Süddeutsche Zeitung

Raubkunst:Flucht nach vorn

In Paris diskutierten am Freitag Gesandte aus Afrika und Europa über Raubkunst und deren mögliche Rückführung. Kulturstaatsministerin Monika Grütters sprach vom Aufarbeitungs- und Restitutionsweltmeister Deutschland.

Von Jörg Häntzschel

Seit einem Jahr wird in Deutschland über den Umgang mit Kulturgut aus der Kolonialzeit diskutiert. Im November kündigte der französische Präsident Macron an, Raubgut aus französischen Museen zurückzugeben. Doch von den Afrikanern war seitdem wenig zu hören. Lähmen die kolonialen Machtverhältnisse noch die späte Aufarbeitung des Kolonialismus? Haben die Afrikaner andere Sorgen? Wissen sie nicht, was ihnen alles genommen wurde?

Die Antworten lauten ja, ja und ja. Doch seit sich am letzten Freitag Minister und Museumsleute aus Benin, Gabun, Senegal und Mali bei einer Unesco-Konferenz zu diesem Thema in Paris unmissverständlich äußerten, ist das Schweigen beendet. Der beninische Präsident Patrice Talon schlug zunächst milde Worte an: "Diese Dinge haben eine Seele", sagte er über die in Europa liegenden Objekte, sie seien "Schlüssel für unsere Identität".

Damit können wir leben, dachten die europäischen Kulturbürokraten im Saal. Doch als Talon fortfuhr, verdüsterten sich ihre Gesichter: "Sie müssen in der Hand derer bleiben, die sie geschaffen haben."

Monika Grütters stellt Deutschland als Aufarbeitungs- und Restitutionsweltmeister dar

Abdou Latif Coulibaly, der Kulturminister von Senegal, verschärfte den Ton weiter. Punkt für Punkt zerschossen er und seine Kollegen nun die Vorbehalte und Ausflüchte der Europäer, die mit ihnen die Podien teilten. Afrika habe nicht die Museen, um all die Dinge sicher aufzubewahren? "Ein Beleidigung!" Könnte nicht die Digitalisierung ein Weg sein, die Objekte allen zugänglich zu machen? Nein, "digitale Systeme dürfen kein Vorwand sein, um Restitutionen zu vermeiden." Und könnte nicht "Shared Heritage", jenes von europäischen Museen oft vorgeschlagene Prinzip, ein Weg sein, das Eigentum zu teilen? "Okay", meinte Aurélien Agbénonci, der Außenminister von Benin, "aber die Objekte müssen zunächst an den Ort, an den sie gehören. Wir verleihen sie dann gerne an Paris, Berlin oder New York."

Sein Kollege Alain Claude Bilie By Nze aus Gabun rüttelte die Zuhörer dann vollends auf: "Es ist wichtig, jetzt schnell zu handeln. Die Geschichte beschleunigt sich. Hoffen wir, dass die Leute für dieses Thema nicht auf die Straße gehen."

Ermutigt fühlten sie sich auch vom Eröffnungsvortrag der Berliner Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die im Auftrag von Macron mit dem senegalesischen Ökonom Felwine Sarr in Afrika nach Möglichkeiten für Restitutionen forscht. Schon 1978, berichtete sie, hatte eine Unesco-Arbeitsgruppe an dem Thema gearbeitet, man stand kurz vor Restitutionen, dann verlief die Initiative im Sand. Das dürfe sich nicht wiederholen, appellierte sie. Es gehe nicht nur um die Restitution der Objekte, sondern, umgekehrt, auch um die "Restitution unserer Erinnerung an uns selbst".

Anders als noch 1978 lässt sich das Thema heute nicht mehr totschweigen. Dass es sogar zum Motiv der Popkultur geworden ist, führte sie mit Filmclips vor, von Jackie Chans Bronzekopfjagd "Armour of God - Chinese Zodiac" bis zu "Black Panther", der mit dem Mord an einer Afrika-Kuratorin in einem Londoner Museum und der Restitution einer Maske beginnt, die nicht im Sinne von Shared Heritage ist.

Doch die Spannung, die nun im Saal lag, verlor sich wieder, als die Europäer ihre Statements verlasen. Besonders tat sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters hervor (ihre ebenfalls angekündigte neue Kollegin für die äußere Kulturpolitik, Michelle Müntefering, war wegen Terminkonflikts nicht erschienen). Da Deutschland noch immer keine Antwort auf die Macron'sche Initiative gefunden hat, trat Grütters die Flucht nach vorn an und malte ein Bild vom Aufarbeitungs- und Restitutionsweltmeister Deutschland.

Ihrer französischen Amtskollegin Françoise Nyssen fiel dazu auch nicht mehr ein als - noch bevor der Applaus verebbt war - mit Grütters den Saal zu verlassen und dieser den Offiziersorden für Kunst und Literatur zu verleihen.

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Quelle:
SZ vom 04.06.2018
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