in Patna, Bhopal oder Khanpur ein wenig Musik gelernt hatten, erschienen mit merkwürdigen Instrumenten an den Toren fester Burgen lokaler Radiosender.

Diese ungepflegten Hippies

Einlass wurde gewährt. Während andere - in Indien berühmte - Virtuosen in Ehrfurcht (oder war es Neid?) erstarrten, machte Ravi Shankar seinen Weg: "This thing with the Beatles" - Diese Sache mit den Beatles, sagten sie, das wäre der wahre Grund seines Erfolgs.

Andere munkelten, das Licht des Vilayat Khan, des anderen großen Sitarmeisters, habe zu hell gestrahlt in Indien und Ravi zur Emigration veranlasst. Es war kein Platz in Indien für zwei "Kings of the sitar"! Und überhaupt, war Ravi Shankar nicht ursprünglich Tänzer gewesen? Erst mit achtzehn oder zwanzig habe er begonnen, Sitar zu üben: "Er ist ein Tänzer, Vilayat ist ein Sänger!" Sagte das nicht alles?

Ravi blieb unbeeindruckt von solchem Gemunkel, übte seine Stunden am Griffbrett, investierte Konzertgagen in Konzertplakate und ging nach Amerika. Er kannte den Westen. Als Teenager war er mit Bruders Udays Tanztruppe gereist, eben als Tänzer. Dann der Drill: Sieben Jahre unter Alaudin Khan, dem sagenhaften Multiinstrumentalisten der Maihar Gharana. Dessen Tochter wird seine erste Frau, dessen Sohn Ali Akbar, der Sarodspieler, sein kongenialer musikalischer Partner. Später wird er Musikdirektor bei All India Radio und erschafft Filmmusik für Satyajit Ray.

Er gründet das Indian National Orchestra und begegnet Yehudi Menuhin. East meets West - Lob und Auszeichnung für ein Werk für Violine, Sitar und Tabla. George Harrison wird sein Schüler. Ravi arrangiert und spielt "Within You Without You" auf "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band", hält die Beatles zu diesem Zeitpunkt aber noch für "unseriös" und sein Name erscheint nicht auf der Plattenhülle. Symphonische Werke für Sitar, Tabla und Orchester unter André Previn oder Zubin Mehta, zahllose Auftritte auf der ganzen Welt folgen.

In Monterey und Woodstock tritt er neben Jimi Hendrix auf und gegen dessen skurrile Virtuosität mit leisem Klang doch großer Virtuosität an. Dann das Concert for Bangladesh: Die Musiker betreten die Bühne, stimmen die Instrumente, das Publikum klatscht. "Wenn Ihnen schon das Stimmen so gut gefällt, wird Ihnen hoffentlich auch die Darbietung gefallen . . ." Gelächter.

Politik ist schmutzig

Eine erste Autobiographie erscheint 1969, "My Music - My Life". Gefolgt von einem Song des entnervten George Harrison: "I, me, mine, I, me, mine" - ich, mich, mein. Schließlich eiferten Ravi so viele indische Musiker in Gestik, Mimik, Styling und obsessiver Übung nach, dass man nicht Fußballmannschaften, sondern Armeen aus ihnen hätte bilden können. Flower Power, LSD und Joints verlangsamen die hektische Denkungsart des Westmenschen und öffnen sie für Shankars Klänge.

Doch Ravi mag die Hippies nicht besonders, ja insgeheim verachtet er sie. Er kann nicht verstehen, warum junge Menschen - "einige sogar aus gutem Hause" - so ungepflegt zu seinen Konzerten kommen müssen. Die Philosophie des Beat und des Hip kann er nicht fassen. Und während die Achtundsechziger sich politisch motivieren, gruppieren, demonstrieren, lässt Ravi verlauten, Politik interessiere ihn nicht. "All politics is dirty." - Alle Politik sei schmutzig.

Indische Musik darf, wie Ravi proklamierte, als heilig angesehen werden, trotz aller Missbräuche. Indische klassische Musik, dieses schlichte magische Ritual, birgt in sich die Möglichkeit zur Überschreitung der Grenze vom Gewöhnlichen hin zum Sublimen. Doch wann macht der Glück verheißende Zustand dem Entertainment Platz? Ist der Übergang stufenlos? Oder tritt ein Versucher auf den Plan?

Einer der einem sagt: Okay, Ravi, all diese Preise und Ehrungen, diese Grammys und Goldenen Bären halte ich für dich bereit, wenn du wie jeder gute Geschäftsmann jene Aspekte indischer Musik besonders herausstellst, die der Kunde erwartet. Jene Dinge, die der westlichen Ruhelosigkeit entgegenkommen, die indisch aussehen, aber letztlich doch aus westlicher Empfindung bestehen, wenn du jene Passagen stets aufs Neue zeigst, die beim Publikum besonders eifrig beklatscht werden - Frage- und Antwort-Spielchen für Sitar und Tabla, fein herausgearbeitet und virtuos dargereicht als wenn du eine ganze Dimension verfeinerter Emotionalität unterschlägst und jene leicht verdaulichen Aspekte indischer Spiritualität betonst, die der religiösen Kitschpostkarte westlicher Projektion entspricht, wenn du westliche Kultur durchaus als überlegen darstellst, dich der - in den Augen des Westens oft als rückständig erachteten - indischen Kultur erwehrst und solche Aspekte schamhaft unterdrückst. Soweit der Versucher.

Nichts für Machtmenschen

Musik, Kunst überhaupt, sollte nie einfach nur Fleißaufgabe sein, ihre Poesie - wie die Erotik - ein Geheimnis, für immer ein Geheimnis, unergründlich, unmanipulierbar, etwas, das mit der ausführenden Person direkt zu tun hat und sich sowohl der Analyse, als auch dem Willen von Macht- und Karrieremenschen entzieht.

Bei manchen indischen Konzerten der Flower-Power-Jahre, der qualvoll kontemplativen mauleselhaften Langsamkeit, der barfüßigen Peinlichkeit, als Zuhörer aus reiner Verzweiflung anfingen zu meditieren, entstand das Bedürfnis nach etwas kraftvoll Beherztem: dem Mercedes, nicht dem Maulesel. Ravi hat es geliefert, jahrzehntelang.

Und dann trafen sie sich wieder, um das Jahr 2000 herum, in Kalkutta: Vilayat und Ravi. Herzliche Umarmungen, großes Gelächter ob vergangener Rivalitäten zweier Genies. Vilayat starb 2004, Ravi ist noch da.

"Sitar üben ist eine Art Yoga und schenkt ein langes Leben", würde er sagen. Und indische Musik ist, dank ihm zur etablierten, geachteten Musikform auf der ganzen Welt geworden. Dafür gebührt einem Lob. Und Dank. Also: Dank dem "Botschafter indischer Musik", einem der ersten "Wanderer zwischen den Welten" und "Grenzüberschreiter". Happy birthday, Mr. Shankar!

Al Gromer Khan hat einen Tag nach Ravi Shankar Geburtstag, wurde aber erst 1946 geboren. Er stammt aus Bayern und gilt als profunder Praktiker und Kenner indischer Musik.

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