Raubkunst von Schwabing:Die Gurlitt-Collection

A painting by German artist Dix is beamed to a wall at an Augsburg courtroom

Ein Gemälde von Otto Dix, das sich unter den beschlagnahmten Kunstwerken befindet

(Foto: REUTERS)

Wer war Hildebrand Gurlitt? Die Befragung durch die "Monuments Men" belegt, dass der Nazi-Händler auch ein Kunstretter war. Seine Sammlung durfte er nach dem Krieg behalten, dennoch steckt seine Geschichte voller Überraschungen.

Von Ira Mazzoni

Krieg im Dienst der berüchtigten Organisation Todt oder Arbeit für die Museen - das sei im Jahr 1942 seine einzige Entscheidungsmöglichkeit gewesen, erklärte Hildebrand Gurlitt den Amerikanischen Militärs 1945, nachdem sie ihn in Schloss Aschbach in Oberfranken aufgegriffen und vorläufig arrestiert hatten. Wer hätte sich nicht gegen den Bau von Verteidigungslinien und für die Kunstszene am Montparnasse entschieden? Gurlitt wurde von den legendären "Monuments Men" vernommen, jenen Fahndern der Monuments, Fine Arts and Archives Section der Alliierten, die Europa schon ab 1943 nach Raubgütern und -kunst durchsuchten.

Die Protokolle der amerikanischen Behörden aus dem Jahr 1945 sind höchst aufschlussreich, nicht nur als O-Ton der Entnazifizierung nach Ende des Krieges in Deutschland. Immerhin sitzt der Befragte, Hildebrand Gurlitt, zu dem Zeitpunkt auf ein paar Kisten voller Kunst, die durchaus einige Fragen aufwerfen. Woher stammten die Meisterwerke? Der Kunstagent steht hier Rede und Antwort - der Süddeutschen Zeitung liegen Abschriften aus dem National Archive vor, die als eidesstattliche Erklärung aufgesetzt sind.

Es ging damals nicht um die Werke, die heute die Öffentlichkeit elektrisieren, seit bekannt wurde, dass in der Schwabinger Wohnung seines Sohne Cornelius Gurlitt mehr als tausend Meisterwerke lagerten. Im Fokus der Ermittlung stand nicht die "entartete Kunst", also die Moderne, die Hildebrand Gurlitt mit offizieller Erlaubnis des nationalsozialistischen Regimes im Ausland handelte, sondern solche mit offensichtlich französischer Provenienz. Der Verdacht auf Raubkunst lag nahe. Da gab es unter anderem einen Courbet, einen Oudry und einen Degas. Alle angeblich legal im Pariser Kunsthandel 1942 erworben.

Hildebrand Gurlitt, der von Hermann Voss, dem Sonderbeauftragten für das "Führermuseum" in Linz, zum Chefeinkäufer des Reichs in Paris erklärt worden war, versicherte damals, er habe auf seinen rund zehn Reisen zwischen 1942 und 1944 etwa 200 Bilder in Frankreich erworben und an die Museen in Deutschland vermittelt. Die meisten Stücke habe er bei Pariser Kunsthändlern gekauft. Zu fairen, ja sogar zu überdurchschnittlichen Preisen. "Die Erwerbungen in Paris waren vollkommen normal", beteuert der Vernommene. "Mir wurden Fotos der Bilder überlassen und meist kaufte Voss, ohne sie im Original gesehen zu haben." Nie habe er mit Privatpersonen gehandelt, alles sei ihm freiwillig angeboten worden. "Es wurde kein irgendwie gearteter Druck ausgeübt."

Die Depots des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg, der Kunst in besetzten Gebieten zusammenraffte, habe er nie betreten. Er hätte damit nichts zu tun gehabt, beteuerte Gurlitt: "Wie ich hörte, wurden die Schätze aus jüdischem Besitz in Frankreich auf Grund eines Gesetzes beschlagnahmt, aber ich habe sie nie mit eigenen Augen gesehen." Er habe nur gehört, dass es geheime Lager für die konfiszierte Kunst aus jüdischem Besitz in einem Pariser Schloss gegeben haben soll, gemeint ist wohl das Jeu de Paume. Ihm sei höchstens der aus der Sammlung Rothschild stammende Schreibtisch des deutschen Botschafters aufgefallen.

Notverkäufe unter Verfolgungsdruck

Ähnliche Aussagen machten damals viele Kunsthändler - auch solche, die weitaus mehr in das Unrechtssystem der Nationalsozialisten verstrickt waren als Gurlitt, der sich glaubhaft als Außenseiter darstellte, der durch seine Expertise in Museumskreisen und trotz seiner "jüdischen Versippung" das tun durfte, was er liebte: mit Kunst handeln. Dass er nicht fragte, aus welchen Quellen der Kunsthandel die gesuchten Altmeister oder die Klassiker der Moderne bezog, kann man als mangelnde Sensibilität, Selbstschutz oder opportune Handelspraxis werten.

Die untersuchenden Offiziere der Besatzungsmacht blieben bezüglich der Aussagen skeptisch, kleinste Widersprüche wurden notiert: "Als ich ihm den Picasso zeigte, machte er einige Bemerkungen ohne Bedeutung, so dass ich den Eindruck gewann, er erwartete dieses Bild nicht, aber er erkannte es als sein Eigentum". Nachdem der Rundgang durch den Wiesbadener Collecting Point abgeschlossen war, hielt der Kunstoffizier fest, Hildebrand Gurlitt sei dann zweimal zum Picasso zurückgekehrt. "Plötzlich sagte er: Ich kann ihnen dazu eine lange und lustige Geschichte erzählen." Der Amerikaner wunderte sich über den Stimmungswandel seines zunächst reservierten Gesprächspartners. Man hakte nicht nur bei Picasso nach, sondern auch bei Marc Chagalls Traumbild und zwei Akten von Degas.

Merkwürdigerweise musste sich Gurlitt in seiner Selbstauskunft nicht zu seinen Erwerbungen in Deutschland nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, nach dem Kunst-Ausfuhrverbot für Juden im Jahr 1935 und nach der Einführung der "Judenvermögensabgabe" 1938 äußern, als er noch als freier Kunsthändler arbeitete. Es ist bekannt, dass er in seiner Hamburger Zeit Stücke aus der Sammlung von Eduard Ludwig Behrens oder von Ernst Julius Wolffson übernahm. Von Letzterem neun Zeichnungen von Adolf Menzel. Alles Akquisitionen, die man eindeutig als Notverkäufe unter Verfolgungsdruck rechnen kann, was bedeutet, dass sie als Raubkunst bewertet werden müssen.

Doch die Amerikaner gaben die Kunstwerke, die Gurlitt sein eigen nannte, im Jahr 1950 offensichtlich wieder heraus. In den fünf Jahren, in denen die beschlagnahmten Bilderkisten und Grafikbündel Gurlitts im Central Collecting Point in Wiesbaden eingelagert waren, konnte der Verdacht auf Raubkunst scheinbar nicht erhärtet werden. Wobei nach dem Beschluss der Alliierten vom 22. Februar 1946 alle Erwerbungen aus den ehemals deutsch besetzten Gebieten zurückgegeben werden sollten. Was bedeutete, dass Gurlitt sich von den auf der Inventarliste gesondert gekennzeichneten Werke französischer und niederländischer Provenienz trennen musste. Ab 1947 durfte der nun gut beleumundete, glaubhafte Anti-Nazi wieder als Kunsthändler tätig werden. 1948 ernannte ihn die Stadt Düsseldorf dann zum Direktor des Kunstvereins.

Geschichte voller Überraschungen

Die Geschichte von Hildebrand Gurlitt steckt voller Überraschungen. Da verliert ein Kunsthistoriker seine Museumsposten, weil er sich für zeitgenössische Künstler einsetzt, und wird dann zum bevorzugten Vermarkter für die vom Regime beschlagnahmte "entartete Kunst", macht sogar als Chefeinkäufer für das Führermuseum in Linz Karriere. Ganz unauffällig und gegen die Vorschriften der Nazi-Behörden verkaufte Gurlitt die ihm übereignete "entartete Kunst" nicht nur ins Ausland, sondern vermittelte sie bis 1941 - dem offiziellen Ende der Verwertung - in Deutschland. Zum Kundenkreis gehörte etwa das Sammlerehepaar Margit und Bernhard Sprengel, dem Gurlitt ein Konvolut von grafischen Arbeiten Emil Noldes nebst 16 Lithografien aus eigenem Besitz anbot. Insgesamt erwarben die Sprengels 409 Blätter und erhielten so in Deutschland die sogenannte "entartete Kunst". Gurlitt hat dabei viel gewagt, als Ausstellungsmacher, Sammler und Händler.

Eine pauschale Verurteilung verbietet sich also. Zumal die Sammlung Gurlitt bekannt war. Nach dem Krieg reiste sie sogar nach Amerika - ohne dass Restitutionsansprüche geltend gemacht wurden. Auf dem Katalogtitel der American Federation of Art heißt es stolz "From the Collection of Dr. H. Gurlitt". Hätte es zu diesem Zeitpunkt Forderungen jüdischer Opferverbände oder Familien gegeben, diese Ausstellung wäre nicht zustande gekommen. Was nicht heißt, dass sich im Nachlass Gurlitt keine Raubkunst befindet. Jeder, der sofortige Aufklärung wünscht, muss sich allerdings gedulden. Immerhin ist die gefundene Sammlung amtlich sichergestellt und kann nicht wieder verschwinden.

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