Zürich:Raubkunst hinter nobler Fassade

Erweiterungsbau Kunsthaus Zürich Chipperfield

Die Eröffnung des Erweiterungsbaus des Architekten David Chipperfield war ein weltweit beachtetes Ereignis. Doch tobt um die ausgestellte Sammlung des Waffenfabrikanten Bührle seit Jahren ein Streit.

(Foto: Juliet Haller)

Seit der neue Bau des Zürcher Kunsthauses im Oktober seine Tore öffnete, reißt die Kritik am Umgang mit den dort ausgestellten Bildern der Sammlung Bührle nicht ab. Jetzt droht die Bührle-Stiftung sogar, die Werke wieder abzuziehen.

Von Isabel Pfaff, Bern

Wer hat in Zürich eigentlich die Macht? Sind es die Stadt- und die Kantonsregierung - oder sind es die Erben und Vertreter eines kunstaffinen Waffenhändlers, der sein Geld vor allem mit Lieferungen nach Nazi-Deutschland verdiente? Einen guten Monat, nachdem das Zürcher Kunsthaus seinen weltweit beachteten Erweiterungsbau eröffnet hat, geht es um nichts weniger als diese Frage. Das neue Gebäude beherbergt mehr als 200 Werke der umstrittenen Sammlung Emil Bührle. Der 1956 gestorbene Bührle, ein Deutscher, der sich später in der Schweiz einbürgern ließ, war nicht nur ein Mann mit erlesenem Kunstgeschmack, der über Jahre Dutzende Meisterwerke des französischen Impressionismus zusammentrug, sondern ein Waffenfabrikant, der wie wenig andere vom Zweiten Weltkrieg profitierte.

Der Kern der Kontroverse: Bührles Kunstsammlung ist ohne sein opportunistisches Unternehmertum und die einzigartigen Gelegenheiten, die die Verfolgung jüdischer Sammler dem Kunstmarkt bot, nicht denkbar. Wird das Zürcher Kunsthaus, das die 203 Werke von der Stiftung Bührle per Leihvertrag übernommen hat, dieser Problematik gerecht? Viele finden: nein.

Aufarbeitung? Die Familie hielt ihr Archiv streng unter Verschluss

Unter den Kritikern sind mittlerweile so gewichtige Stimmen wie die des Historikers und Holocaust-Überlebenden Saul Friedländer, des Basler Historikers Georg Kreis oder des Zürchers Jakob Tanner, beide anerkannte Spezialisten für die Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert. Die drei Experten waren alle Mitglieder der "Unabhängigen Expertenkommission Schweiz - Zweiter Weltkrieg" (UEK). Die Kommission sollte aufarbeiten, was mit den Vermögenswerten geschehen war, die während des Kriegs in die Schweiz gekommen waren, und sie hatte dafür ein uneingeschränktes Zugangsrecht zu Archiven.

Der 2002 veröffentlichte Abschlussbericht der Kommission gilt als Meilenstein in der Aufarbeitung der Schweizer Verstrickungen in den Nationalsozialismus. Allerdings: Das Archiv der Bührle-Familie blieb den Forschern während ihrer fünfjährigen Arbeit verschlossen. Historiker Georg Kreis machte 2010 öffentlich, dass er die inzwischen gestorbene Bührle-Tochter Hortense 2001 um Zugang zu den Akten der Kunstsammlung ersucht hatte. Diese hatte ihn aber abgewimmelt mit der Behauptung, dass es kein Archiv mehr gebe - nachweislich eine Falschbehauptung.

SCHWEIZ KUNSTHAUS ZUERICH

Da war der Streit noch nicht eskaliert: Lukas Gloor, Direktor Sammlung Emil Bührle, auf einer Medienkonferenz zum Erweiterungsbau des Kunsthaus Zürich.

(Foto: WALTER BIERI/picture alliance/KEYSTONE)

Jetzt, wo die Sammlung Bührle durch den Einzug ins Kunsthaus von Neuem in den Fokus gerückt ist, reicht es den ehemaligen Mitgliedern der Kommission offenbar. Sie wandten sich vor wenigen Tagen an die Öffentlichkeit. "Die aktuelle Situation in Zürich ist ein Affront gegenüber potenziellen Opfern von Raubgut", schreiben die 32 ehemaligen Mitglieder und Mitarbeiter der UEK. Die Forscher werfen brisante Fragen auf. Die wichtigste wohl: "Ist abschließend sichergestellt, dass alle Kunstwerke, die in die Sammlung Bührle übernommen wurden, eindeutig identifiziert, erforscht und bewertet sind?"

Forscher beharren auf dem Verdacht: Raubkunst

Jakob Tanner, einer der prominenten Unterzeichner, erläutert im Gespräch mit der SZ: "Die Herkunft der Werke ist der neuralgische Punkt des ganzen Bührle-Skandals. Und die Provenienzforschung, die es zur Sammlung gibt, ist schlicht ungenügend." Mit anderen Worten: Nach Auffassung der Forscher kann noch immer nicht ausgeschlossen werden, dass unter den Werken der Sammlung Raubkunst oder vor allem: Fluchtgut ist. Der Begriff hat sich für jene besondere Notlage etabliert, in der Geflüchtete zwar nicht mehr direkt bedroht waren, ihre Güter aber dennoch nicht frei von Zwängen verkauften. Ein Schlüsselwort also für die Schweiz, damals Flucht- und Transitland schlechthin.

Historiker Tanner und seine UEK-Kollegen kritisieren scharf, dass sich das Kunsthaus einfach auf die Provenienzforschung von Lukas Gloor, dem Direktor der Bührle-Stiftung, verlässt. Tanner attestiert Gloor als oberstem Verwalter der Sammlung nicht nur Befangenheit, sondern auch ein "völlig ungenügendes Problembewusstsein", was die Kunstkäufe von Bührle in und unmittelbar nach dem Krieg betrifft.

Abgesehen von den Herkunftsfragen kritisieren die Forscher auch die begleitende Dokumentation im Kunsthaus. Auch hier bezeichnet Tanner das, was das Museum zur Person Bührle und zum Sammlungskontext präsentiert, als "ungenügend". Die Wissenschaftler stellen deshalb drei Forderungen auf: Erstens sollen Stadt und Kanton Zürich die geleistete Provenienzforschung überprüfen, zweitens solle der Dokumentationsraum im Kunsthaus von unabhängigen Experten überarbeitet werden. Und drittens fordern sie ein unabhängiges Gremium für Restitutionsfragen in der Schweiz, ähnlich der Limbach-Kommission in Deutschland.

Überraschend legten Stadt und Kanton Zürich - die das Kunsthaus über Subventionen maßgeblich finanzieren - wenige Tage nach der Äußerung der UEK-Experten mit einer eigenen Mitteilung nach: Man unterstütze die Forderungen der Wissenschaftler. Und: Die Stadt werde beim Aushandeln des neuen Subventionsvertrags dem Kunsthaus "Verpflichtungen in Bezug auf die Sammlung Bührle" auferlegen. Anders gesagt: Die zentrale Geldgeberin will endlich Druck machen - wohlgemerkt fast 20 Jahre, nachdem der Plan, die Sammlung Bührle im Kunsthaus zu zeigen, erste Formen annahm.

Nun könnte man sagen: Besser spät als nie. Doch dass in Zürich ein paar Dinge in eine gehörige Schieflage geraten sind, machte das Interview klar, das Stiftungsdirektor Gloor zuletzt dem Sonntagsblick gab. Er sagt da nicht nur den geschichtsvergessenen Satz, dass es nicht sein dürfe, "dass die Sammlung zu einer Gedenkstätte für NS-Verfolgung wird, das wird den Bildern nicht gerecht". Er droht darüber hinaus auch, dem Kunsthaus die Sammlung wieder wegzunehmen. "Wenn jetzt die Stadt Zürich dem Kunsthaus diktiert, wie die Sammlung Emil Bührle dem Publikum zu erklären ist, können wir nicht mehr mitmachen."

Nun muss sich zeigen, was den Zürcher Behörden mehr wert ist: eine Kunstsammlung, mit der man sich international schmücken kann, oder der ehrliche Umgang mit der eigenen Geschichte und der damit verbundene Respekt gegenüber den Opfern der NS-Verfolgung.

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