Paris im Mittelalter:Schall und Rauch

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Kreativer Qualm: Schon im Mittelalter gab es Musiker, die vom Rauchen schwärmten. (Foto: imago)

Im 14. Jahrhundert priesen französische Intellektuelle das Rauchen - doch damals gab es noch keinen Tabak. Was aber qualmte die musikalische Clique "Les Fumeux" dann?

Von Jesper Klein

Wer über rauchende Musiker oder musizierende Raucher nachdenkt, dem kommt als Erstes die Gegenwart in den Sinn. Rockmusik, Pop, auch Jazz natürlich. Kenner haben wahrscheinlich Großkünstler des 20. Jahrhunderts vor Augen: Leonard Bernstein zum Beispiel war ein leidenschaftlicher Raucher, genauso wie Giacomo Puccini.

Heutzutage müssen Qualmer in der Öffentlichkeit bekanntlich ein Randdasein führen, verbannt in diesige Kabinen oder extra gekennzeichnete Quadrate an Bahnsteigen. Doch noch hält sich die Vorstellung, dass Rauchen und Musik zusammengehören. Geschichtlich kann man der Kombination in vielerlei Hinsicht nachspüren.

Viel weiter zurück als bis ins späte 15. Jahrhundert wird dabei üblicherweise der Blick nicht gerichtet. Denn die Geschichte des Tabakrauchens in Europa beginnt bekanntlich erst nach dem Jahr 1492, als Christoph Kolumbus auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien Amerika entdeckte.

Die Pariser "Raucher" hatten Verbindungen zum Königshof

Als er auf den Bahamas landete, lernte Kolumbus dort durch die Ureinwohner auch den Tabak kennen. In seinem Schiffstagebuch heißt es: "Auf ihrem Weg ins Innere des Landes trafen meine beiden Männer viele Eingeborene, Männer und Frauen, welche ein verkohltes und ausgehöhltes Stück Holz in den Händen hielten und dazu Kräuter, um diese darin zu verrauchen."

Zwar wusste Kolumbus zunächst mit Tabak nicht viel anzufangen. Aber schon wenige Jahre später führten die Spanier das Rauchen in Europa ein, und es kam schnell in Mode.

Dass es aber bereits im frühen 14. Jahrhundert eine Gruppe komponierender Intellektueller gegeben hat, die sich "Les Fumeux" nannte, auf Deutsch "Die Rauchigen" oder "Die Raucher", ist erst mal verwunderlich.

Wer waren sie? Und vor allem: Was haben sie geraucht? Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass die Geschichte des Tabakrauchens insgesamt viel weiter zurückreicht als in die Zeiten des Amerikaentdeckers.

Maya-Priester rauchten Tabak schon einige Jahrhunderte vor Christus. In Europa machte man sicherlich von diversen Möglichkeiten Gebrauch, Pflanzen und Kräuter zu verqualmen. Für das Mittelalter ist darüber jedoch kaum etwas bekannt, und auch die Musikforschung muss damit leben, über diese Zeit und ihre Protagonisten nur wenig zu wissen.

Das gilt auch für die "Fumeux" und die Frage, was es mit dieser sonderbaren Raucherclique auf sich hatte. Unstrittig ist, dass die Gruppe aus dem Umfeld der Pariser Universität stammte. Die "Raucher" bildeten einen recht exklusiven Kreis, der wahrscheinlich Verbindungen zum französischen Königshof unterhielt.

Als möglicher Gründer kursiert der Name eines Jean Fumeux. Zu den Mitgliedern zählte Eustache Deschamps, ein bedeutender Lyriker des 14. Jahrhunderts, der bei Guillaume de Machaut, dem gewichtigsten Komponisten des 14. Jahrhunderts, studierte und vielleicht dessen Neffe war.

Von ihm ist eine "Charte des Fumeux" überliefert. In den Texten der Gruppe finden sich Referenzen an das Rauchen. Besonders eindrücklich zeigt sich das beim französischen Komponisten Solage, über dessen Leben fast nichts bekannt ist.

Von Solage sind zehn Kompositionen erhalten, bei zwei weiteren ist die Autorschaft wahrscheinlich. Sie lassen sich auf den Zeitraum 1380 bis 1400 datieren. Überliefert wurden die Werke im Codex Chantilly, einer bedeutenden Handschrift, die um das Jahr 1400 herum entstand und Musikstücke der Stilrichtung "Ars subtilior" enthält.

Die neue Art zu komponieren, Ars nova genannt, hatte im 14. Jahrhundert komplizierte mehrstimmige Vokalmusik hervorgebracht. In der Ars subtilior (verfeinertere Kunst) wird dieser Anspruch auf die Spitze getrieben: Die Musik ist besonders komplex und voll schwieriger Rhythmen.

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Aufgeschrieben wurden die Kompositionen kunstvoll, passend zum Inhalt etwa in Form von Herz, Kreis oder Harfe. Es ist Musik für Intellektuelle und Rätselfreunde.

Solages Komposition "Fumeux fume par fumée/ Fumeuse spéculation" ist zwar kein wirkliches musikalisches Rätsel, wirft aber etliche Fragen auf. Hier findet sich das Motiv des Rauchens in vollendeter Form: "Der Raucher raucht durch den Rauch, rauchiges Spekulieren", so könnte man den Beginn des Gedichts übersetzen, das der Musik zugrunde liegt.

Da die Stimmlagen ungewöhnlich tief gewählt sind, klingt der Rundgesang, das "Rondeau" düster, geradezu mysteriös. Hinzu kommt die starke Chromatik, die das Stück durchweht: Die durch die Verwendung von Halbtönen entstehenden Harmonien klingen überraschend progressiv und müssen bei Zeitgenossen für Verwunderung gesorgt haben.

Fast ist man geneigt zu glauben, dass der Komponist Solage hier die suggestive Sphäre, in die er mithilfe des Rauchens womöglich eintauchte, auch musikalisch abbildet.

Das ist eine reizvolle Vorstellung, für die es jedoch keinerlei Belege gibt. Ob die Mitglieder der Fumeux überhaupt Rauschmittel konsumiert haben, lässt sich ebenso nicht mit Gewissheit sagen. Und wenn sie es taten: Welche Substanzen nahmen sie zu sich? Dass es sich dabei um Weihrauch handeln könnte, ist eine verbreitete These.

Komplexe Kompositionen

Es ist aber genauso denkbar, dass das Spiel mit dem Rauch auf rein symbolischer Ebene stattfand. Schließlich war es zu jener Zeit durchaus beliebt, sich gerade nicht unmissverständlich auszudrücken, sondern vage und verrätselnd. Und zum Teil sind die Kompositionen so komplex, dass sie noch heute Musikwissenschaftler bei der Entschlüsselung vor große Herausforderungen stellen.

Nebel und Rauch scheinen hier also zuerst einmal gedanklicher Natur zu sein.

© SZ vom 10.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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