Seit vor zwei Jahren die Debatte um den Umgang mit Objekten aus kolonialen Kontexten in deutschen Museen begann, hat sich einiges getan. Erst am gestrigen Mittwoch beschäftigte sich die Kulturministerkonferenz wieder mit diesem Thema. Sie beschloss unter anderem, eine "Kontaktstelle" einzurichten, an die sich in Zukunft alle wenden können, die auf der Suche sind nach vermissten Gegenstanden, welche sich in deutschen Museumslagern befinden könnten.
Einer Gruppe prominenter Ethnologen, Historiker, Postkolonialismus-Forscher und Künstler aus Afrika und Europa genügt das nicht. In einem offenen Brief, der am heutigen Donnerstag veröffentlicht wird, fordern sie von den Kulturministern "unbeschränkten und unkontrollierten Zugang" zu den Inventaren der öffentlichen Museen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus könne nur stattfinden, "wenn endlich öffentlich bekannt ist, welche Objekte und welche Informationen es zu diesen in den Museen gibt."
Unterschrieben wurde der Brief von den weltweit führenden Vertretern der Debatte um das kulturelle Erbe der ehemaligen Kolonien, darunter der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, dem in Südafrika lehrenden Postkolonialismus-Theoretiker Achille Mbembe, dem Regisseur Milo Rau, dem Juristen Wolfang Kaleck (European Center for Constitutional and Human Rights), dem Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer, dem ÖkonomenFelwine Sarr ("Afrotopia"), dem an der Columbia University lehrenden Philosoph Souleymane Bachir Diagne und dem Künstler Kader Attia. Insgesamt haben sich dem Aufruf rund 150 Wissenschaftler, Künstler und Aktivisten aus Afrika und Europa angeschlossen.
Bisher wurde in der Debatte vor allem darüber diskutiert, ob und wie geraubte Objekte an die Herkunftsländer zurückgegeben werden sollen. Verglichen damit erscheinen die Forderungen aus dem offenen Brief zunächst bescheiden: "Wie genau sehen die afrikanischen Sammlungen in deutschen Museen aus? Aus welchen Regionen kommen die Objekte? Welche Arten von Objekten sind es? Wir wollen und müssen das wissen, wenn wir die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit gemeinsam betreiben wollen." Tatsächlich berühren sie aber einen bislang weitgehend blinden Fleck in der Debatte: die Frage nach dem Selbstverständnis der Museen.
Zwar geben sich diese, genau wie die Politik, seit einiger Zeit selbstkritisch und offen für "Dialog". Sie veranstalten Konferenzen, machen Provenienzforschung, laden Vertreter der Herkunftsländer ein und geben seit kurzem auch das eine oder andere Stück zurück. Doch anders als Bibliotheken und Archive, die jedem offenstehen, entscheiden die Museen nach wie vor ganz alleine darüber, wer mit ihren Inventaren forschen darf, und was er zu sehen bekommt. Von den Ausstellungen abgesehen, verstehen sich die Museen eher als Forschungsinstitute denn als öffentliche Wissensdepots. Solange sich diese Kultur nicht ändert, haben es alle, die nicht dort beschäftigt sind, schwer, ganz besonders aber nichteuropäische Forscher.
Dass viele Museen selbst keinen genauen Überblick über ihre Bestände haben, geschweige denn digitale Verzeichnisse, sei kein Grund dafür, die Inventare nicht schon jetzt zu öffnen, schreiben die Autoren des Aufrufs. "Die Arbeit an den Inventaren wird nie fertig sein, sie wird immer ein work in progress bleiben. Es gibt keinen Grund zu warten."