Raubkopien:Du sollst dir kein Download machen

Hollywoods Studios haben eine Ursache der Filmpiraterie ausgemacht: Das Verschicken von Vorabkopien. das soll nun eingestellt werden, aber die Filmemacher protestieren.

VON FRITZ GÖTTLER

Mister K. goes to town . . . Das Szenario für die nächste Oscarsaison sieht vor, dass in den kommenden Wochen und Monaten überall in der Welt, vor allem in Los Angeles, die Leute aus dem Filmgeschäft ins Kino gehen. So wollen es jedenfalls Jack Valenti und Freunde von der MPAA, der Motion Picture Association of America.

Wir stellen uns also vor, wie der Filmregisseur Mr. K. in seinen schlabbrigen Anorak schlüpft und sich in seinen Geländewagen hockt, in die Stadt fährt und dort eins der großen Kinos aufsucht, um sich einen der Filme ansehen, die gerade dort laufen. Er muss sich nämlich ein Bild machen von den neuen Produktionen, weil er im Februar - mit seinen Kollegen - seine Stimme abgeben soll bei der Oscar-Wahl 2004.

Mister K. täte dergleichen natürlich nicht aus freien Stücken, oder aus Freude daran, Kinofilme auf einer richtig großen Leinwand zu erleben. Aber die Mitglieder der Academy kommen nicht mehr darum herum, weil sie in Zukunft, was die neuesten Hollywoodprodukte angeht, nicht mehr mit Vorab-Videos oder DVDs versorgt werden, wie sie die großen Studios bislang in Hülle und Fülle in die Welt hinaussandten.

Diese hemmungslose Screeners-Schleuder hat Jack Valenti als eine der Ursachen für das millionenschwere Verlustgeschäft mit Raubkopien ausgemacht. Als eine der verzweifelten Maßnahmen dagegen haben die in der MPAA vereinten Firmen vor einigen Wochen beschlossen, keine Screeners mehr zu schicken - und erwarten, dass die kleinen Studios sich, im Interesse der gemeinsamen Sache, anschließen.

Dem aber ist nicht so, im Gegenteil, am vorigen Freitag regte sich Widerstand gegen diese Maßnahme - in einem offenen Brief an Valenti, den, unter Führung des Robert-Altman-Mitarbeiters Joshua Astrachan, 142 Filmschaffende unterzeichneten und im Branchenblatt Daily Variety veröffentlichten.

Und alle wichtigen Leute scheinen da versammelt: Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Barry Levinson, Robert Redford, Sydney Pollack, Sam Raimi, Jonathan Demme, Tim Robbins, Nora Ephron, Sidney Lumet, Jodie Foster, Robert Altman, Pedro Almodóvar, Jim Jarmusch, Paul Schrader, Sofia Coppola, John Boorman, Bernardo Bertolucci, Atom Egoyan, Tom Tykwer, Mira Nair . . . (Erstaunlich, dass ausgerechnet einer fehlt, der sonst besonders couragiert für die Unabhängigkeit seiner Produktionen streitet: Steven Soderbergh . . .)

Hürde für die Kleinen

Die 142 bitten Jack Valenti, das Screeners-Verbot zurückzunehmen, und das ganz rasch, denn die Oscar-Saison hat inzwischen in Hollywood begonnen, das hektische Gemenge von Anzeigen, Screenings, Mundpropaganda, Veranstaltungen.

For your consideration ist alljährlich die offizielle Zauberformel, die zahllose Anzeigen schmückt und die - so Valenti - im Vorjahr in 34 von 68 Fällen nachweislich auf Raubkopien großer Filme zu finden war. Aus den Schränken der Oscar-Juroren frisch in die Datenbänke der Video- und DVD-Piraten - ein Tatbestand, der im Brief nicht geleugnet wird.

Aber ohne Screeners, so argumentiert man, wird gerade den kleinen Produktionsfirmen die Arbeit erschwert - mit Filmen, denen die Diskussion im Oscar-Umfeld und womöglich eine Nominierung gewaltig helfen würde, um überhaupt wahrgenommen zu werden.

Es ist die alte Konfrontation zwischen Geld und Geist, zwischen Marketing und Kreativität, zwischen Risiko und Auf-Nummer-Sicher-Gehen, die hier entfacht ist. Achtzig Prozent der Produktionen werden von den Majors, die in der MPAA zusammengeschlossen sind, repräsentiert.

Sollen sie doch ihr Screeners-Verbot durchziehen, erklärt der Unterzeichner Norman Jewison, aber wieso sollen die kleinen Produzenten ihnen folgen? Zudem sind die unabhängigen Produktionen für Piraten weit weniger interessant als die Filme der großen Firmen - bis zu 40.000 Stück wurden bei manchen Filmen verschickt, nicht nur an die Academy-Mitglieder direkt, sondern an alle potentiellen Interessenten und Multiplikatoren.

In Reaktion auf das Screeners-Verbot haben die großen Firmen bereits Vorführsäle gebucht. DreamWorks hat in Beverly Hills ein Kino gemietet, wo im November und Dezember exklusiv ihre Produktion "House of Sand and Fog" täglich laufen wird, und die Fox hat eine Hotline eingerichtet, die Screenings für ihr Seefahrer-Epos "Master and Commander" mit Oscar-Kandidat Russell Crowe vermittelt.

Für die kleinen Produktionen aber stellt der MPAA-Beschluss eine unüberwindliche Hürde dar - bestraft jene Filmemacher, "die es sowieso schon schwer haben, eine Finanzierung und einen Verleih zu finden". Eine Ehrensache also, für die Unterzeichner, auf deren Seite zu stehen.

Am Ende, so die kühne Mutmaßung, ist das Screeners-Verbot auch ein Versuch der Majors, einen direkten Zugriff auf die Oscars zu erhalten - Nominierungen zahlen sich an der Kasse immer noch kräftig aus.

Mal sehen, wie Frank Pierson, der Academy-Präsident, auf die Problemlage reagiert - er scheint sich verstärkt darum zu bemühen, die Oscar-Prozedur diesmal besonders clean zu gestalten, ohne Partys und Piraten: Eine "positive Atmosphäre, Schluss mit hucksterism". Als Erfahrungswert gilt: "Was glauben Sie denn, wenn Stanley Kubrick noch am Leben wäre - würde er wirklich in die Stadt kommen, um einen Film dort anzugucken?"

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